Название: Tunnel über der Spree
Автор: Hans Christoph Buch
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9783627022723
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Nach der Rückkehr trennten sich unsere Wege, ohne dass es zum Streit oder Bruch kam. Aber nach Jahren regelmäßigen Umgangs in und außerhalb der Tageszeitung, deren Literaturbeilage, die Literataz, wir gemeinsam herausgaben – hatten wir uns auseinandergelebt. Klaus Schlesingers DDR-Nostalgie ging mir auf die Nerven, hatte er doch längst mit den Füßen für den Westen optiert, und seine Identifikation mit Streetfightern, die dreißig Jahre jünger waren als er, fand ich lächerlich. Umgekehrt muss es ihm ähnlich ergangen sein, denn während er mich in seinem Wendetagebuch Fliegender Wechsel lobend erwähnt, meldete er in späteren Essays Widerspruch an gegen mein JA zur Wiedervereinigung. Dabei hatte ich nicht seine Stellungnahmen, sondern nur deren Begründung kritisiert, ohne zu bedenken, dass Klaus Schlesinger mehr aus dem Bauch argumentierte als aus dem Kopf – darin lag seine Stärke als Erzähler, der psychologisch glaubwürdige Figuren entwirft.
Doch weder politische Meinungsverschiedenheiten noch Stasi-Vorwürfe gegen ihn, die ich mir nie zu eigen machte, taten dem guten Einvernehmen Abbruch. Unser Umgangston blieb freundschaftlich bis zuletzt, als er mir, eine Woche vor seinem Tod, eine Widmung schrieb in sein letztes Buch: »Von Ost nach West« – dass sich dahinter eine Anspielung verbarg auf den Aufbruch in ein fremdes Land, das weiter entfernt und doch näher lag als Westberlin, ahnte weder er noch ich.
Zum Schluss möchte ich ein paar Beobachtungen festhalten, die Schlaglichter werfen auf Schlesingers widersprüchliche Persönlichkeit. Und es liegt in der Natur der Sache, dass sie neben Ernstem auch Komisches enthalten – der Verstorbene hätte nichts dagegen einzuwenden gehabt:
Klaus Schlesinger war der einzige DDR-Autor, dem es gelang, eine Erzählung zu schreiben über den Mauerbau, die nichts beschönigt oder verschweigt, und diese unzensiert in der DDR zu veröffentlichen – ein Drahtseilakt wie die Flucht über ein durch die Luft gespanntes Seil von Ost- nach Westberlin. Die noch heute lesenswerte Geschichte heißt Am Ende der Jugend und steht in seinem Erzählband Berliner Traum.
Klaus Schlesinger war der einzige mir bekannte DDR-Schriftsteller, der durch die Offenlegung seiner Stasi-Akte nicht beschmutzt, sondern reingewaschen wurde, weil er kein Spitzel gewesen war.
Schlesinger ist die einzige mir bekannte Person, die in einer Berliner Kneipe ein Eisbein in die Küche zurückgehen ließ mit der Begründung, es sei nicht fett genug.
Schlesinger war der einzige Revolutionstourist, der im von Contras verminten Dschungel von Nicaragua Kaffee und Kuchen verlangte – Gerichte, die es dort nicht mal in Friedenszeiten gibt.
Wie Heiner Müller rauchte Schlesinger bis zum letzten Atemzug – auf dem Nachttisch an seinem Sterbebett lag eine angebrochene Schachtel Roth-Händle.
Notiz zu Uwe Johnson
Um meine erste Begegnung mit Uwe Johnson zu schildern, muss ich mich zurückversetzen in den Spätherbst des Jahres 1963 – vielleicht war es auch Anfang 1964 – als Johnson im Literarischen Colloquium Berlin, damals noch in der Carmerstraße, nicht weit vom Savignyplatz, Prosaschreiben unterrichtete. Walter Höllerer hatte ein Dutzend angehende Autoren nach Westberlin eingeladen, um an einem von der Ford-Stiftung finanzierten Creative-Writing-Seminar teilzunehmen. Johnson gab nur ein kurzes Gastspiel. Der damals knapp dreißigjährige Autor der Mutmaßungen über Jakob und des Dritten Buchs über Achim war, ähnlich wie der scheue und wortkarge Peter Weiss, mit seinem eigenen Werk beschäftigt und litt sichtlich unter der ihm nicht gemäßen Rolle eines Präzeptors oder Vermittlers, die Günter Grass und Peter Rühmkorf mit Lust und Verve spielten. Der blonde Hüne mit der Nappalederjacke, von seinen Leipziger Kommilitonen Ossian genannt, schien sich körperlich unwohl zu fühlen unter den nur wenig jüngeren Autoren, die Ansporn und Ermutigung für ihre eigene Arbeit oder geistreiche Aperçus von ihm erwarteten. Er schwieg hartnäckig und hielt sich an seiner Pfeife fest, die wie die Schreibmaschine zum unverzichtbaren Accessoire eines Literaten gehörte. Meine Frage, ob ein zeitgenössischer Schriftsteller sich unbedingt für die Fahrpläne der Deutschen Reichsbahn, die Gangschaltung eines Rennrads oder das Frühwarnsystem der Nato interessieren müsse, statt sich wie Kafka oder Novalis von der Außenwelt zurückzuziehen in eine traumhafte Innenwelt, beantwortete Johnson kurz und bündig mit NEIN, ohne sein apodiktisches Urteil zu begründen. Dass er mit Einsprüchen gegen den Boykott der Berliner S-Bahn beschäftigt war, wusste ich damals nicht, und es hätte mich, auch wenn ich es gewusst hätte, nicht sonderlich interessiert.
Anfang der siebziger Jahre zog ich von Wilmersdorf nach Berlin-Friedenau, wo ich mit Nicolas Born im selben Haus wohnte, in unmittelbarer Nachbarschaft zu Hans Magnus Enzensberger, Günter Grass, Uwe Johnson und zeitweise auch Max Frisch. Wir trafen Johnson gelegentlich im Bundeseck, einer für ihre Hässlichkeit berühmten Eckkneipe, wo sich nach Lesungen im nahgelegenen Buchhändlerkeller eine Gruppe von Literaten versammelte, zu der neben Grass auch dessen Lektor Klaus Röhler gehörte. Johnson und Röhler soffen sich gegenseitig unter den Tisch und, im Gegensatz zum proletarischen Zeitgeist der siebziger Jahre, siezten sie einander dabei. Mittwochs war Markt in Friedenau, und Uwe Johnson war schon vormittags in einer Spelunke neben dem Rathaus anzutreffen, an deren Theke er den über Nacht abgesunkenen Alkoholpegel auffüllte; abends frequentierte er eine Kneipe in der Rheinstraße, deren Wirt keine Ahnung hatte, dass sein wortkarger Stammgast ein weltberühmter Schriftsteller war. Zusammen mit Nicolas Born besuchte ich Johnson in dessen Wohnung – Atelier ist ein besserer Ausdruck dafür – in der Stierstraße. An der Wand hing ein Stadtplan von Großberlin, und überall waren Messtischblätter ausgebreitet, wie Generalstabskarten mit farbigen Punkten und Strichen markiert. Johnson und Grass hatten sich über irgendetwas zerstritten; jahrelang herrschte Funkstille zwischen beiden, bis Günter Grass den früheren Freund überredete, ihn zu einer privaten Lesung nach Ostberlin zu begleiten. Das konspirative Treffen fand in der Wohnung von Krista und Hans Joachim Schädlich in Köpenick statt; außer Nicolas Born und mir waren Günter Kunert, Rainer und Sarah Kirsch sowie Bernd Jentzsch anwesend.
Uwe Johnson schwieg zumeist, aber er war gefürchtet für ins Schwarze treffende Bemerkungen, mit denen er nicht nur ein literarisches Werk, sondern auch dessen Verfasser demontierte, etwa wenn er einen Text als Nachruf charakterisierte und sich darüber mokierte, dass der Autor noch am Leben sei. Als Sarah Kirsch wissen wollte, warum ihre Anwesenheit beim sogenannten Friedensdialog in der Westberliner Akademie der Künste unerwünscht war, antwortete Johnson sarkastisch, nicht jedermann sei zum Five o’clock tea bei der Königin von England eingeladen. Zum letzten Mal sah ich ihn ein Jahr vor seinem Tod bei dem erwähnten Schriftstellertreffen, wo Johnson souverän, aber mit pedantischer Akribie die Diskussion leitete und das Bekenntnis des DDR-Autors Erik Neutsch, er stimme voll und ganz mit der Politik seiner Partei und Regierung überein, lakonisch kommentierte mit dem Satz: »Das ist bekannt.«
Bei der von Helen Wolff geleiteten Trauerfeier für Uwe Johnson im New Yorker Goethe-Institut saß der Bankier Abs in der ersten Reihe, und erst nachträglich wurde mir klar, dass eine gleichnamige Romanfigur in den Mutmaßungen über Jakob eine zentrale Rolle spielt.
Alles in allem habe ich Uwe Johnson, trotz wiederholter Begegnungen, nur flüchtig gekannt. Seine Person ist mir fremder geblieben als sein Werk, das mit unverstellter СКАЧАТЬ