Название: Tunnel über der Spree
Автор: Hans Christoph Buch
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9783627022723
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Bei der Ankunft am Flughafen von Eriwan erwartete uns eine Dichterin, die wie der griechische Weinbrand Metaxa hieß und erotische Gedichte schrieb, in denen sie Männern im Sexrausch die Knöpfe vom Hemd biss. Als Kind hatte sie Stalin einen Blumenstrauß überreicht und erzählte, der Diktator habe gut ausgesehen – abgesehen von den Pockennarben in seinem Gesicht, die auf Fotos wegretuschiert wurden –; selbst der Schnauzbart des Generalissimus unterlag der Zensur.
Höhepunkt unserer Reise war ein Besuch in der Moskauer Wohnung des Dichters, Sängers und Romanciers Bulat Okudschawa, der aus Georgien stammte und von Kritikern diffamiert wurde mit dem Argument, als Nichtrusse habe er kein Recht, Bücher über russische Geschichte zu schreiben. Über seinem Arbeitstisch hing kein Foto von Chruschtschow oder Breschnew, der damals noch im Kreml regierte, sondern ein Porträt von John F. Kennedy, und sein beredtes Schweigen strafte das Propagandagerede Lüge, mit dem man uns von morgens bis abends behelligte. Dazu gehörte ein Termin bei der Literaturzeitschrift des Komsomol, deren Arbeit nach offizieller Lesart auf drei Säulen ruhte: 1. Texte alter Meister; 2. Texte junger Autoren; 3. Kritik der alten Meister an den jungen Autoren. Wir hatten Mühe, uns das Lachen zu verbeißen. »Alles schön und gut«, meinte Sarah Haffner, »aber gibt es auch eine Rubrik, in der junge Autoren die alten Meister kritisieren?« Damit traf sie den Nagel auf den Kopf und hatte, ohne es zu wollen, einen Impuls benannt, der als Leitmotiv ihr Leben und Schaffen durchzog: das Aufbegehren gegen jede Art von falscher oder angemaßter Autorität.
Sarah hatte Haare auf den Zähnen, sie war widerborstig und ließ sich weder von Günter Grass noch von ihrem Vater, dem prominenten Publizisten, vorschreiben, was sie denken und sagen sollte. Ihr Verhältnis zu Sebastian Haffner war angespannt, weil er den in jungen Jahren gefassten Entschluss seiner Tochter, Künstlerin zu werden, missbilligte aus Sorge um ihren Lebensunterhalt. Dabei war sie durchaus geschäftstüchtig und hat ihre Bilder auf gut besuchten Vernissagen, die gesellschaftliche Ereignisse waren, nicht unter Wert verkauft. Sarah lebte von der Kunst, die sie studiert und später auch unterrichtet hat, und ihr antiautoritäres Engagement drückte sich aus in Schrei, wenn du kannst, einem Buch über misshandelte Frauen, die damals wie heute nicht nur in prekären Milieus, sondern auch in bürgerlichen Kreisen anzutreffen waren. Aus dem Text wurde eine TV-Dokumentation, und Sarah Haffner war Patin bei der Gründung des ersten Berliner Frauenhauses. In den achtziger Jahren knüpfte sie Kontakte zu oppositionellen Künstlern im Ostteil der Stadt, noch bevor die Prenzlauer-Berg-Szene Mode wurde, und anders als ihre linken Mitstreiter freute sie sich über den Fall der Mauer und die Wiedervereinigung.
Sarah Haffner malte, schrieb Bücher und trainierte in Fitnessstudios, bis sich erste Symptome einer unheilbaren Krankheit zeigten, der sie, ohne zu klagen, mutig widerstand, entsprechend ihrem früh geäußerten Verzicht auf Lebensverlängerung um jeden Preis.
Det is allet history!
Mosaikstein zu einem Biermann-Porträt
Es war ein heißer Tag im Sommer 1976, drei oder vier Monate vor der Ausbürgerung des Liedermachers Wolf Biermann durch das Politbüro der SED. In meiner Erinnerung könnte es Kubas Nationalfeiertag, der 26. Juli, gewesen sein: An diesem Tag im Sommer 1953 hatten Fidel Castros Partisanen – der Ausdruck ist irreführend, denn es handelte sich um Jugendliche und Studenten ohne militärisches Know-how – die Moncada-Kaserne in Santiago de Cuba gestürmt. Siebzig Angreifer kamen ums Leben, und Fidel Castro wurde auf der Isla de Pinos inhaftiert, wo er seine Berufung zum Revolutionär entdeckte. Oder es könnte der 31. August gewesen sein, als Tamara Bunke alias Tania la Guerrillera, die Kampfgefährtin Che Guevaras, beim Überschreiten des Rio Grande in einen Hinterhalt geriet und von bolivianischen Soldaten erschossen wurde.
Aber davon wusste ich nichts, während ich in der Chausseestraße 131 in Wolf Biermanns Wohnküche saß, zusammen mit seiner Mutter, wenn mich die Erinnerung nicht trügt. Schräg gegenüber lag die ständige Vertretung der BRD, vor deren videoüberwachtem Portal ein Volkspolizist auf und ab ging, und ein paar Meter weiter parkte ein Wartburg-Kombi, dessen ausgefahrene Antenne die aus dem Küchenfenster dringenden Geräusche auffing. Wolf Biermann stimmte seine Gitarre und summte eine Melodie vor sich hin, die in ein Lied überging, dessen Gesang er immer wieder unterbrach, um den Text umzustellen, zu verbessern oder mit wirkungsvolleren Akkorden zu unterlegen. Der Vorgang konnte lange dauern, denn die Lieder hatten viele Strophen, und der Besucher kam kaum zu Wort, weil Biermann die Küche mit einem Konzertsaal verwechselte – auch umgekehrt ergibt der Vergleich einen Sinn. Er sang seine Stasi-Ballade:
Menschlich fühl ich mich verbunden
Mit den armen Stasi-Hunden
Die bei Schnee und Regengüssen
Mühsam auf mich achten müssen
Die ein Mikrophon einbauten
Um zu hören all die lauten
Lieder, Witze, leisen Flüche
Auf dem Klo und in der Küche
Brüder von der Sicherheit
ihr allein kennt all mein Leid.
Er war gerade beim Refrain angekommen »Die Stasi ist mein Eckermann«, als es klingelte. Vor der Tür stand ein Mann mittleren Alters, der wie ein Frührentner aussah und auch ohne Parteiabzeichen als SED-Funktionär zu erkennen war. Nur die verrutschte Krawatte und seine Alkoholfahne passten nicht ins Bild.
»Hallo Wolf«, sagte der ungebetene Besucher, »ick komme jerade von der Einweihung der Tamara-Bunke-Oberschule janz in der Nähe von dir und möchte wissen, wer diese Tamara Bunke und dieser – wie heißt er doch gleich – dieser Che Guevara, von dem neuerdings so viel jeredet wird, wer det eigentlich war. Ick hab den kubanischen Botschafter jefragt, aber der weiß och nischt Jenauet und sagte nur, det is allet history. So hat der sich ausgedrückt: ›Det is allet history.‹ Und da dachte ich mir, am besten jehste direkt inne Chausseestraße und fragst den Wolf Biermann, der kennt sich in sone Sachen aus!«
Wir waren sprachlos, denn Biermann lebte seit über zehn Jahren in einem unerklärten Krieg mit der alleinseligmachenden Partei, deren Funktionäre sich selten in seine Wohnung verirrten. Sie zogen es vor, ihn aus sicherer Entfernung mit Dreck zu bewerfen und von Zeit zu Zeit zum Verhör einzubestellen: »Die Arbeiterfaust zeigen« oder »andere Saiten aufziehen« hieß das im SED-Jargon. Handelte es sich um einen dreisten Ausspähungsversuch, um eine gezielte Provokation oder um den Alleingang eines Funktionärs, der bei der Einweihung der Tamara-Bunke-Schule zu viel Cuba Libre getrunken hatte? Oder – dafür sprach einiges – war es eine Kombination all dieser Motive? Noch dazu schien der Mann keine niedrige Charge zu sein: Er stellte sich als stellvertretender Bezirksbürgermeister vor, ließ sich schwer atmend am Küchentisch nieder und verlangte Bier – nach Tee stand ihm nicht der Sinn. Auf die Frage, woher er Wolf Biermann kenne, nuschelte er etwas vom Pfingsttreffen der FDJ Mitte der fünziger Jahre, als die Welt noch in Ordnung war. Damals hätten die Schriftsteller noch keine Sperenzien gemacht.
»Wenn du es wirklich wissen willst«, sagte Wolf Biermann, »erkläre ich dir, was es mit Che Guevara auf sich hat.« Er brachte seine Gitarre in Stellung und stimmte das Che-Guevara-Lied an, genauer gesagt: die von ihm verfertigte Übersetzung von Carlos Pueblas Chanson: »Aqui se queda la clara / la entrañable transparencia / de tu querida presencia / comandante Che Guevara.« Zu Deutsch:
Uns bleibt, was gut war und klar war:
Dass man bei dir immer durchsah
Und Liebe, Hass, doch nie Furcht sah,
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