Menschliches Maß und Königliche Kunst. Jens Oberheide
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СКАЧАТЬ als Schüler großes Talent zum Zeichnen offenbart. Lehrer, Nachbarn, aber auch Fremde von der Straße, denen er Zeichnungen anbot, zeigten sich erstaunt und angetan von den Künsten des Knaben.

      So kam es, wie Schadow später rückblickend schreibt, «zu einer zufälligen Veranlassung». Ein immer wieder säumiger Kunde seines Vaters, Giovanni Battista Selvino, Italiener, Modellzeichner und Bildhauergehilfe aus dem Königlichen Atelier, stand beim Schneidermeister derart «in der Kreide», dass man nach einer Lösung suchte. Wie wäre es, dachten die Schadows, wenn Selvino seine Schulden abarbeitete, indem er dem talentierten Knaben als «Gegenwert» Zeichenunterricht erteilte?

      Und daraus entwickelte sich mehr. Während des Unterrichts bei Selvino entdeckte Madame Marie-Edmée Tassaert das Talent des jungen Schadow. Madame Tassaert, erfolgreiche Pastell- und Fächermalerin, französische Gattin des flämisch-stämmigen preußischen Hofbildhauers Jean Pierre Antoine Tassaert, nahm sich des vierzehnjährigen «garçon allemand» an und machte «Godefroi», wie sie Gottfried nannte, zum Zeichenschüler, der fortan ganztägig in den Ateliers der Künstler arbeiten und lernen durfte. Das alles fand in französischer Sprache statt, die Schadow bald auch perfekt beherrschte. Zusätzlich besuchte er gemeinsam mit Jean-Joseph Tassaert, dem Sohn des Hofbildhauers, Vorlesungen in der «Akademie der mechanischen Wissenschaften und Schönen Künste» im alten Marstallgebäude in Berlin Unter den Linden.

      Schließlich wurde er «garçon d’atelier» beim Hofbildhauer Tassaert. Bei ihm lernte er in aller Gründlichkeit das Handwerk des Künstlers.

      Tassaert (1727–1788) hatte in England und in Paris gearbeitet, bevor er 1770 nach Berlin übersiedelte und in die Dienste des preußischen Königshauses trat. Er schuf mehrere Statuen und Gruppen für das Palais des Prinzen Heinrich und fertigte etliche Porträtbüsten und Denkmale. Schließlich wurde er Rektor der Kunstakademie. Sein eifrigster Schüler wurde später sein Nachfolger: Johann Gottfried Schadow.

       Schadows Lehrmeister Jean Pierre Antoine Tassaert, Mezzotinto, 1788

      Der junge Schadow durchlief eine strenge handwerkliche und künstlerische Schule und nahm durchaus auch schon kritisch auf, was er sah. Er schildert beispielsweise, dass er dabei war, als Tassaert Moses Mendelssohn (1729–1786), den ersten bedeutenden jüdischen Philosophen deutscher Sprache, porträtiert und seine Büste aus Marmor herausgearbeitet hatte. Der junge Schadow selbst hatte den großen Mendelssohn, der körperlich ein kleiner, buckliger, feingliedriger Mann war, persönlich auf die Stellage geholfen, auf der er Modell sitzen musste, und er durfte das Entstehen des Werkes verfolgen. Vom Ergebnis war er allerdings deswegen nicht so sehr angetan, weil Tassaert nach seiner Auffassung das Wesen des klugen Denkers und feinsinnigen Philosophen nicht so getroffen hatte, wie es Schadows elementarem Kunstverständnis entsprach. Also versuchte er, dieses selbst zeichnerisch in einem Mendelssohn-Porträt auszudrücken.

       Johann Gottfried Schadow: Moses Mendelssohn, Radierung, 1787

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      Darstellende Kunst und menschlicher Ausdruck

       Von da, wo die Gemütsbewegungen dargestellt werden, beginnt eigentlich die Kunst.

      Johann Gottfried Schadow

      Gemeinsam mit dem Tassaert-Sohn Jean-Joseph begeisterte sich «Godefroi» Schadow auch für die darstellende Kunst. Madame Tassaert hatte ihnen ein Theater-Abonnement geschenkt, weil sie meinte, auch das gehöre zur umfassenden Bildung von Kunstjüngern.

      So erlebten die beiden schon sehr früh den großen Mimen Friedrich Ludwig Schröder (1744–1816), der in Berlin «Hamlet» inszenierte und 1777 selbst die Hauptrolle übernahm. Im Dezember desselben Jahres spielte Schröder den König Lear, und im März 1780 war er erneut auf Gastspielreise in Berlin.

      Schröder «war der erste, der es wagte, auf der Bühne natürlich zu sprechen» (Manfred Barthel: «Theater in Briefen», München, 1983). Er «spielte keine Rolle gut, er war immer der Mann selbst» (Friedrich Gottlieb Klopstock). «Seine Nachahmungsgabe überstieg alles Dagewesene» (Johann Wolfgang von Goethe). Schröder «hat versucht, Musik, Malerei, Poesie und Denken mit dem wirklichen Leben zu einigen» (Ludwig Tieck).

      War es bisher üblich, am Theater mit großer Gestik und Gebärde zu agieren, so war gegen Ende des 18. Jahrhunderts mit Schröder erstmals ein Schauspieler als wahrhafter Menschendarsteller präsent, der Charaktere überzeugend darstellen konnte und mit Gemütsregungen angemessen ausdrucksvoll umging.

       Johann Gottfried Schadow: Szene aus «König Lear», Radierung, 1784

      Schadow war deswegen so begeistert von Schröders Schauspielkunst, weil es ihm selbst künstlerisch um den menschlichen Ausdruck ging und weil er immer bemüht war, in seinen Zeichnungen und später auch in seinen bildhauerischen Arbeiten alles Pathetische, überzogen Gebärdenreiche zu vermeiden. Auch ein dargestellter Held war schließlich nur ein Mensch. Auf dem Zeichenblatt, in Marmor oder auf der Bühne.

      Inspiriert vom Ausdrucksspiel Schröders, modellierte Schadow zusammen mit dem jungen Tassaert Handpuppen für das Puppenspiel, das sich damals einiger Beliebtheit erfreute. Für Schadow war es ein erster, noch spielerischer Entwicklungsschritt vom Zeichner zum Skulpteur.

       Friedrich Ludwig Schröder als «König Lear», zeitgen. Grafik

      Bei Friedrich Ludwig Schröder muss man neben dessen Schauspielkunst noch eine andere prägende Seite seiner Persönlichkeit ansprechen. Schröder war 1774 Freimaurer geworden, Mitglied der Loge «Emanuel zur Maienblume» in Hamburg, bei der er 1787 zum «Meister vom Stuhl» gewählt wurde. Das war die Zeit, als sich ein mystisch überhöhtes System von Ritualen und «Erkenntnisstufen» in den deutschen Landen verbreitet hatte. Schröder, Anhänger der geradlinigen «historischen» englischen Freimaurerei, trat gegen diese bunten Strömungen an und wurde fortan zum bedeutenden Reformator der deutschen Freimaurerei. Am Schröder’schen Lehrsystem orientieren sich bis heute viele Logen.

      Ein anderer Reformer wirkte in den 1790er Jahren in Berlin: Ignaz Aurelius Feßler (1756–1839). Feßler war Mitglied der Loge, der auch Johann Gottfried Schadow ab 1790 angehörte. Es wird noch viel von ihm die Rede sein. Auch nach Feßlers Reformideen wird noch heute in den Logen gearbeitet.

      Schröder und Feßler diskutierten über Form und Fassung ritueller Abläufe. Feßler sah diesen Gedankenaustausch «im Dienste der Vernunft und Tugend, im Kampfe und Arbeit für Wahrheit und Recht» (1798 in Schröders Stammbuch).

      Schadow wird später noch in Verbindung zu diesen beiden Logenbrüdern stehen.

      Das Theater hat Schadow sein Leben lang fasziniert. Er hat selbst Gedichte verfasst und vorgetragen, schrieb kleine Bühnenstücke und inszenierte Theater für private Kreise. Seine Stücke «Das Intermezzo» und «Der Teekessel» sind im Nachlass erhalten.

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