Название: Gefährlich gute Grooves
Автор: John Taylor
Издательство: Bookwire
Жанр: Изобразительное искусство, фотография
isbn: 9783854454090
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6: Mittendrin und unsichtbar
Ich hatte Spaß am Lernen, was sich aber nur selten im Klassenzimmer bemerkbar machte. Lediglich zu Hause, in der heimeligen, perfekt sitzenden Welt von Mum, Dad und mir, war ich selbstsicher genug, es rauszulassen.
Intelligenz braucht Übung, und üben bedeutet, Fehler zu machen. In der Welt meiner Eltern fühlte ich mich nie bewertet; in der Schule war ich ständiger Beurteilung ausgesetzt. Ein Einzelkind zu sein, hatte in der Schule auch seine Nachteile; ich mochte es nie, mein Spielzeug zu teilen.
Und ich hasste das System der Benotung, die ständigen Vergleiche: Wer ist gut in diesem, wer ist der Beste in jenem? Der Beste und der Schlechteste. Immer.
Das Fach „Spiele“, dieser Euphemismus für Sport, war am schlimmsten. Wettkampf für Wettkampf tat ich mich mit meinen vier Augen schwer auf den Sportplätzen von Our Lady of the Wayside. Nicht einmal kam der Ruf: Deine Schule braucht dich. Kein einziges Mal durfte ich meine Schule sportlich repräsentieren. Ich entwickelte schließlich nagende Selbstzweifel.
Gibt es etwas Schlimmeres, als ausgelacht zu werden? Ich würde jederzeit eine Operation vorziehen. Ich konnte es nicht ertragen – und kann es immer noch nicht. Zum Glück kennen mich meine Freunde und Familie heute gut genug, um es außer Hörweite zu tun. Aber damals wurdest du ausgelacht, wenn du Letzter warst. Das war zu vermeiden. Ich begann, mich aus dem Rennen zu nehmen.
Erster werden wollte ich aber auch nicht, denn dann musste man in der Klasse oder, schlimmer noch, in der Aula nach vorne kommen, einen Preis entgegennehmen und vielleicht sogar laut vor all den Hooligans „Thank you, Sir“ sagen. Vorzutreten, um von Mr. Lahive meinen Bobby-Moore-Geschenkgutschein für meine Arbeit über „Das Leben der Heiligen“ zu empfangen, war bis heute mein beschämendster Moment. All die Augen, die sich in meinen Rücken bohrten, das vorwurfsvolle Gekicher. Nein danke, auf Auszeichnungen kann ich auch verzichten. Ich versuchte, mittendrin und gleichzeitig unsichtbar zu sein.
Als ich zehn Jahre alt war, 1970, war ich nicht mehr so häufig Gast im Bett meiner Eltern (ich erinnere mich aber noch, wie ich zwischen sie kroch und etwas über die Trennung der Beatles las. Das war für uns so unfassbar wie der Untergang der Titanic). Ich musste also andere Wege finden, um ihre Anerkennung zu bekommen.
Insbesondere die von Dad.
Militärmodellbau war damals das angesagte Hobby. Es war gerade bei Jungen meiner Generation äußerst beliebt und außerdem ein toller Zeitvertreib für Vater und Sohn. Das Zusammenbauen der Airfix-Modelle von Centurion-Panzern, Spitfire-Flugzeugen oder Victory-Schiffen („enthält lebensechten Nelson mit amputiertem Arm“) hat in den späten Sechzigern mehr Söhne und Väter zusammengeschweißt als irgendetwas sonst, von Lederfußbällen mal abgesehen.
Dad legte die Latte für mich hoch, als er zu meinem achten Geburtstag das Short-Sunderland-Wasserflugzeug perfekt zusammenbastelte. Da wusste ich, dass ich langsam auf Touren kommen musste.
Was ich auch tat. Ich wurde süchtig danach, Modelle zu bauen. Ob es am Kleber, dem „Bindemittel“ und dem Emaillelack lag?
Flugzeuge, Schiffe, Lastwagen und Autos – ich baute sie, malte sie an und stellte sie in kleinen Landschaften auf, die in der Bruderschaft der Modellbauer „Dioramen“ heißen.
Mein Taschengeld ging jede Woche für etwas Neues drauf, das ich meiner Sammlung hinzufügen konnte. Spätestens Samstag nachmittag störte ich Vater in der Garage: „Schau mal, Dad, was hältst du davon? Das ist Monty auf der Straße nach El Alamein.“
„Das ist sehr gut, Junge“, sagte er dann. „Hast du Lust, dir im Laden eine Limo zu holen?“
Sieg!
Meine Vorliebe für Modellbau war nicht nationalistisch motiviert. Einen japanischen Zero Fighter oder einen deutschen Panzer baute ich ebenso gerne wie General Montgomerys Humber-Dienstwagen. Die Graf Spee oder die Ark Royal, Grumman- oder Messerschmitt-Flugzeuge, egal, es war alles eins, Teil eines großen Spiels: Krieg, die Schlacht der Uniformen und Kampfanzüge, Kreuze gegen Kokarden. Der Airfix-Katalog war erstaunlich lehrreich, und er gab meiner Generation eine großartige Einführung ins Industriedesign. Außerdem entwickelte sich die Auge-Hand-Koordination. Man lernte dabei mindestens so viel wie in der Schule, und an einem Game Boy macht mich keiner fertig.
Es war eine durch und durch männliche Welt. Die einzige weibliche Figur, die Airfix anbot, war Johanna von Orleans, die mich nicht interessierte. Die menschlichen Figuren, die ich bastelte und bemalte, waren alle Männer. Männliche Männer, die männliche Dinge taten. Zum Beispiel sich gegenseitig umbringen.
Etwa zu dieser Zeit hatte ich eine erste Vorstellung von meinem künftigen Beruf, Pilot in der Royal Airforce. Abends im Bett überlegte ich, ob die RAF wohl noch Spitfires einsetzte.
Das nimmermüde Zusammenbauen von RAF-Kampfflugzeugen, Panzern und Schiffen der Königlichen Marine war auch ein Weg, um an der Oberfläche des großen Tabuthemas zu kratzen: Dads Kriegsjahre. Wir konnten darüber nicht direkt sprechen, also baute ich einfach weiter. Verdammt, wir englischen Kinder hatten es leicht; worüber redeten die deutschen Kids meiner Generation mit ihren Vätern. Nicht viel, wie ich später herausfand, aber daraus entstand ein Antrieb für all die große, tiefgründige deutsche Kunst und Musik der Siebziger und Achtziger.
Ich legte in meiner Obsession noch einen Zahn zu, als ich begann, Modelle von Napoleons Grande Armée zu sammeln und anzumalen. Besonders liebte ich echte Rockstars wie Marschall Murat, der mit ausgestrecktem Arm und erhobenem Säbel auf einem mit einem Leopardenfell geschmückten Hengst in die Schlacht ritt.
Ich brauchte mehr Geld, um meine Abhängigkeit zu befriedigen, denn diese Figuren sowie ihre kleineren, in Blei gegossenen und aus Frankreich importierten Vettern kosteten viel mehr als die Airfix-Kameraden. Dad bescherte mir unbeabsichtigt eine weitere Fähigkeit fürs Leben. Ich wurde der Autowäscher der Nachbarschaft.
All diese Uniformen an Sieben-Zentimeter-Figurinen bis ins winzigste Detail zu bemalen, die Schulterklappen, Tressen, Schärpen und Stiefel, das prägte mein ästhetisches Empfinden. Man kann bei Duran Duran auf der Bühne noch heute den Einfluss von Airfix erkennen. Ich kann mich einfach nicht davon befreien.
Außerdem war ich ein Autonarr, eine andere Leidenschaft, die ich von Dad geerbt hatte. Es gab keinen stolzeren Autobesitzer als ihn, und die Beziehung zu seinen verschiedenen Autos war beinahe erotisch. Jede freie Stunde verbrachte er allein mit dem Wagen in der Garage, um herumzuwerkeln, sich schmutzig zu machen und Dinge nach seinen Vorstellungen anzupassen. Bei jedem noch so leisen Knattern, jeder Vibration während der Fahrt flippte er aus, und sobald wir zu Hause waren, verschwand er und nahm das Auto auseinander, bis er die Ursache für das Geräusch gefunden und beseitigt hatte. Er stellte sein ganzes Arbeitsleben in den Dienst der britischen Autoindustrie, und jedes Anzeichen mangelnder Vollkommenheit war für ihn eine persönliche Beleidigung.
Über die Jahre erarbeitete sich Dad in der Familie einen Ruf als ausgewiesener Fahrlehrer, denn er hatte zahlreichen Onkeln und Tanten, Nichten und Neffen das Fahren beigebracht. Ausgerechnet bei seiner eigenen Frau Jean, meiner Mutter, scheiterte er.
Eines Abends nach der Schule war Dad der Meinung, es sei an der Zeit, Mum zu zeigen, wie man Auto fährt. Mum hielt das für keine so gute Idee, und der Gedanke, sich hinter das Steuer von Dads Zuchtbullen zu setzen, machte sie nervös. Sie wusste, wie sehr Dad an seinem Wagen hing und wie leicht er ausrastete. Trotzdem stiegen wir alle in den kastanienbraunen Ford – Dad für den Moment noch am Steuer – und fuhren zu dem ausersehenen, einige Meilen entfernten Parkstreifen auf dem Lande.
Dad СКАЧАТЬ