Название: Gefährlich gute Grooves
Автор: John Taylor
Издательство: Bookwire
Жанр: Изобразительное искусство, фотография
isbn: 9783854454090
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1946 ging das Leben weiter, das durch den Krieg unterbrochen worden war, und die Gedanken kehrten zur Normalität zurück: Jobs, Heirat und Familiengründung. Es gab wieder Hoffnung. Als Nachbarn hatten Mum und Dad sich schon seit Jahren wahrgenommen, aber es war bei einer schüchternen, zurückhaltenden Bekanntschaft geblieben. Dad verstand sich gut mit Mums Brüdern Sid und Alf, und eines Abends heckten die drei im Billesley Arms einen Plan aus.
An dem darauf folgenden sonnigen Samstagmorgen schritt Dad den Häuserblock hinunter zu den Harts und klopfte an die Haustür. Da er für die Familie ein vertrautes Gesicht war, wurde er sofort hereingebeten. Aber er war nicht da, um zu fragen, ob Sid morgen mit zum Fischen käme, oder ob Alf später Lust auf eine Partie Bowling im Billesley hätte. Er war gekommen, um den alten Joe Hart zu bitten, mit seiner jüngeren Tochter Eugenie ausgehen zu dürfen.
Ich glaube nicht, dass meine Eltern große Erwartungen mit Liebe und Ehe verbanden. Sie waren beide praktisch veranlagte Leute, die eine Familie haben und nicht allein alt werden wollten. Vermutlich verspürten beide eine tiefe Dankbarkeit, vom anderen gewollt und angenommen zu sein, aber sie hätten das nie so ausgedrückt.
Vom ersten Date an wussten sie, dass sie zusammenpassten, und ihre Freunde und Familien wussten es auch. In ihrem Umfeld war ihre Partnerschaft ein Symbol des Überlebens in der Zeit nach dem Krieg: Zwei Arbeiterfamilien gaben einander ihr jüngstes Kind. Ihre Heirat erfüllte viele mit Stolz.
Die zweiundvierzig Hochzeitsgäste lebten alle in einem Umkreis von wenigen Meilen. Als ich zehn war, spielten fast alle eine Rolle in meinem Leben; sie bildeten das Gefüge, das mich geformt hat. Es waren gute, ehrliche und liebevolle Leute. Ich wuchs auf in dem Gefühl, sie zu lieben, wie sie mich liebten – vorurteilsfrei und bedingungslos. Die Hochzeit meiner Eltern brachte das Beste an der englischen Arbeiterklasse und ihren Vorstellungen von Familienleben zum Vorschein.
In den 1950ern waren neue, bezahlbare Wohnungen knapp. Auch das war eine Folge des Krieges. So zogen Mum und Dad, nachdem sie geheiratet hatten, vorübergehend bei den Eltern meiner Mutter ein.
Sie wurden bald Teil einer Diaspora der Arbeiterschaft, die aus den Innenstädten in die Neubausiedlungen und Gartenstädte zog, die gebaut wurden, um die ausgebombten Stadtzentren zu entlasten und Wohnraum für die explodierende Bevölkerung zu schaffen. Oft wurde die Geschichte erzählt, wie mein Vater 1954 an einem Montagmorgen um sieben Uhr im Verkaufsbüro einer neu errichteten Siedlung auftauchte und darum bat, das letzte verfügbare Haus kaufen zu dürfen.
Das neue Haus war perfekt. Es hatte vier Zimmer, zwei oben und zwei unten, sowie ein Kieselputz-Relief zwischen dem Erdgeschoss und den oberen Erkerfenstern. Das Wohnzimmer, in dem wir aßen, fernsahen und so ziemlich alles machten, war neun Quadratmeter groß. Das andere Zimmer im Erdgeschoss war das Vorderzimmer. Hier wurden die Hochzeitsgeschenke und der Alkohol aufbewahrt. Hier nahmen wir drei jeden Sonntag unseren Lunch ein, und hier wurde jedes Jahr der Weihnachtsbaum aufgestellt. Abgesehen davon blieb der Raum ungenutzt.
Die Simon Road Nr. 34 hatte eine eigene Garage, wo mein Vater ganze Wochenenden an seinem Auto herumbastelte. Es gab einen kleinen Vorgarten und einen etwas größeren hinten.
Im Juni 1960 brachte meine Mutter mich ohne Komplikationen im Sorrento Maternity Hospital in Solihull zur Welt. Ich machte nie Schwierigkeiten, wie sie mir später erzählte. Bald wurde ich vom Krankenhaus nach Hause gebracht, da war das Haus schon gut eingewohnt und gemütlich, ein kuscheliger Ort für ein Neugeborenes.
Meine Eltern gaben mir den Namen Nigel. Eine wirklich unkonventionelle Wahl. Mein zweiter Name war John.
3: Sounds der Vorstadt
Für Dad war es in Ordnung, am Stadtrand zu leben. Mehr als in Ordnung. Er sprang jeden Morgen um acht in seinen Ford, fuhr zu seiner Arbeit in der Exportabteilung von Wilmot-Breeden, einer Zulieferfirma für die Autoindustrie, und war gegen sechs wieder zu Hause. Er ging sogar auf Dienstreisen ins Ausland, hauptsächlich nach Schweden, wo er für die Firma Geschäfte mit Volvo und Saab abwickelte. Diese Trips erschienen mir sehr romantisch und glamourös. Wenn er zurückkam, roch er nach Zigarren, Flughafen-Lounge und teurem Alkohol. Und er hatte Geschenke mitgebracht, Parfüm für meine Mum und Spielzeug für mich. In den 1960ern liebte Dad seine Arbeit, er liebte sein Leben. Er verwirklichte seinen Traum.
Mum, die nicht Auto fuhr, war in Hollywood isoliert. Sie saß draußen in der Vorstadt fest, weit weg von ihrer Familie und ihren Freunden, und sie hatte an dem Tag aufgehört zu arbeiten, als sie erfuhr, dass sie schwanger war. Sie war alleine mit mir, dem einzigen Kind.
Es gab nur wenige Geschäfte in der Nähe, und Freundschaften schloss sie nur langsam. Aber Mum war eine Kirchgängerin, war es immer gewesen, und hier fand sie ihre sozialen Kontakte. Daher musste die tägliche Reise nach St. Jude unternommen werden, egal wie weit es war und wie das Wetter war.
Natürlich ging ich mit ihr zur Kirche.
Ich erinnere mich noch an die Musik. In St. Jude eignete ich mir das katholische Gesangbuch an. „All Things Bright And Beautiful“, „The Lord Is My Shepherd“, „Faith Of Our Fathers“ waren mein tägliches Brot. Aber die Mega-Hits sparten sie für Weihnachten auf: „We Three Kings“, zum Beispiel – bei dem konnte sogar ich mich nicht enthalten mitzusingen; es war eine richtige Hymne, sehr männlich, stolz und kraftvoll – oder „O Come, All Ye Faithful“, das lateinisch als „Adeste Fideles“ gesungen wurde, wenn der Priester sich sicher genug fühlte.
Einige dieser Hymnen, etwa „Away In A Manger“, sind einfach phantastisch. Sie wurden geschrieben, um Menschen zwischen fünf und fünfundneunzig mitzureißen. Manche Arrangements sind von Titanen wie J. S. Bach übernommen, und so kam ich, ohne es zu wissen, in Kontakt mit einigen der besten Musikstücke, die jemals geschrieben wurden. Die Orgel schwebte durch die Dur-Moll-Modulationen, und meine Nackenhaare richteten sich auf.
Die europäische Pop-Musik basiert zu einem großen Teil auf christlicher Kirchenmusik, so wie amerikanischer Pop viel dem Gospel verdankt, der mehr nach dem Ruf-und-Antwort-Prinzip funktioniert. Simon Le Bon hat mich mal auf diesen Gedanken aufmerksam gemacht. Die Kirchenmusik meiner Kindheit ist mir immer gegenwärtig geblieben, und sie beeinflusst all meine Songwriting-Aktivitäten.
Mums andere Rettung aus ihrem Vorstadt-Exil kam in Gestalt der Technik und ihres Transistor-Radios. Es lief immer und spielte das BBC-Light-Programm. In meiner Erinnerung begann jeder neue Tag mit dem Klang dieses Radios. Ich hörte das Radio, bevor ich meine Eltern sah oder hörte.
Mum liebte Unterhaltungsmusik. Als Teenager vergötterte sie Bandleader wie Harry James und Artie Shaw, sie war ein richtiger Fan. Kürzlich fand ich ein schwarzes Büchlein, in dem sie in ihrer stets eleganten Handschrift ungefähr sechzig Hits der Zeit mit Titeln wie „My Foolish Heart“, „Come With Me My Honey“ oder „Boy Of My Dreams“ aufgeschrieben hatte. Diese ganze Leidenschaft erreichte einen Höhepunkt für sie (und für so ziemlich alle anderen im Lande), als 1962 die Beatles auftauchten. Ich war damals zwei. Sie waren zugleich romantisch, frech und abenteuerlustig. Und sie kamen aus Liverpool.
All die jungen, in die Pilzköpfe verliebten Mütter sangen uns, die wir gerade laufen lernten oder noch in unseren Kinderbettchen lagen, ihre Songs vor: „Love me do“, „All my loving“ oder „She loves you, yeah, yeah, yeah …“.
Ödipus ließ grüßen.