Название: Das Haus der Freude
Автор: Edith Wharton
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
Серия: Reclam Taschenbuch
isbn: 9783159618593
isbn:
Aber Miss Bart wollte, wie es schien, wirklich etwas über Amerikana erfahren, und darüber hinaus war sie bereits informiert genug, um die Aufgabe weiterer Belehrung ebenso leicht wie angenehm zu gestalten. Sie befragte ihn auf sehr intelligente Weise, sie lauschte ihm ergeben, und da er auf den Ausdruck von Lethargie gefasst gewesen war, der normalerweise auf den Gesichtern seiner Zuhörer erschien, wurde er unter ihrem aufnahmebereiten Blick geradezu beredt. Die Bruchstücke, die sie klugerweise bei Selden hatte sammeln können – genau diesen Zufall voraussehend –, halfen ihr nun so ausgezeichnet, dass sie schon anfing, ihren Besuch bei ihm für das glücklichste Vorkommnis des Tages zu halten. Sie hatte wieder einmal ihr Talent bewiesen, vom Unerwarteten zu profitieren, und unter der Oberfläche lächelnder Aufmerksamkeit, die sie ihrem Reisegefährten weiterhin zuwandte, keimten gefährliche Theorien darüber, ob es ratsam sei, plötzlichen Eingebungen zu folgen.
Mr. Gryces Gefühle waren, wenn auch weniger entschieden, doch ebenso angenehm. Er empfand das undeutliche Kitzeln, mit dem die niederen Organismen auf die Befriedigung ihrer Bedürfnisse reagieren, und all seine Sinne taumelten in einem vagen Wohlgefühl, durch das er Miss Barts Person undeutlich aber wohltuend wahrnahm.
Mr. Gryces Interesse für Amerikana war nicht aus ihm selbst heraus erwachsen; es war unmöglich, ihn sich als jemanden vorzustellen, der eigenständig Geschmack an einer Sache findet. Ein Onkel hatte ihm eine Sammlung hinterlassen, die in bibliophilen Kreisen bereits Beachtung gefunden hatte. Das Vorhandensein dieser Sammlung war das Einzige, das je dem Namen Gryce eine gewisse Glorie verliehen hatte, und der Neffe war so stolz auf sein Erbe, als ob es sein eigenes Werk gewesen wäre. Es kam sogar so weit, dass er es als solches ansah und ein Gefühl persönlicher Selbstzufriedenheit empfand, wenn ihm ein Hinweis auf die Gryce’schen Amerikana in die Hände kam. Ängstlich bemüht, wie er war, persönlich nicht aufzufallen, hatte er doch ein so exquisites und übermäßiges Vergnügen daran, seinen Namen gedruckt zu sehen, dass dies geradezu ein Ausgleich für seine Furcht vor der Erregung persönlichen Aufsehens zu sein schien.
Um dieses Gefühl so oft wie möglich genießen zu können, abonnierte er alle Zeitschriften, die sich mit dem Sammeln von Büchern im Allgemeinen und mit amerikanischer Geschichte im Besonderen befassten. Da sich die Hinweise auf seine Bibliothek in den Seiten dieser Journale häuften, die sein einziger Lesestoff waren, begann er, sich selbst als jemanden zu sehen, der eine wichtige Stellung in der Öffentlichkeit einnimmt, und fing an, den Gedanken daran zu genießen, welches Interesse die Leute, die er auf der Straße traf oder zwischen denen er auf Reisen saß, an ihm haben würden, wenn sie plötzlich erführen, dass er der Besitzer der Gryce’schen Amerikana sei.
Die meisten Ängste haben solche geheimen Möglichkeiten der Kompensation, und Miss Bart war scharfsichtig genug zu erkennen, dass innere Eitelkeit im Allgemeinen in direkter Proportion zur äußeren Geringschätzung der eigenen Person steht. Mit einem selbstbewussteren Menschen hätte sie nicht gewagt, sich so lange bei einem Thema aufzuhalten oder so übertriebenes Interesse dafür zu zeigen; aber sie hatte erraten, dass Mr. Gryces Egoismus ein durstiger Boden war, der nach ständiger Nahrung von außen verlangte. Miss Bart hatte die Gabe, einen verborgenen Gedankengang zu verfolgen, während sie an der Oberfläche der Unterhaltung mit Leichtigkeit dahinzugleiten schien, und in diesem Fall nahm ihr gedanklicher Abstecher die Gestalt eines schnellen Überblicks von Mr. Percy Gryces Zukunft in Verbindung mit ihrer eigenen an. Die Gryces kamen aus Albany und waren erst vor kurzem in die Hauptstadt eingeführt worden, in die Mutter und Sohn nach dem Tode des alten Jefferson Gryce gekommen waren, um sein Haus in der Madison Avenue in Besitz zu nehmen – ein scheußliches Haus, ganz brauner Stein von außen und schwarzes Walnussholz von innen, mit der Gryce’schen Bibliothek in einem feuersicheren Anbau, der wie ein Mausoleum aussah. Lily wusste jedoch bereits alles über sie: Die Ankunft des jungen Mr. Gryce hatte die Mutterherzen von New York höher schlagen lassen, und wenn ein Mädchen keine Mutter hat, die für es ins Zittern kommt, muss es verständlicherweise selbst auf dem Posten sein. Lily hatte deshalb nicht nur dafür gesorgt, den Weg des jungen Mannes zu kreuzen, sondern auch die Bekanntschaft von Mrs. Gryce gemacht, einer monumentalen Erscheinung mit der Stimme eines Kanzelpredigers und einem Kopf, der voll war von den Schandtaten ihrer Dienstboten. Diese Dame kam manchmal, um Mrs. Peniston Gesellschaft zu leisten und zu erfahren, wie es ihr gelang, das Küchenmädchen daran zu hindern, Esswaren aus dem Haus zu schmuggeln. Mrs. Gryces Wohltätigkeit war von ganz und gar unpersönlicher Art: Fälle, in denen es um die Notlage eines Einzelnen ging, betrachtete sie mit Misstrauen, aber sie unterstützte Institutionen, wenn deren Jahresbericht ein eindrucksvolles Plus verzeichnete. Ihre häuslichen Pflichten waren zahlreich, denn sie reichten von heimlichen Inspektionen der Dienstbotenkammern bis zu unangekündigten Besuchen im Keller; viele Vergnügungen hatte sie sich dagegen nie erlaubt. Einmal jedoch ließ sie eine Sonderausgabe des Sarum Rule1 in roter Schrift drucken und versah alle Kleriker der Diozöse damit. Das vergoldete Album, in dem die Dankesbriefe eingeklebt waren, stellte das wichtigste Schmuckstück auf dem Tisch ihres Salons dar.
Percy war nach Grundsätzen erzogen worden, die eine so exzellente Frau gar nicht umhinkonnte, ihm einzuimpfen. Jede Form von Vorsicht und Misstrauen war einer Natur eingepflanzt worden, die von sich aus schon zögernd und vorsichtig war, mit dem Resultat, dass es für Mrs. Gryce kaum nötig gewesen wäre, ihrem Sohn das Versprechen wegen der Überschuhe abzunehmen, so wenig wahrscheinlich war es, dass er sich im Regen draußen in Gefahr gebracht hätte. Nachdem er volljährig geworden war und das Vermögen des seligen Mr. Gryce geerbt hatte, das dieser mit einem Patent, um frische Luft von Hotels fernzuhalten, gemacht hatte, lebte der junge Mann zunächst weiterhin mit seiner Mutter in Albany; aber nach Jefferson Gryces Tod, als ein weiterer großer Besitz in die Hände ihres Sohnes überging, fand Mrs. Gryce, dass, was sie seine »Interessen« nannte, seine Anwesenheit in New York erforderte. Sie ließ sich also in dem Haus in der Madison Avenue nieder, und Percy, dessen Pflichtgefühl dem seiner Mutter in nichts nachstand, verbrachte all seine Wochentage in einem hübschen Büro in der Broad Street, wo ein Trupp blasser Männer für ein kleines Gehalt bei der Verwaltung der Gryce’schen Besitzungen ergraut war, und wo er mit angemessener Ehrerbietung in alle Einzelheiten der Kunst des Geldscheffelns eingewiesen wurde.
Soweit Lily in Erfahrung bringen konnte, war dies bisher Mr. Gryces einzige Beschäftigung gewesen, und man sollte ihr verzeihen, dass sie die Aufgabe nicht als allzu schwer empfand, das Interesse eines jungen Mannes zu wecken, den man bei so strenger Diät gehalten hatte. Auf jeden Fall fühlte sie sich so völlig Herrin der Lage, dass sie sich einem Gefühl der Sicherheit hingab, in dem alle Furcht vor Mr. Rosedale und vor den Schwierigkeiten, von denen diese Furcht abhing, hinter dem Horizont bewussten Denkens verschwanden.
Dass der Zug in Garrisons hielt, hätte sie von ihren Gedanken nicht abgelenkt, wenn sie nicht plötzlich einen gequälten Ausdruck in den Augen ihres Reisegefährten entdeckt hätte. Sein Sitz war der Tür zugewandt, und sie erriet, dass er von einem sich nähernden Bekannten beunruhigt worden war, eine Tatsache, die durch sich umwendende Köpfe und eine allgemeine Unruhe bestätigt wurde, so wie es oft geschah, wenn sie selbst ein Eisenbahnabteil betrat.
Sie erkannte die Symptome sofort und war nicht erstaunt, von der hohen Stimme einer hübschen Frau begrüsst zu werden, die in den Zug kam in Begleitung einer Zofe, eines Bullterriers und eines Gepäckträgers, der unter der Last von Taschen und Reisenecessaires daherwankte.
»Oh, Lily – fährst du nach Bellomont? Dann kannst du mir wohl СКАЧАТЬ