Paulus und die Anfänge der Kirche. Sabine Bieberstein
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СКАЧАТЬ tritt dieses Siebenerkollegium im weiteren Verlauf der Apostelgeschichte gar nicht in dieser Funktion in Erscheinung. Vielmehr agieren prominente Mitglieder dieses Kreises wie Stephanus und Philippus als Verkündiger des Evangeliums und Wundertäter (Apg 6,8–15; 8,4–8.26–40). Ausserdem deutet einiges darauf hin, dass Stephanus und Philippus auch inhaltlich andere Akzente setzten als die Aramäisch sprechenden Gemeindemitglieder: Stephanus tritt massiv mit Kritik an Tempel und Tora auf – und erleidet dafür den Märtyrertod (Apg 6–7). Und Philippus ist mit der Taufe des gottesfürchtigen äthiopischen Kämmerers der erste im Erzählverlauf der Apostelgeschichte, der einen Nichtjuden in die Jesusgemeinschaft aufnimmt (Apg 8,26–40).

      Sozialgeschichtlich betrachtet scheint es also nicht nur um eine Funktionsteilung gegangen zu sein, bei der das Siebenerkollegium die caritativen Funktionen und der Zwölferkreis die Aufgaben der Verkündigung übernahm. Vielmehr werden unterschiedliche Gemeindeteile sichtbar, die unterschiedliche Leitungsstrukturen herausbildeten. Dabei fungierte der Siebenerkreis – analog zu den Leitungsstrukturen, die aus Diasporasynagogen bekannt sind – als Leitungsgremium des Griechisch sprechenden Gemeindeteils.36

      Die Bedeutung dieses Griechisch sprechenden Gemeindeteils für die weitere Entwicklung des «Christentums» kann kaum hoch genug eingeschätzt werden.37 Nicht nur, dass die Begüterten unter ihnen zur Versorgung der gesamten Jerusalemer Jesusanhängerschaft entscheidend beitrugen und auch Versammlungsmöglichkeiten für den Aramäisch sprechenden Gemeindeteil zur Verfügung stellten. Sie entwickelten auch theologische und christologische Ansätze, die sich als anknüpfungsfähig für die Verkündigung der Christusbotschaft unter Nichtjuden erwiesen. Sie trugen entscheidend |37| zur Transformation der Christusbotschaft in griechisch geprägtes Denken bei.

      «Die hellenistischen Judenchristen sind sozusagen die Brücke zwischen Jesus und Paulus.»38

      Die frühe und schnelle Verbreitung der Christusbotschaft in verschiedene Städte Nordafrikas, Syriens, Kleinasiens, Griechenlands und bis hin nach Rom ist sicher zu einem guten Teil den Verbindungen dieser Diasporajuden in ihre Herkunftsstädte zu verdanken.

      Wenn die Apostelgeschichte in 8,1 von der Flucht der Gemeindemitglieder aus Jerusalem wegen einer Verfolgung nach der Ermordung des Stephanus erzählt – «mit Ausnahme der Apostel» –, dann sind hier vor allem diese Griechisch sprechenden Gemeindeteile und ihre Repräsentanten im Blick. Als Folge dieser Flucht beginnt die Apostelgeschichte im Anschluss von der Verbreitung des Christusglaubens auch ausserhalb von Judäa zu erzählen. Den ersten Schritt nach Samaria und sodann in die Küstenebene macht sie dabei bezeichnenderweise an Philippus fest, einem Mitglied des Siebenerkollegiums (Apg 8,4–40). Vermutlich haben die Mitglieder des Siebenerkreises nach dem einschneidenden Ereignis der Tötung des Stephanus die Stadt verlassen.39 Von nun an geraten mit Damaskus und Antiochia zwei bedeutende Städte ins Blickfeld des Interesses, in denen entscheidende Weichen für die weitere Entwicklung des Christusglaubens gestellt wurden.

       Samaria, Antiochia, Damaskus – Der Schritt zu «den Völkern»

      Kennzeichnend für die Ausbreitung der Christusbotschaft nach dem Martyrium des Stephanus ist nach dem Bild, das die Apostelgeschichte entwirft, die Aufnahme von Menschen nichtjüdischer Herkunft in die Gemeinschaft der Jesusnachfolge. Mit Samaria kommt zunächst ein aus Jerusalemer Perspektive nicht als «richtig» jüdisch anerkanntes Gebiet in den |38| Blick. Mit Philippus verkündet ein Mitglied des Siebenerkreises als erster in dieser Region (Apg 4,5–8). Nach Ausweis der Apostelgeschichte tat er dies mit einigem Erfolg. Es scheint, dass mit dem Christusglauben sich den Samaritanern eine Möglichkeit der gleichwertigen Zugehörigkeit zum Gottesvolk bot.40 Philippus ist es auch, der sich nach Apg 8,40 der Küstenebene und damit einem Gebiet mit griechischer Bevölkerungsmehrheit zuwandte. Und er ist derjenige, der nach der Apostelgeschichte zum ersten Mal einen Nichtjuden ohne Beschneidung und allein durch die Taufe in die Jesusgemeinschaft aufnimmt (Apg 8,26–39).

      Exkurs

      Zwar wird der äthiopische Eunuch (in den Übersetzungen meist als «Kämmerer» wiedergegeben), der von Philippus getauft wird, in Apg 8,27 als jemand gekennzeichnet, der nach Jerusalem gekommen war, «um Gott anzubeten», und er liest in seinem Reisewagen auch in den jüdischen Heiligen Schriften, genauer: im Buch Jesaja. Doch dürfte mit dieser Charakterisierung kaum gemeint sein, dass er als Proselyt anzusehen ist, also als jemand, der im vollumfänglichen Sinne zum Judentum konvertiert ist. Denn nach Dtn 23,2 konnte ein Eunuch gar nicht vollgültig Jude werden. Vielmehr erscheint der Eunuch hier als ein Gottesfürchtiger, also als einer, der mit dem Judentum zwar sympathisierte und sich im Umkreis der Synagoge bewegte, jedoch den letzten Schritt des Übertritts, der für Männer die Beschneidung bedeutete, nicht vollzogen hatte.41

      Wie die Verkündigungsarbeit des Philippus in Apg 8,4 als eine Folge der «Zerstreuung» nach dem Martyrium des Stephanus dargestellt worden war, so wird in Apg 11,19 auch die Verkündigung in weiteren Gebieten als eine Folge jener «Zerstreuung» dargestellt. Dabei wird die syrische Grossstadt Antiochia als diejenige hervorgehoben, in der das Evangelium gezielt und offenbar in grossem Umfang auch Griechen verkündet wurde, und zwar von Jesusgläubigen aus der Diaspora:

      «Bei der Verfolgung, die wegen Stephanus entstanden war, kamen die Versprengten bis nach Phönizien, Zypern und Antiochia; doch verkündeten sie das Wort nur den Juden. Einige aber von ihnen, die aus Zypern |39| und Zyrene stammten, verkündeten, als sie nach Antiochia kamen, auch den Griechen das Evangelium von Jesus, dem Herrn.» (Apg 11,19 f.)

      In der Folge ist es Barnabas, der, von der Gemeinde in Jerusalem nach Antiochia gesandt, als massgeblicher Verkündiger in Antiochia hervortritt. Er ist es auch, der den mittlerweile vom Christusglauben überzeugten Saulus aus Tarsus wieder nach Antiochia holt und gemeinsam mit ihm dort eine erfolgreiche Arbeit leistet (Apg 11,22–26). Und in Antiochia erhielten die Jesusgläubigen zum ersten Mal eine Bezeichnung durch Aussenstehende, die sie als eine eigene Gruppe neben der jüdischen Gemeinschaft kennzeichnete: christianoi, Christen (Apg 11,26).

      Antiochia war zu jener Zeit eine Grossstadt von ausserordentlicher Bedeutung, wenngleich die Stadt des ersten Jahrhunderts noch längst nicht die Grösse und den Glanz der spätantiken Stadt erlangt hatte. Seit 27 v. Chr. war es die Hauptstadt der römischen Provinz Syrien und Sitz des römischen Statthalters. Es zählte neben Rom und Alexandria zu den «Weltstädten» des Römischen Reiches, und der jüdische Historiker Flavius Josephus gibt dieser Stadt «wegen ihrer Grösse und ihres allgemeinen Wohlstandes unwidersprochen den dritten Platz in der von den Römern beherrschten Welt»42.

      Exkurs

      Die genauen Einwohnerzahlen antiker Städte sind nur schwer zu ermitteln. Im Falle von Antiochia wird aufgrund verschiedener Zahlenangaben in antiken Quellen zumeist von der für eine antike Stadt enormen Grösse zwischen 300 000 und 600 000 Einwohnern ausgegangen.43 Doch sind die Zahlenangaben der antiken Autoren insgesamt recht inkonsistent. Wenn man die Grösse des antiochenischen Stadtareals der frühen Kaiserzeit mit einbezieht, sind die in der heutigen Diskussion gängigen Zahlen eher nach unten zu korrigieren. So geht Frank Kolb für die frühe Kaiserzeit von höchstens 250 000 Einwohnern der Stadt aus, was allerdings für die Antike immer noch eine beachtliche Grösse darstellt.44

      |40| Antiochia lag ausserordentlich günstig am Knotenpunkt des kleinasiatischen und orientalischen Strassennetzes, und sein Hafen eröffnete Handelswege in das gesamte Mittelmeergebiet. Doch war die Stadt nicht nur eine Wirtschaftsmetropole, sondern als Provinzhauptstadt auch ein Zentrum der römischen Verwaltung. Griechisch war die dominierende Sprache, insbesondere im Handel und in allen Bereichen der Politik. Dagegen sprach die einheimische Bevölkerung Syrisch.

      Eine lange Tradition hatte die dortige jüdische Gemeinde, die zwar als eine der bedeutendsten der Diaspora gilt,45 über deren genaue Grösse aus den Quellen allerdings kaum konkrete СКАЧАТЬ