Paulus und die Anfänge der Kirche. Sabine Bieberstein
Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Paulus und die Anfänge der Kirche - Sabine Bieberstein страница 7

СКАЧАТЬ 3,2–10). Das Tempelareal ist aber auch Ort von Konflikten mit jüdischen Behörden (Apg 4). Einerseits ist in diesem Erzählzug ein spezifisch lukanisches Darstellungsinteresse zu beobachten, der dem Tempel in seinen Schriften insgesamt eine besondere Bedeutung zuweist.17 Anderseits sind darin auch historische Erinnerungen enthalten. Ob sich die Jesusgruppe auch mit eigenen Opfern am Tempelkult beteiligte, ist den Texten nicht eindeutig zu entnehmen; doch könnte die kleine Szene in Apg 21,26, die selbstverständlich davon ausgeht, dass für Paulus und seine Begleiter nach der vorgeschriebenen Reinigung Opfer dargebracht werden, auf eine solche anfängliche Opferpraxis der Jerusalemer Jesusgemeinschaft hindeuten.18

      Zunehmende Bedeutung als Versammlungsorte der entstehenden Gemeinschaften gewannen private Häuser, in denen man sich zum «Gebet» (Apg 1,14 u. ö.) sowie zum «Brotbrechen» traf (Apg 2,42 u. ö.). Gemeinsame Mähler gehörten von Anfang an zur Praxis in der Jesusnachfolge und |28| bildeten den Ausgangspunkt auf dem Weg zur Herausbildung der spezifischen urchristlichen Gottesdienstpraxis.19

      Die von Lukas so betonte Gemeinschaft und die gemeinsamen Mähler haben auch einen konkreten sozialen Hintergrund: Die ersten Jesusanhängerinnen und -anhänger entstammten nicht den wohlhabenden Schichten, sondern gehörten zu den relativ und absolut Armen.20 Paulus spricht in Röm 15,26 explizit von den «Bettelarmen» (ptochoi) in der Gemeinde von Jerusalem, denen sein umfangreiches Kollektenprojekt zugutekommen sollte.21 In einem solchen Kontext sind gemeinschaftliche Mähler von kaum zu überschätzender lebenspraktischer Bedeutung, ganz ähnlich wie dies bereits in der ersten Jesusbewegung der Fall gewesen war. In jenen Mählern Jesu, die ihm die Beschimpfung als «Fresser und Weinsäufer» (Lk 7,34) eingebracht hatten, war die Wirklichkeit des Reiches Gottes konkret zu erleben, und zwar sowohl was die Fülle der für alle zur Verfügung stehenden Speisen betraf als auch im Blick auf die alle menschengemachten Grenzen überschreitende Gemeinschaft.

      Das Überleben und Zusammenleben der Jerusalemer Jesusgemeinschaft wurde nach dem Bild, das die Apostelgeschichte zeichnet, ganz konkret durch Gütergemeinschaft ermöglicht (Apg 2,45; 4,32–37). Gewiss entwirft Lukas dadurch ein idealisierendes Bild von den Anfängen der Jerusalemer Gemeinde. Nicht zuletzt zeigen gerade die positive Hervorhebung von vorbildhaften Einzelfiguren wie Barnabas (Apg 4,36 f.) auf der einen Seite sowie Negativerzählungen wie diejenige über den Betrug von Hananias und Sapphira (Apg 5,1–11) auf der anderen, dass es wohl nicht immer so ideal zugegangen ist. Dennoch: Historisch gesehen lässt gerade das Beispiel des Barnabas, der als ein aus der Diaspora zugewanderter Jude charakterisiert wird, auf einen innergemeindlichen Güteraustausch schliessen, bei dem wohlhabendere Gemeindemitglieder vornehmlich aus der Diaspora die |29| ärmeren aus Galiläa stammenden Jesusnachfolger sowie Witwen und andere Mittellose materiell unterstützten.22

      Wenn Lukas also von der Gütergemeinschaft der Jerusalemer Jesusgemeinschaft spricht, greift er damit zwar auch jüdische und griechische Sozialutopien auf und stellt seiner Leserschaft ein idealisiertes Bild der Anfänge vorbildhaft vor Augen, um sie zu einer ähnlichen Praxis zu motivieren. Doch können wir seiner idealisierenden Darstellung durchaus einen historischen Kern entnehmen, wonach «das gemeinsame Leben der Ekklesia nicht nur durch religiösen, sondern auch durch einen gewissen ökonomischen Austausch bestimmt war.»23

      1.5.4

       Leitungsstrukturen und Führungsfiguren

      1.5.4.1

       Der Zwölferkreis

      Nach dem Bild der Apostelgeschichte liegt der Ursprung der Jerusalemer Jesusgemeinschaft beim Zwölferkreis, der durch Frauen, Brüder bzw. Geschwister Jesu sowie die Mutter Jesu ergänzt wird. Die Gruppe derer, die sich nach der Aufnahme Jesu in den Himmel im «Obergemach» versammelte, wird folgendermassen beschrieben:

      «Als sie in die Stadt kamen, gingen sie in das Obergemach hinauf, wo sie nun ständig blieben: Petrus und Johannes, Jakobus und Andreas, Philippus und Thomas, Bartholomäus und Matthäus, Jakobus, der Sohn des Alphäus, und Simon, der Zelot, sowie Judas, der Sohn des Jakobus. Sie alle verharrten dort einmütig im Gebet, zusammen mit den Frauen und mit Maria, der Mutter Jesu, und mit seinen Brüdern.» (Apg 1,13 f.)

      Manches spricht dafür, dass der Zwölferkreis nach seiner Rückkehr nach Jerusalem24 dort zunächst eine führende Funktion in der entstehenden Jesusgemeinschaft eingenommen hat. Allerdings wird eine wirkliche Leitungsfunktion des Zwölferkreises nur in Apg 6,2 vorausgesetzt: Hier treten die |30| Zwölf als diejenigen auf, die aufgrund der Konflikte bei der Versorgung von Witwen die gesamte Jüngerschaft einberufen, um nach einer Lösung zu suchen. Ansonsten scheinen sie eher eine symbolische Bedeutung gehabt zu haben, indem sie die Hoffnung auf die Wiederherstellung des Zwölfstämmevolkes verkörperten.25

      Für die Darstellung des Lukas ist es von grosser Bedeutung, dass der Zwölferkreis nach dem Ausscheiden des Judas durch eine Nachwahl wieder vervollständigt wird (Apg 1,15–26); denn dieser Zwölferkreis garantiert für ihn die Kontinuität von der Zeit des Lebens Jesu über den Bruch des Karfreitags hinweg bis in die Zeit der beginnenden Kirche. Dies zeigt besonders deutlich die Erzählung über die Wahl des Matthias in den Zwölferkreis; denn als Aufnahmebedingung für das nachzuwählende Mitglied dieses Kreises wird die Präsenz während der gesamten Zeit des Wirkens Jesu bis hin zu seiner Aufnahme in den Himmel gefordert. Als besondere Aufgabe wird das Bezeugen der Auferstehung Jesu genannt:

      «Einer von den Männern, die die ganze Zeit mit uns zusammen waren, als Jesus, der Herr, bei uns ein und aus ging, angefangen von der Taufe des Johannes bis zu dem Tag, an dem er von uns ging und (in den Himmel) aufgenommen wurde, – einer von diesen muss nun zusammen mit uns Zeuge seiner Auferstehung sein.» (Apg 1,21 f.)

      Dabei setzt Lukas den Zwölferkreis mit dem Kreis der Apostel gleich (Apg 1,25 u. ö.). Historisch müssen der Zwölferkreis und die Gruppe der Apostel allerdings als zwei zumindest nur teilweise deckungsgleiche Personengruppen mit unterschiedlichen Funktionen betrachtet werden. Während der Zwölferkreis mit einiger Wahrscheinlichkeit auf Jesus selbst zurückgeht und als lebendiges Zeichen für die Hoffnung auf die Wiederherstellung Israels fungieren soll, wissen sich die Apostel von Gott bzw. dem Auferstandenen zur Verkündigung ausgesandt. Auch das (vorpaulinische) Glaubensbekenntnis in 1 Kor 15,3b–7 nennt den Zwölferkreis und die Apostel als zwei unterschiedliche Gruppen. Lukas identifiziert diese beiden Gruppen. Deshalb wird in der Apostelgeschichte nicht |31| einmal Paulus mit dem Aposteltitel bedacht – mit der einzigen und fast versehentlichen Ausnahme von Apg 14,4 f.14.

      Exkurs

      Paulus selbst vertritt in seinen Briefen ein dezidiert anderes Apostelverständnis. So kann er in Röm 16,7 mit Andronikus und Junia einen Mann und eine Frau, die in keiner Weise mit dem Zwölferkreis in Verbindung zu bringen sind, als Apostel – und sogar als «hervorragend unter den Aposteln» – bezeichnen. Auch beansprucht Paulus den Aposteltitel für sich selbst, und mit Vehemenz setzt er sich dagegen zur Wehr, dass ihm einige Mitglieder der korinthischen Gemeinde diesen Titel streitig machen wollen (1 Kor 9).

      Lukas macht an den Aposteln, die er mit dem Zwölferkreis gleichsetzt, die Glaubwürdigkeit der Botschaft Jesu und der Botschaft über Jesus fest. Sie stehen für die Kontinuität von der Zeit des Wirkens Jesu bis in die nachösterliche Zeit und erhalten die Funktion eines Fundaments, das in diesen Anfangszeiten gelegt wird. Interessant ist, dass gemäss der Apostelgeschichte nach jener ersten Ersatzwahl kein weiteres Mitglied des Zwölferkreises mehr ersetzt wird, auch nicht als Jakobus, der Bruder des Johannes, den Märtyrertod stirbt (Apg 12,1–2).

      «Das Apostelamt ist für Lukas nicht übertragbar. Es gibt auch hier keine ‹Nachfolger der Apostel›. Die Apostel sind für die Kirche eben so etwas wie das ‹Fundament›. Das Fundament kann nicht beliebig erweitert oder verändert werden.»26

      1.5.4.2

       СКАЧАТЬ