Название: Unklare Verhältnisse
Автор: Inga Brock
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
Серия: Lindemanns
isbn: 9783881909990
isbn:
Gibt es etwas, das mehr über einen Menschen aussagt als die Handschrift? Nicht vieles. Ich habe mir deshalb die Mühe gemacht, einige Schriftproben von mir beizufügen. Damit Sie etwas zu tun haben.
Ich habe sofort gespürt, dass dieser erste Brief tatsächlich von Mark persönlich stammte, obwohl das von außen erst mal nicht zu merken war. Den von mir frankierten und adressierten Rückumschlag hatte er mit einem Stempelabdruck versehen, auf dem sein Profil zu sehen war. Überflüssig zu sagen, dass er im Profil sehr schön ist. Den Brief selbst hatte er mit schwarzer Tinte geschrieben. Ich füge ihn diesem Bericht bei. Ich bin mir sicher, dass es nur wenige Männer gibt, die eine ähnlich sanfte Handschrift haben, leicht nach links geneigt (Stärke!), mit langen Bögen und winzigen I-Punkten. Und erst, was er geschrieben hatte: wie sehr er sich gefreut habe, wie anspornend mein Brief gewesen sei und dass er sich von Herzen wünsche (von Herzen!), dass ich ihm auch weiterhin gewogen bleibe. So schön altmodisch konnte er sich ausdrücken! Und kein Wort der Verwunderung oder des Ärgers darüber, dass ich ihm zu nah gekommen war, indem ich den Brief bei ihm eingeworfen hatte. Ich schwebte im siebten Himmel und wurde noch ein bisschen mutiger.
Beim nächsten Mal schickte ich ihm (zusammen mit einem wirklich sehr guten Foto von mir sowie einer Einladung) mein Lieblingszitat aus der Bibel – das mit Gott und der Liebe und „Gott bleibt in ihm“ (1. Johannes 4, 16). Ich weiß nicht, was ihn letztlich dazu veranlasst hat zuzusagen, aber ich bin mir ziemlich sicher, dass es das Zitat aus der Bibel war.
Das Foto von mir ist vor ein paar Jahren bei einer Feier am Institut gemacht worden (Abzug liegt bei) und zeigt mich in sehr ausgelassener Stimmung: Ich tanze, lache und habe dabei die Augen geschlossen. Meine Haare umgeben mich wie ein Kranz, meine Zähne blitzen, sogar meine Zunge ist zu sehen. Ich trage ein weißes Top und eine enge blaue Jeans. Auf der Einladung stand: Wollen wir uns sehen? Sonst nichts. Reicht ja auch.
Mit Prominenten ist es doch so: Kein Mensch, jedenfalls keiner, der nicht ebenfalls Sänger ist oder sonst irgendwie bekannt, traut sich, einen „Star“ so zu behandeln, als wäre er der nette Typ von nebenan. Und wie soll so jemand sicher sein, dass sein Gegenüber nicht ausschließlich den Star in ihm sieht, das Geld und den Ruhm? Nach meinem ersten Brief an Mark behandelte ich ihn also „ganz normal“. In der Liebe ist alles erlaubt, heißt es doch, oder? Mark biss natürlich an und hatte das Glück seines Lebens direkt vor seiner Nase. (Und das meine ich jetzt kein bisschen zynisch. Dass er sein Glück mit Füßen treten würde, wusste ich zu diesem Zeitpunkt ja noch nicht.)
So einfach war das also. Prominente sind eben auch nur Menschen, ähnlich einsam und gestört wie wir alle, verloren, bis Gott uns findet und wir ihn.
Im Radio, sofern deutsche Titel gespielt werden oder Englisch für den Zuhörer kein ernsthaftes Verständigungsproblem darstellt, wimmelt es von versteckter und direkter Anmache. Schon mal darauf geachtet? Menschen, die einsam sind, kann das schwer zusetzen, keine Frage, und insofern hatte Ihre Kollegin (die Polizeipsychologin) natürlich recht. Aber ich war das letzte Mal einsam, als ich noch in Marschalkenzimmern lebte und den Weg zur St.-Nikolas-Kirche noch nicht kannte. Danach nie wieder. (Hallo Gutachter! Dick markieren!)
Zunächst dachte ich, ich sei in meinem zweiten Brief zu weit gegangen, denn er meldete sich sehr lange nicht. Erst hinterher habe ich erfahren, dass sein Vater in dieser Zeit im Sterben gelegen hatte, und dann schämte ich mich für meine Ungeduld. Es ist schlimm, wenn die eigenen Eltern sterben. Für die meisten jedenfalls.
Sein Antwortbrief (liegt nicht bei) war gar kein Brief, sondern eine Postkarte. „Wann? Bald?!“ stand darauf und „M.“ Die Vorderseite war die Schwarz-Weiß-Fotografie eines Seesterns. Sie hing lange Zeit gerahmt über meinem Bett.
Mit meiner dritten Nachricht habe ich mir dann Zeit gelassen. Er hatte angebissen und, so leid es mir tat, ich musste ihn zappeln lassen. Das alte Spiel. In der Liebe und im Krieg ...
Nach zwei Wochen, in denen ich, abgesehen von der Zeit, in der ich an der Uni war, fast ununterbrochen seine CDs hörte, schrieb ich ihm ebenfalls eine Postkarte.
Vorn war eine liegende Frau zu sehen. Ein Spätwerk von Picasso, glaube ich. Auf die Rückseite schrieb ich: „Freitag, 13. August, 18.00 Uhr, Eingang Botanischer Garten, Karlsruhe. Deine R.“
„R“ steht für Rahel, so heiße ich. Natürlich ist das nicht der Name, den meine Eltern für mich ausgesucht haben. Ihre Wahl fiel damals auf „Ingrid“. Noch Fragen?
Rahel nenne ich mich seit meiner Freiburger Zeit. Der Name stammt aus dem Alten Testament. Rahel war Jakobs Lieblingsfrau, aber es hat eine Zeit gedauert, bis er sie „haben“ konnte. Gottes Werk. Natürlich. Davon abgesehen passt der Name wirklich perfekt zu meinem Äußeren.
Er kam. Und es wurde ein unglaublicher Abend. Ich hatte Tage damit zugebracht, mir über meine Kleidung Gedanken zu machen. Und dann trugen wir beide das Gleiche! Jeans und ein weißes Hemd. Wir lachten, als wir uns trafen, wir strahlten, wir umarmten uns, drückten unsere Wangen aneinander und noch ein bisschen mehr und verteilten Luftküsse. Es war von Anfang an so einfach zwischen uns.
Zum Botanischen Garten gehört außer einem altehrwürdigen Gewächshaus ein wunderschöner Garten, der von schmalen Kieswegen durchzogen wird. Dorthin schlenderten wir als Erstes. Sogar das Wetter machte mit. Es war ein Bilderbuch-Sommertag, noch wunderbar warm, aber nicht mehr zu heiß. Ich zog meine Riemchensandalen aus und lief barfuß auf dem kurz geschnittenen Gras neben den Wegen. Vom Botanischen Garten führte ein lang gezogener Weg in den Garten des Karlsruher Schlosses. Viele Leute waren unterwegs: Studenten, die Frisbee spielten, Leute, die eben ihre Decken zusammenpackten und die umliegenden Biergärten ansteuerten, Jogger, Spaziergänger, Hundebesitzer und Mütter, die Kinderwägen schoben. Wir redeten und redeten, ich weiß beim besten Willen nicht mehr, über was genau (es spielt ja wohl auch keine Rolle mehr). Jedenfalls war keine Sekunde verkrampft, langweilig oder befangen.
Ich fragte ihn, ob er Durst hätte. Daraufhin öffnete er seine dicke schwarze Tasche und deutete lächelnd auf den Hals einer Champagnerflasche. Sogar langstielige Gläser hatte er dabei, eingepackt in etwa zwei Kilometer Toilettenpapier! Darüber mussten wir so lachen, dass wir uns fast nicht mehr einkriegten. Wir saßen mittlerweile am Ende eines Steges, der in den Seerosenteich des Schlosses ragte, hatten die Hosenbeine unserer Jeans hochgekrempelt, ließen die Füße ins Wasser baumeln und wickelten aus und wickelten aus und wickelten aus. Wir krümmten uns vor Lachen, wir hielten uns die Bäuche und stützten uns gegenseitig. Wir waren beschwipst, keine Frage, aber noch bevor wir den ersten Schluck getrunken hatten! Er hielt mich fest und dann, ja, dann küsste er mich zum ersten Mal. Mark konnte wunderbar küssen.
Im Grunde ist die Geschichte für mich genau hier beendet. Alles, was danach kommt, tut noch zu sehr weh. Aber ich nehme an, dass das genau das ist, was jetzt alle wollen, oder? Mir wehtun.
Wie Sie sich sicherlich schon gedacht haben, endete dieser erste Abend in meinem Bett. Mark war ein guter Liebhaber, aber ich machte den Fehler, sein Können vor allem auf mich zu beziehen. Noch als er längst gegangen war, wärmte mich das Gefühl, mit der Liebe meines Lebens geschlafen zu haben. LIEBE MEINES LEBENS, verstehen Sie? Ich kann nichts dafür, dass dieser Begriff mittlerweile so dermaßen abgedroschen klingt.
Er meldete sich nicht. Nicht am nächsten Tag, nicht in der nächsten Woche. Ich machte mir entsetzliche Sorgen. Sein Handyanschluss war nicht erreichbar und bei ihm daheim schaltete sich nicht mal der Anrufbeantworter ein. Ich wurde halb wahnsinnig vor Angst. Am Mittwoch, nachdem fünf qualvolle Tage vergangen waren, erkundigte ich mich in den umliegenden Krankenhäusern nach ihm, aber nirgendwo zwischen Karlsruhe СКАЧАТЬ