Unklare Verhältnisse. Inga Brock
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Название: Unklare Verhältnisse

Автор: Inga Brock

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия: Lindemanns

isbn: 9783881909990

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СКАЧАТЬ ihr nur noch mit einem Satz zur Seite ausweichen konnte. Wir mussten beide lachen, sie entschuldigte sich und wir kamen miteinander ins Gespräch. Sie erzählte mir aufgeregt, dass ihr gerade schlagartig eingefallen sei, dass sie beim Einkaufen das Allerwichtigste vergessen hätte: die Milch für die Kinder. Ich fragte sie, ob es weit sei bis zum Laden, und sie erklärte mir, dass das nicht das Problem sei. Sie könne die Kinder aber unmöglich vor dem Supermarkt stehen lassen, bei all den Irren, die heutzutage herumliefen. Guter Witz! Also müsse sie die Kinder mit hineinnehmen, das sei aber deswegen ungünstig, weil sie endlich mal schliefen.

      Liebe deinen Nächsten wie dich selbst! Ich bot ihr an, sie zu begleiten und vor dem Supermarkt auf die Zwillinge aufzupassen. Sie machte so ein Aufheben um mein Angebot, das könne sie doch nicht annehmen, das sei ja unglaublich lieb von mir, das gehe aber doch wirklich nicht und so weiter. Ich bereute schon meinen spontanen Gutmensch-Entschluss und war kurz davor, sie mit ihren Bälgern stehen zu lassen, als sie endlich unter der Voraussetzung einwilligte, mich anschließend auf ein Glas Wein in ihre Wohnung einzuladen.

      Nichts passiert einfach so. Das zumindest dürfte Ihnen doch klar sein, oder?

      Als wir eine halbe Stunde später vor ihrer Haustüre standen, waren die Zwillinge wach und plärrten. Sie drückte mir einen der beiden in die Arme und ging vor mir her in den vierten Stock. Ich hörte IHN schon, je näher wir zur Wohnungstür kamen. Er sang.

      Ein junger Mann, Typ ewiger Soziologiestudent, machte die Tür auf und die Musik wurde noch lauter.

      Das ist, was ich hörte:

      Ich kann dich spür’n,

      will dich nicht verlier’n,

      so viele Nächte lang gewartet,

      so viele Träume ungeträumt,

      ich werde immer bei dir bleiben,

      so vieles haben wir versäumt.

      Irgendwo anders – wartet unser Glück,

      irgendwo anders – wir beide Stück für Stück,

      irgendwo anders – ich glaube fest daran,

      irgendwo anders – wir beide, Frau und Mann.

      Soll ich noch etwas über die Melodie schreiben? Also, sie ist eingängig. Eingängig, aber nicht schnulzig. So ein bisschen wie Musik von Xavier Naidoo. So ein bisschen jedenfalls, okay?

      Der Zwillingsvater glotzte mich an. Ich merkte, wie ich rot wurde. Ich fragte ihn, wer der Sänger sei, und er kapierte erst nicht, was ich meinte.

      „Sie meint die CD“, sagte seine Frau.

      Er nahm mir das Kind ab.

      „Mark Torani.“

      Ich hatte den Namen noch nie gehört, aber die Verbindung war sofort da. Es hing wohl mit der Art zusammen, wie er sang, mit dem „Schmelz“, wie man sagt und dabei jede Empfindung abwürgt, weil es so dermaßen abgedroschen klingt. Ich würde es vielleicht „Rauch“ nennen, auch bescheuert, aber besser kann ich es nicht beschreiben. Ich hatte jedenfalls den Eindruck, dass der, der da singt, nur für mich singt. Und genau so war es ja auch.

      Ein unbeschreibliches Glücksgefühl durchflutete mich. Ich weiß nicht, ob das irgendjemand nachvollziehen kann, der die wahre Liebe noch nicht erlebt hat, aber als ich Marks Musik und seinen Namen zum ersten Mal hörte, war es in etwa so, als hätte ich einen winzigen Zipfel von Gott gesehen. Verstehen Sie? Wohl kaum.

      Der Schlussakkord verklang und das Lied fing von vorne an.

      „Genial, oder?“, fragte der Studententyp, „ich hab’ die Repeat-Taste gedrückt.“

      Ich blieb noch eine Weile, in der die beiden vollauf damit beschäftigt waren, ihre Kinder abzufüllen und ruhigzustellen. Ich saß alleine auf dem winzigen Balkon, trank das Glas Rotwein, das die Frau mir gebracht hatte, schaute in den wunderschönen Abendhimmel und hörte Mark zu. Die Wolken sahen ganz zart und leicht aus, rosa und weiß und gelb, und ich spürte, wie nahe Gott mir war und wie viel Mut er mir machte.

      So fing es an mit Mark und mir.

      Er heißt übrigens wirklich Torani, sein Vater ist Italiener. Sein richtiger Vorname lautet allerdings „Marco“, aber die Plattenfirma fand Mark irgendwie besser. All so was findet sich auf seiner Homepage: seine Biografie, seine Veröffentlichungen, seine Tourpläne, seine Fan-Adresse, seine Merchandisingprodukte, sein Gästebuch, sein Forum. In der Mehrzahl sind es natürlich Frauen, die ihm schreiben, und es ist unglaublich, was diese Schlampen sich erdreisten. Es scheint sie auch nicht zu stören, dass jeder LESEN kann, was sie gerne mit ihm machen würden. Es gibt wohl keine, die nicht mit Freude für ihn ihr Höschen zur Seite schieben würde. Als ob Sex das wäre, wonach er suchte. „Gott ist die Liebe, und wer in der Liebe bleibt, bleibt in Gott und Gott bleibt in ihm.“ Aber von so was haben diese Weiber natürlich nicht die leiseste Ahnung.

      Das erste Mal geschrieben habe ich ihm etwa vor einem Jahr. Wie viel mir seine Musik bedeutet und wie tief mich seine Stimme berührt, dass alles, was er singt, auf mich geschrieben zu sein scheint, wie wichtig seine Musik für mein Leben ist und so weiter. Ich bin nicht blöd, ich weiß, dass er viele solcher Briefe bekommt. Jede dieser Schreckschrauben, die ihm täglich in sein Gästebuch sülzen, fühlt sich auserkoren und schreibt das Gleiche. Der Unterschied ist allerdings, dass ich tatsächlich meine, was ich schreibe, und vor allem, dass diese Tanten an seine Mailadresse schreiben oder an die Anschrift des Fanclubs, was lachhaft ist. Jeder weiß, dass er diese Briefe nie zu lesen kriegt.

      Ich habe ihm gleich beim ersten Mal nach Hause geschrieben und den Brief persönlich eingeworfen. Was war ich doch glücklich! Schon allein das Gefühl, das ich hatte, als ich die letzten paar Schritte auf seine Haustür zuging – genau den Weg, den er sonst immer geht, ER, immer, mit seinen Füßen, die seinen Körper tragen. Es ist unbeschreiblich schön gewesen.

      Mark lebt in Stuttgart, das ist über die Autobahn nicht mal eine Stunde von hier. Eine Studienkollegin von mir arbeitet dort am Institut für Organische Chemie und Mark hat vor ein paar Jahren, so steht es übrigens auch in seiner Biografie, ebenfalls in Stuttgart studiert. Chemie nicht, natürlich nicht, das passt nicht zu ihm. Außerdem hätten wir uns dann nie so gut ergänzt. Wenn auch nur für kurze Zeit.

      Er war für vier Semester am Institut für Erziehungswissenschaften und Psychologie eingeschrieben und hat es geschafft, neben seiner Musik auch den einen oder anderen Schein zu machen. Wer seine Musik und seine Texte hört, weiß, dass er kein Dummer ist. Die meisten Musiker haben wohl schlichtere Gemüter als Mark. Vermute ich.

      Ich traf mich also mit meiner Bekannten der guten alten Zeiten wegen, ließ Chemikergequatsche über mich ergehen und fragte irgendwann, ob sie für einen Kollegen von mir nicht die Adresse eines alten Schulfreundes rausbekommen könnte. Marco Torani hieß er und habe wohl auch mal an ihrer Uni studiert. Es war so was von einfach! Eine Woche später hatte ich seine Anschrift. Er wohnte noch immer in der Paulinenstraße, Paulinenstraße 12, 2. Stock.

      Es ist ein altes, sehr schönes Haus. Gründerzeit oder Jugendstil, keine Ahnung, mit Architektur kenne ich mich nicht aus. Die Fassade entlang der Fenster ist mit girlandenartigen Rahmen versehen, in der Mitte des Hauses sitzt eine Art Erker. Es ist riesig, fünf Stockwerke. Die einzelnen Zimmer haben hohe Decken und auch die sind mit Stuck verziert. „Herrschaftlich“, kam mir in den Sinn, als ich das erste Mal davorstand. Das Haus grenzt direkt an die Paulinenstraße und damals war ich froh darüber. Es fällt nicht besonders auf, СКАЧАТЬ