Unklare Verhältnisse. Inga Brock
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Название: Unklare Verhältnisse

Автор: Inga Brock

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия: Lindemanns

isbn: 9783881909990

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СКАЧАТЬ an und bohrte ihn schwungvoll und mit einer Drehbewegung so tief und fest hinein, wie es ging.

      „Passt mal auf, was da jetzt gleich los ist.“ Er freute sich.

      Dann der Standardspruch seiner Frau: „Ameisengift ist gut gegen Rheuma.“

      Seine Standardantwort: „Da weiß ich was Besseres.“ Zwinker, zwinker, erst zur Oma und dann zu seiner Frau, die gut gelaunt lachte und die beiden kleinen Mädchen an ihre bloßen, verschwitzten Arme drückte.

      Ritte auf Opa Hans’ Rücken fielen nach solchen Tagen aus, wurden am nächsten Morgen aber noch vor dem Frühstück nachgeholt.

      Zuerst ist der Opa gestorben, dann die Frau Lindenberger, dann der Herr Lindenberger, und jetzt lebt nur noch die Oma.

      Es ist passiert, als sie mal wieder stürzte. In der Stadt lag Schnee. An den Straßenecken türmten sich meterhohe Berge, die in der Nacht mit einer neuen Pulverschicht überzogen worden waren. Die Luft war eisig und der Himmel strahlend blau. Es war Anfang Dezember, die Leute waren in Weihnachtsstimmung und hatten noch nicht genug von Christkindlesmärkten, Weihnachtsbeleuchtung und verkleideten Nikoläusen. Die Stadtbediensteten in ihren orangefarbenen Anoraks hatten am Vorabend gründlich gestreut und am Morgen Schotter nachgeschaufelt.

      Die Oma hatte gute Laune. Sie hatte bei der Metzgerei „Sack“ ein Paar Wiener gekauft und sich schon auf den Kartoffelsalat gefreut, den sie später dazu bereiten wollte, mit Brühe und geschmelzten Zwiebelchen. Eine Fernsehzeitschrift hatte sie sich auch besorgt, jetzt fehlten nur noch Orangen, wie immer drei Stück. Eine davon wollte sie später mit Nelken bestücken, weil das so gut roch.

      Und genau in diesem Moment ist sie wieder gestürzt, aufs Gesicht. Natürlich. Sie lag auf der Kopfsteinbrücke, die über die Alb führt, und war zu wenig benommen, um sich nicht zu schämen. Gleich mehrere Passanten wandten sich ihr zu und wollten ihr beim Aufstehen helfen. Ein älterer Herr war aber der Schnellste von allen. Er beugte sich zu ihr herunter und fragte, ob er ihr aufhelfen dürfte.

      „Dürfte!“ Die Oma ist ganz aufgeregt. „Dürfte! Stell dir das mal vor!“

      Dann fasste er sie behutsam unter den Achseln und zog sie in die Senkrechte. Anschließend trat er von hinten an ihre linke Seite, wobei er ihr den rechten Arm um die Schultern legte und sie behutsam drückte.

      „Wird es gehen?“

      Die Oma nickte nur stumm und befangen.

      Dann hakte er sich bei ihr unter und fragte sie, ob sie es weit habe.

      Sie deutete in die Richtung, aus der sie gekommen war, und ganz langsam gingen sie zusammen los.

      Den ganzen weiten Weg hat er sie nach Hause begleitet, die Kronenstraße entlang, über die breite Pforzheimer Straße mit den beiden Zebrastreifen, an der Herz-Jesu-Kirche vorbei und am Park, über den Dickhäuter Platz und bis vor ihre Haustüre in der Heinrich-Magnani-Straße.

      Die ganze Zeit hat sie ihn gespürt.

      „Er war sehr gut gekleidet, sein Haar voll und grau. Er sah reich aus, wenn ich ehrlich bin. Ich weiß noch, dass ich gedacht habe, wie gütig seine Augen sind und wie schön. Aber seine ganze Art war ja so. Wie ein Gentleman, so war er zu mir. Er trug edle Handschuhe aus Kalbsleder und einen Schal. Einen Hut? Ich glaube nicht, nein. Ich habe ihn sogar gerochen, er roch sehr gut. Als wir an der Kirche vorbei waren, habe ich an seiner Nase einen kleinen Tropfen entdeckt, der zu klein war, um zur Erde zu fallen, aber beständig gezittert hat. Er konnte ja schlecht sein Taschentuch hervorholen: Mit dem rechten Arm hatte er mich untergehakt und in der linken Hand trug er meine Einkäufe. Dieser Tropfen hat mich gerührt und überhaupt nicht geekelt, ganz anders als sonst immer. Er sah ja auch so vornehm aus. Als wir da waren, hat er mir seine Karte dagelassen und sich meine Nummer notiert. Es ist schrecklich, ich glaube, ich vergesse schon sein Gesicht! Ich bekomme die Teile nicht mehr richtig zusammen. Aber einen Hut hat er wirklich nicht getragen, glaube ich. Komisch, es war ja so kalt. Am Abend hat er dann angerufen, stell dir vor. Er wollte fragen, wie es mir ergangen sei und ob ich mich von dem Schock erholt habe. Da hatte ich mir schon lange das Blut aus dem Gesicht gewaschen und mich umgezogen. Aber den Kartoffelsalat habe ich doch nicht mehr gemacht. Ich war ja noch ganz zittrig. Ich glaube, wegen ihm.

      Er heißt Friedrich Laubenstein. Ein schöner Name, finde ich jedenfalls.“

      Sein erster Brief kam zu Weihnachten. Er war sechs Seiten lang und in grüner Tinte geschrieben. Die Oma weinte, während sie ihn las. Noch nie hatte jemand für sie einen derart liebevollen und besorgten Ton angeschlagen. Und wie lange war es her, dass sich jemand für sie, nur für sie, so viel Zeit genommen hatte? Am Ende des Briefes stand ein Heine-Zitat: „Herz, mein Herz, sei nicht beklommen,/ Und ertrage Dein Geschick./ Neuer Frühling gibt zurück,/ Was der Winter Dir genommen.“

      Wer, bitte schön, hätte sich da nicht verliebt?

      Friedrich Laubenstein ist fünfzehn Jahre jünger als die Oma. Er ist vermögend und Besitzer einer Kunststofffabrik im Karlsruher Rheinhafen, die er nun endlich auflösen möchte.

      Den ersten Brief der Oma erhielt er noch im alten Jahr; geschrieben in einer Mischung aus ergebener Dankbarkeit und freudiger Erwartung, altmodisch mit topaktuellem Inhalt.

      Die Oma schlief nur noch sehr wenig. Wenn überhaupt, dann nur mithilfe ihres Radios, das Schlager spielte, Operetten, bekannte Opern, und tagsüber Glückwünsche übermittelte.

      „Alles könnte man mir nehmen, nur die Musik, die nicht.“

      Morgens erwachte sie voller Hoffnung und Freude darauf, ihn genau an diesem Tag wiederzusehen. Denn natürlich hatte sie ihn eingeladen, schon weil es sich so gehörte. Gut möglich, dass er sich bei ihr melden würde oder auf einen spontanen Besuch vorbeikäme. Heute. Oder schon bald.

      Sie ließ sich neue Dauerwellen machen, bestellte sich beim Baur-Versand zwei neue Blusen und zog sich die Augenbrauen fast bis zum silbrig weißen Haaransatz nach, bis an die Oberkante ihrer erstaunlich kleinen Ohren. Die Schwiegertochter verdrehte entsetzt die Augen, als sie das einmal sah. Sie hätte die Oma auf keinen Fall ermutigt, wenn sie von Friedrich Laubenstein gewusst hätte.

      Auf den Tag genau sechs lange Wochen wartete die Oma, bis endlich Antwort von ihm kam. Was ihr dabei am meisten half, war die Tatsache, dass lange Briefe Zeit brauchen.

      Dieses Mal schrieb er mehr Persönliches. Dass er Kohelet verehre, einen Propheten des Alten Testaments, dessen Namen sich die Oma aber nie merken konnte; wie wichtig ihm sein Glaube sei, dass er jeden Sonntag in die Kirche gehe und: dass das Leben zuweilen traurig sein konnte. Das verstand die Oma.

      Auch deshalb hatte sie das letzte Mal eine Kirche betreten, als der Opa gestorben war. Dem Kirchengott hatte sie nie verzeihen können.

      Friedrich Laubenstein beschrieb mit grünen nach rechts geneigten und sehr schwungvollen Worten, wie schön Baden-Baden im Frühling sei. Ob er vielleicht auf einen gemeinsamen Spaziergang entlang der Oos hoffen dürfe?

      „Intellektuell bin ich ihm natürlich nicht gewachsen“, sagte die Oma glücklich, „wirklich, ich glaube, er ist mir haushoch überlegen.“

      Wo die Liebe hinfällt, dachte sie und träumte.

      Beide Briefe liegen auf dem Nachttisch der Oma, und jeden Abend und in jeder Nacht, die seitdem vergeht, liest sie darin, obwohl sie sie längst auswendig kennt. Sie weint viel und wartet. Manchmal wird sie wütend, aber nur ein bisschen.

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