Dolmetschen als Dienst am Menschen. Группа авторов
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СКАЧАТЬ ist sicherlich ein Idealfall, aber keineswegs eine Ausnahme: Wenn alle Instanzen funktionieren, kann die Integration rasch erfolgen und erfolgreich sein. Am wichtigsten war wohl das vorbildliche Wirken der Caritas, die alle Grundbedürfnisse erkannt, die behördlichen Hürden beseitigt und den Weg zu den Organisationen in Vorarlberg geebnet hat. Hinzu kamen das geregelte Leben mit regulärem Schulbesuch im Libanon und die Hilfsbereitschaft der Menschen in Rohrbach sowie der Vermittlungsorganisationen und des Gastbetriebs. Ganz wesentlich war aber auch die Eigenverantwortung und das Engagement der jungen Syrerin selbst: in der Schule, beim Erlernen der Sprache, bei der Lehre im Betrieb und in der Bereitschaft, sich in grundlegenden Fragen der Kultur des Gastlandes anzupassen, ohne ihre eigene Identität aufzugeben.

      Das ging freilich nicht ganz ohne Probleme: Ihr Wunschberuf wäre eigentlich Köchin gewesen. Als sie aber erfuhr, dass dazu das Probieren von Gerichten mit Schweinefleisch gehörte, sagte sie ab und begann die Lehre zur Floristin. Ihr Kopftuch will sie auch nicht ablegen, ihr Umfeld stört das nicht. Soziale Kontakte in der Berufsschule sind aber nicht immer leicht herzustellen. Auf die Frage, wo sie in zehn Jahren sein möchte, antwortet sie trotzdem: „In Vorarlberg“. Man kann es ihr nur wünschen: Wenn dieser Aufsatz erscheint, wird ihre Lehre beinahe beendet und ihre fünfjährige Aufenthaltserlaubnis abgelaufen sein.

      3 Zahlen, Fälle oder Menschen?

      Wenn von Asylsuchenden die Rede war, wurde zu der Zeit in den internationalen und deutschsprachigen Medien von immensen Zahlen geschrieben, die nicht zu bewältigen wären, und auch eine Zuwendung wie bei Nour wäre nicht immer leicht durchzuführen. Man erfährt auch von Fällen, die unser Sozialsystem missbrauchen wollen oder einfach kriminell sind. Aber auch das sind Probleme, die mit etwas mehr Wohlwollen, Empathie und Menschenkenntnis, organisatorischem Geschick und auch sprachlicher und transkultureller Kompetenz zumindest verringert werden könnten.

      In seinem Buch Mut zum Recht! Plädoyer für einen modernen Rechtsstaat (2019) schreibt der Richter Oliver Scheiber immer wieder von Kleinkriminellen, auch unter Einheimischen, die unsere Gefängnisse überbevölkern und das Rechtssystem überlasten (während große Wirtschaftsdelikte weniger genau behandelt werden, aber ungleich mehr Schaden zufügen): Man konzentriert sich auf die Tat selbst und weniger auf den Täter oder die Täterin und deren Hintergrund. Mit der Überwindung der „Klassenjustiz“ könnten die Urteile und letztendlich die gesellschaftlichen Auswirkungen in unserem Rechtsstaat anders aussehen:

      Leitprinzipien der Justiz müssen der einfache, gleiche Zugang zum Recht und das faire Verfahren sein. Das muss sich in Informationspolitik, Sprache und Kommunikation der Justiz niederschlagen. Die Justiz muss innerhalb und außerhalb des Gerichtssaals verständlich, fair und empathisch agieren und kommunizieren. (2019:72)

      Diese These möchte ich nun auf den zweiten Fall im Bereich des Asyls anwenden, der aufzeigt, wie verhängnisvoll die Kulturproblematik bei mangelnder Kommunikation und Kooperation und dem daraus entstehenden Fehlverhalten sein kann.

      4 „Du hättest nur nett sein müssen“

      Der Mord am Leiter der Sozialhilfeabteilung in Dornbirn durch einen Asylwerber im Februar 2019 hat österreichweit für Empörung gesorgt. Auch das politische Klima wurde vergiftet und sogar die Möglichkeit einer „Sicherungshaft“ für Asylsuchende zur Sprache gebracht. Der Prozess gegen den 35-jährigen Angeklagten Soner Ö. fand Anfang 2020 statt, das Urteil war einstimmig und eindeutig: Lebenslang wegen Mordes. Die Handlung sei „äußerst brutal, rachsüchtig und heimtückisch“ hieß es in der Begründung des Richters (Berger 2020a:10). Als ausschlaggebend wurde der Vortrag des Gerichtsmediziners über die Tat erachtet, der die exzessive Wucht des tödlichen Messerstichs ausführlich darstellte (Berger 2020a:10). Das wäre nach Scheiber ein eklatantes Beispiel für die Fokussierung auf die Tat und weniger auf den Täter.

      Dessen Hintergrund und die Vorgeschichte der Tat wurden in den meisten Medien eher skizzenhaft dargestellt, wobei aber klar sein müsste, dass es sich bei Soner Ö. um keinen klassischen Flüchtling handelt: In Vorarlberg geboren und aufgewachsen, als Jugendlicher in die Drogenszene und Kleinkriminalität geraten, mehrfach verhaftet und in die Türkei abgeschoben, versuchte er vielmehr, die Möglichkeiten des Asylrechts zu benutzen, um nach Vorarlberg zurückzukehren. Wie genau es dazu kommen konnte, wurde von der Journalistin Edith Meinhart 2019 im Magazin profil (2019:32–36) ausführlich beschrieben, und zwar nach „Gesprächen mit Sozialarbeiterinnen, Streetworkern, Drogenberatern, Lehrern, Polizisten, Anwälten, türkischen und kurdischen Einwanderern“ (2019:43). Die relevantesten Aspekte für unser Thema im Lebensweg des Soner Ö. können wie folgt zusammengefasst werden: Der Vater kam 1971 aus Anatolien nach Vorarlberg als einer der ersten „busweise angekarrten Gastarbeiter“ (Meinhart 2019:34), von den Einheimischen nicht erwünscht, aber von der Industrie als Hilfsarbeiter gebraucht. Die Unterbringung war entsprechend primitiv. Integration war kein Thema, vielmehr sollten die Migrantenkinder durch muttersprachlichen Unterricht „fit für die Rückkehr“ in ihre Heimat gemacht werden. Der 1991 eingeschulte Soner Ö., den eine Lehrerin als „charmant, ein Sonnenschein“ beschrieb (2019:35), landete aber immerhin in einer der ersten Inklusionsklassen. Als er zwölf ist, passiert jedoch ein Zwischenfall, die Polizei wird gerufen, ein Gendarm droht ihm „Du wirst abgeschoben“. Mit 14 gerät er in eine Gang von Kleinkriminellen, hat jahrelang Probleme mit Drogen und verschiedenen Straftaten (damals ohne sozialpädagogische Angebote) samt Anzeigen, Verwaltungs- und Haftstrafen und schließlich 2009 der Abschiebung in die Heimat seiner Vorfahren (wo er nie Fuß fasste) und dem damit verbundenen Rückkehrverbot. Anfang 2019 probierte er aber zu seiner Familie in Vorarlberg, „in meine Heimat“, zurückzukehren – als Asylwerber. (Berger 2020b:10). Der zuständige Leiter der Sozialhilfeabteilung ist zufällig dieselbe Person, die als Gendarm dem 12jährigen mit Abschiebung drohte und später als Fremdenpolizist diese tatsächlich durchführen ließ: Da ihn nun Soner Ö. wiedererkennt und zudem u.a. aus bürokratischen Gründen seine Grundversorgung nicht erhalten hat (er ist nicht versichert und mittellos), sticht er voller Wut auf den Amtsleiter ein.

      Das ist ein natürlich ein Extremfall – aber in den grundsätzlichen Fragen des sozialen Hintergrunds und der schiefgelaufenen kulturellen Kommunikation auch ein abschreckendes Beispiel. Anstelle der organisierten Kommunikationskette wie bei der jungen Syrerin bestehen hier scheinbar unversöhnliche Gegensätze, verhängnisvolle Zufälle und vermeidbare Missstände. Hier das eher unerwünschte kurdische Gastarbeiterkind, dort der Amtsinhaber aus einer angesehenen alteingesessenen Familie; hier der Versager, der glücklose türkische Kleinkriminelle, dort der Gendarm, der abschiebende Fremdenpolizist, der spätere zuständige Amtsleiter und schließlich das Mordopfer, fatalerweise allesamt dieselbe Person, der Soner Ö. vor seiner Tat sagte: „Du hättest nur nett sein müssen“. Dazu kamen bürokratische Pannen etwa bezüglich der Grundversorgung sowie Unwissen des Asylwerbers in rechtlichen Fragen wie bei der früheren Abschiebung (Meinhart 2019:35). An der sprachlichen Kommunikation lag es nicht: Vor Gericht sprach Soner Ö. „perfektes Hochdeutsch“ (Berger 2020b:10).

      5 Kommunikation in der Multiminoritätengesellschaft

      Es muss hier betont werden, dass im Falle Soner Ö. beim gegenständlichen Gerichtsverfahren kein juristischer Fehler moniert wird. Der Angeklagte hat eine engagierte Rechtsvertretung, die derzeit versucht, alle juristischen Möglichkeiten auszuschöpfen. Vielmehr geht es uns um die jahrelange Fehlkommunikation, die zu dieser Bluttat geführt hat. Das fängt bei der Stellung der türkischen Community in Vorarlberg an: Die Mutter des Angeklagten kann heute immer noch kein Deutsch (Meinhart 2019:34), von Integration kann also nicht die Rede sein. Hinzu kommen kulturspezifische Eigenheiten wie etwa patriarchalischer Stolz oder die Einstellung zum Thema Rache. Erschwerend sind auch die Unkenntnisse der juristischen Möglichkeiten, etwa ob die damalige Abschiebung in die Türkei überhaupt rechtens war, was jetzt untersucht wird, und gerade in diesem Stadium wäre Scheibers Forderung (2019) nach einem fairen Zugang zum Recht und einer angemessenen Informationspolitik СКАЧАТЬ