Dolmetschen als Dienst am Menschen. Группа авторов
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СКАЧАТЬ Klaus (Hrsg.) (1996). Translation und Text. Ausgewählte Vorträge von M. Snell-Hornby. Wien: WUV Universitätsverlag.

      Kadrić, Mira/Snell-Hornby, Mary (Hrsg.) (21995). Grundfragen der Übersetzungswissenschaft: Wiener Vorlesungen von Katharina Reiß. Wien: WUV Universitätsverlag.

      Im Dialog mit den BedarfsträgerInnen

      „Va’, pensiero …“

      Überlegungen zur kulturellen Dimension bei der Kommunikation mit Asylsuchenden

      Mary Snell-Hornby

      „By the waters of Babylon we sat down and wept: when we remembered thee, O Sion”. Dieser erste Vers des Psalms 137 (hier in der Fassung des „Book of Common Prayer” der traditionellen anglikanischen Kirche) gehört zu den bekanntesten Zeilen der Bibel und somit zum Kern der heutzutage vielzitierten „christlich-jüdischen Kultur“ Europas. Sie haben in unsere Kunst und Literatur Eingang gefunden, auch sogar in die Popkultur, wie etwa als Songtext im Musikalbum „Waters of Babylon“ von Don McLean. Ansonsten sind sie uns in anderer Form besonders vertraut, wie eben im berühmten Gefangenenchor „Va’, pensiero“ aus der Oper „Nabucco“ in der Musik von Giuseppe Verdi.

      Die historischen Fakten sind im Alten Testament belegt: nachdem im Jahr 586 v. Chr. ihre heilige Stadt Jerusalem von den Babyloniern unter König Nebukadnezar II (Verdis „Nabucco“) erobert und teilweise zerstört worden war (2. Buch der Könige 24), wurden die Juden nach Babylon verschleppt, wo sie jahrzehntelang in Gefangenschaft lebten. Der Psalm 137 ist ein Klagelied, das ihre Sehnsucht nach der verlorenen Heimat zum Ausdruck bringt. In Wirklichkeit lebten viele von ihnen im babylonischen Exil aber gar nicht schlecht: Es wurden vor allem die mächtigen, starken und gut ausgebildeten Männer mitgenommen und etwa als Zimmerleute und Schmiede eingesetzt (die Ärmsten und Schwächsten wurden zurückgelassen, 2. Buch der Könige 24,14); der Prophet Daniel wurde sogar zum Gouverneur ernannt (Buch Daniel 2,48). In der heutigen Diktion würden wir viele der damals exilierten Israeliten als bestens integrierte Fachkräfte bezeichnen.

      Auffallend an dieser Geschichte aus dem alttestamentarischen Babylon ist ihre Vergleichbarkeit mit der heutigen Situation in Europa, man könnte meinen, ihre Aktualität, – mit dem Unterschied, dass Menschen nicht gewaltsam aus ihrem Heimatland verschleppt, sondern sich wegen der dortigen Zerstörung und Gewalt gezwungen sehen, sie – in umgekehrter geografischer Richtung und unter welchen Umständen auch immer – zu verlassen und zu versuchen, in einem fremden Land aufgenommen zu werden, also um Asyl zu suchen. Und daraus ergeben sich bekanntlich viele Herausforderungen: Im vorliegenden Beitrag beschäftigen wir uns mit den kommunikativen Abläufen bzw. Hürden, die durch unterschiedliche Kulturen, gesellschaftliche Stellung und nicht zuletzt rechtliche Vorschriften entstehen.

      1 Pionierarbeit im Dialogdolmetschen

      Ein wichtiges Bindeglied zwischen den Asylsuchenden und den Einheimischen bzw. den zuständigen Behörden wird üblicherweise im sprachlichen Bereich gesehen, also im Erlernen der fremden Sprache, aber auch im Übersetzen und Dolmetschen, vor allem im Dialogdolmetschen. Diese Thematik ist in der wissenschaftlichen Arbeit von Mira Kadrić von besonderer Bedeutung, weil sie zu den PionierInnen in Forschung und Lehre des Dialogdolmetschens gehört. Am Anfang ihrer wissenschaftlichen Tätigkeit in den 1990er-Jahren verstand man unter Dolmetschen fast ausschließlich das Konferenzdolmetschen, und zwar innerhalb der großen Weltsprachen. Selbst das Gerichtsdolmetschen war an den Ausbildungsinstituten ein Randthema. Mit ihrer Dissertation, zuerst 2000 als Dolmetschen bei Gericht. Anforderungen, Erwartungen, Kompetenzen erschienen (vgl. auch die überarbeitete Neufassung Kadrić 2019), leistete sie einen wesentlichen Beitrag zur Bewusstseinsbildung für die Thematik im deutschsprachigen Raum. Im Laufe ihrer wissenschaftlichen Tätigkeit wurde das Spektrum auf community interpreting, also das Dialogdolmetschen, erweitert, inklusive die damit verbundene Didaktik des Dolmetschens, wie in ihrem Buch Dialog als Prinzip (2011) beschrieben wird. Später kamen Bereiche, die sich mit „ausgesuchten ‚Bedarfssprachen‘“ (Scheidl 2020) befassten. Ein Höhepunkt auf diesem Gebiet war im Wintersemester 2016/17 die Einführung des Universitätslehrgangs „Dolmetschen für Gerichte und Behörden“ am Zentrum für Translationswissenschaft in Wien, mit den Sprachen Arabisch, Dari/Farsi und Türkisch; weitere Sprachen (derzeit Albanisch und als Erweiterungsstudium in Planung Kurdisch) kamen hinzu. Diese postgraduale Weiterbildung in „seltenen“ Sprachen für DolmetscherInnen u.a. im Justizbereich, bei Polizei und Asylbehörden war überfällig – und es war Mira Kadrić Verdienst, diese in die Universitätslandschaft integriert zu haben (s. auch Reichart 2020).

      Inzwischen ist die Fachliteratur zum Thema Dialogdolmetschen (sowie in verschiedenen Ländern das praktische Angebot) für Außenstehende nicht mehr überschaubar: Das muss gewürdigt werden, kann aber in diesem Beitrag nicht angemessen erörtert werden. Stattdessen möchte ich mich auf kulturelle und soziale Aspekte konzentrieren und zwei konkrete Fälle beschreiben, die zeigen sollen, wie wichtig die Zusammenarbeit – und damit die transkulturelle Kommunikation – zwischen NGOs, Behörden und einheimischen BürgerInnen einerseits und Asylsuchenden andererseits für das Gelingen ihrer Integration und letztendlich für die Qualität des künftigen Zusammenlebens in Europa wäre. Beide Fälle stammen aus Vorarlberg, einem Land mit einer langen Geschichte menschlicher Zu- und Abwanderung, mit allen möglichen Folgen.

      2 Die Floristin

      Bei der jungen Syrerin Nour verlief die Kommunikationskette vorbildlich. Sie ist derzeit, im Sommer 2020, als Lehrling in einem Blumengeschäft in Bregenz beschäftigt. Dieses ist ein Familienbetrieb, und der Inhaber ist sehr bemüht, sie zu fördern – und zu behalten. Nour besucht die Berufsschule, hat die gleichen Pflichten und Rechte wie alle anderen MitarbeiterInnen, inklusive eines freien Tags pro Woche, und sie wird von einer Familienangehörigen betreut, die ihr beim Deutschunterricht behilflich ist. Sowohl Nour als auch ihre Betreuerin waren gerne bereit, im Rahmen eines Gesprächs ihre Geschichte – auf Deutsch – zu erzählen.

      Nour stammt ursprünglich aus Damaskus, und dort ging sie als Kind zur Schule. Als die Bombardierungen – im frühen Stadium des Krieges – immer bedrohlicher wurden, beschloss der Vater, mit der ganzen Familie (neben der Mutter auch einem älteren Bruder und zwei kleineren Kindern) das Land zu verlassen. Die nächsten Jahre verbrachten sie im Libanon, dort besuchte Nour die Mittelschule. Den Sprung nach Österreich sowie die weitere Betreuung verdankt die Familie der Caritas: So kam sie mit dem Flugzeug nach Wien, ein Dolmetscher mit arabischer Muttersprache wurde zur Verfügung gestellt, eine Unterkunft organisiert. Die notwendigen behördlichen Maßnahmen sowie die Verteilung der verschiedenen Familien und die Entscheidungen über deren weitere Destinationen übernahm ebenfalls die Caritas. So kam Nour mit ihren Angehörigen und anderen Familien mit einem Bus nach Vorarlberg. Dies geschah gegen Ende des Jahres 2015, als mit der immer größer werdenden Zahl an flüchtenden Menschen und der teilweisen Aussetzung von Grenzkontrollen die zunächst vorherrschende Willkommenskultur ins Gegenteil kippte. Von diesem Stimmungsumschwung bekam Nour wenig mit, sie war als Dreizehnjährige zunächst vor allem von dem Schnee auf den Bergen begeistert.

      Nach der Ankunft in Vorarlberg wurden für die verschiedenen Familien Unterkünfte gefunden und weitere notwendige Maßnahmen getroffen. Bei der Frage, wer bzw. welche Organisation für welche Leistungen zuständig war, wird Nours Erzählung allerdings etwas unklar. Klar war hingegen die freundliche Begrüßung der BewohnerInnen von Rohrbach, dem Stadtteil von Dornbirn, wo die Familie untergebracht wurde; das „Übersetzen“ übernahm der ältere Bruder über das Englische. Ansonsten gab es anscheinend – neben der Caritas – eine ganze Reihe von Institutionen, die Nour auf ihrem weiteren Weg in Vorarlberg geholfen haben. Gesprochen habe ich mit der Projektleiterin der ÜBA (Überbetriebliche Lehrausbildung) des Vereins FAB (Förderung von Arbeit und Beschäftigung), einer Unterabteilung des AMS. Sie hatte Nour an das Blumengeschäft СКАЧАТЬ