Blutgeschwister. Thomas Matiszik
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Название: Blutgeschwister

Автор: Thomas Matiszik

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия: Kommissar Modrich

isbn: 9783942672580

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СКАЧАТЬ zu halten. Keine Sabbereien mehr, es tat zwar noch höllisch weh, aber Peer hatte das Gefühl, dass sich das geben würde, je öfter er wieder normale Kaubewegungen machen würde. „Sie hatten wirklich großes Glück“, betonte Dr. Oemmler, „es hat nicht viel gefehlt und Ihr Kiefer wäre gebrochen gewesen. Dann hätten Sie mit mehreren Wochen Rekonvaleszenz rechnen müssen. Er war aber nur ausgerenkt. Passiert immer dann, wenn man häufig gähnt und den Mund dabei zu weit aufsperrt. Oder haben Sie heute in einen besonders großen Apfel gebissen?“ Modrich traute sich immer noch nicht zu sprechen. Die Blöße, wie ein willenloser Greis sabbernd vor sich hinzubrabbeln, wollte er sich nicht noch mal geben. Und so zuckte er vielsagend nichtssagend mit den Schultern, gab dem Arzt die Hand und verließ den Behandlungsraum. „Warten Sie“, rief Oemmler ihm hinterher, „nehmen Sie die hier. Sie werden sicherlich noch ein paar Tage Probleme beim Essen oder bei der Zahnpflege haben. Und falls Sie an Sex denken: Überspringen Sie die Knutscherei. Zungenküsse sind in Ihrer Verfassung besonders schmerzhaft!“ Er zwinkerte Peer zu. Modrich warf einen Blick auf die Verpackung und musste schmunzeln: Wenn der wüsste, wie viele Brüder und Schwestern von den kleinen Ibu-800ern bei ihm zu Hause im Badezimmerschrank als Notration lagen.

      Den letzten Meulengracht’schen Hangover hatte Peer, nachdem sie Karl Ressler zur Strecke gebracht hatten. Er war mit Guddi und Meike Ressler aufs Übelste versackt. Danach ging es ihm drei Tage hundsmiserabel und er schwor sich, sein Leben umzukrempeln: kein Alkohol, keine Zigaretten mehr. Er stellte seine Ernährung um. Fleisch aß er nur noch sonntags, den Rest der Woche nahm er vegane Kost zu sich. Seine Fitness war besser als zu Jugendzeiten, Peer sah vitaler aus denn je, was ihn für die Krone der Schöpfung umso begehrenswerter machte. Aber auch in diesem Punkt hatte Peer Modrich eine Wandlung vollzogen. Waren es früher noch viel zu junge One-Night-Stands, die er zu Balladen von Bon Jovi oder Bryan Adams in die Kiste bekam, so hielt er es heute sagenhafte drei Monate mit ein und derselben Frau aus. Zuletzt war es eine Architektin aus Lünen, die er auf einem Konzert von Element Of Crime kennengelernt hatte. Sie hatten fast eine Woche über Gott und die Welt geredet, bis sie zum ersten Mal Sex hatten. Schnell stellte sich heraus, dass Melanie, so hieß die Architektin, seit fünf Jahren auf dem Trockenen gesessen hatte und mit Peer in kürzester Zeit alles nachholen wollte. Knappe drei Monate später beendete Peer Modrich zum allerersten Mal in seinem Leben eine Beziehung, weil er körperlich am Ende war. Mehr Sex ging nicht. Beim besten Willen. Sie kam schneller als ein Düsenjet, aber irgendwann braucht selbst der größte Don Juan eine kreative Pause. Melanie aber wollte eine Pause nicht akzeptieren und ließ sich immer neue Experimente einfallen. Zuletzt hatte sie zwei ihrer besten Freundinnen als Zückerchen mitgebracht. Am Morgen danach zeigte Peers Waage nur noch 68 Kilo an. Da wurde ihm klar, dass es Zeit war, diese Tortur zu beenden, auch wenn sein omnipotentes Alter Ego ihn einen Schwächling und Versager schimpfte. Es ging einfach nicht mehr. Melanie versuchte alles, um Peer von seinem Entschluss abzubringen. Noch Wochen nach der letzten Nacht mit ihr schickte sie ihm Päckchen mit Reizwäsche, Dildos und Massageölen. Zuletzt waren es getragene Strings, die Melanie Peer in ihrer Hochphase nur zu gerne um den Kopf gewickelt hatte. Und als er dachte, er hätte alles überstanden, lauerte Melanie ihm an seiner Laufstrecke auf. Natürlich wusste sie, wann und wo er regelmäßig joggte. In dem Waldstück war kurz vor der Dämmerung wenig bis nichts los, was Melanie dazu verleitet hatte, in die bedingungslose Offensive zu gehen. Bei Kilometer 16 sprang sie urplötzlich hinter einem Baum hervor, riss Peer zu Boden und ihm sogleich die Laufkleidung vom Leib. Sie selber trug nichts außer Hotpants und einer durchsichtigen Bluse. Peers Puls stockte, als Melanie Handschellen unter ihrer Bluse hervorzauberte. ,Jetzt ist sie völlig durchgeknallt‘, dachte Peer, als sie sein bestes Stück unsanft aus der Laufhose wurschteln wollte. Er stieß sie mit aller Kraft von sich und versetzte ihr noch einen kräftigen Tritt in den entblößten Hintern. Melanie heulte wie ein kleines Kind, dem man sein Lieblingsspielzeug weggenommen hatte. Und obwohl Peer kurz darüber nachdachte, die Arme zu trösten – immerhin hatte er mit ihr mehr Orgasmen gehabt als mit allen anderen Frauen zuvor – ließ er Melanie liegen und lief seinen Halbmarathon zu Ende.

      „Was für eine blöde Kuh“, hörte er sich plötzlich sagen. Hocherfreut stellte er fest, dass er weder sabberte noch großartige Schmerzen verspürte. Ein leichtes Zischen begleitete seine Worte, ansonsten war er wieder der Alte. Es war Zeit, sich dem aktuellen Fall zu widmen. Immerhin musste ein flüchtiger Attentäter dingfest gemacht werden. Zu Hause angekommen duschte er schnell, zog sich um und machte sich auf den Weg ins Präsidium.

      10

      Gesine Heppner war in den letzten zehn Jahren zur Queen of Charity aufgestiegen. Es gab kaum eine Benefizgala oder Wohltätigkeitsveranstaltung in Nordrhein-Westfalen, bei der die aparte Gattin von Polizeichef Kurt Heppner nicht ihre Finger im Spiel hatte. Sie war die Strippenzieherin im Hintergrund, die fast alle Prominenten aus Film, Fernsehen und Sport in ihrer Kontaktliste hatte. Sie wusste alles über ihre „Klienten“, sogar die sexuellen Vorlieben waren ihr nicht entgangen, besonders dann nicht, wenn Alkohol und Koks zu vorgerückter Stunde, wenn alle Kameras ausgeschaltet waren, die Hemmschwellen bei fast allen Beteiligten auf Grasnarbenniveau sinken ließen. Tatsächlich, und das war eine durchaus bemerkenswerte Erkenntnis für Gesine, zeigten die meisten Promis erst bei einem Alkoholpegel von über zwei Promille ihr wahres Gesicht.

      Dieses Wissen hatte sie anfangs mit niemandem geteilt, sogar – oder besonders – nicht mit Kurt. Ihr Mann war selten vor 22 Uhr zu Hause und hatte dann wenig bis gar keine Muße mehr, sich mit seiner Gattin über die sexuellen Befindlichkeiten von Schauspielern oder Bundesligaprofis auszutauschen. Die einzigen beiden Menschen, die ihr heikles Wissen teilten, waren Heike und Frank Wiegand, die beiden anderen Gesellschafter ihrer Charity-Firma. Die „Celebs for Masses GmbH“ hatte ihren Sitz in Dortmund und war in den vergangenen fünf Jahren zu einem Unternehmen mit zweistelligem Millionen-Jahresumsatz herangewachsen. Was zu Beginn des neuen Jahrtausends aus der Idee einer gelangweilten Polizeichef-Gattin entstanden war, hatte sich bis heute zu einem Marktführer in Sachen Promivermarktung gemausert. Heike und Frank kannte Gesine noch aus der gemeinsamen Studienzeit an der Westfälischen Wilhelms-Universität in Münster, wo sie vergeblich versucht hatten, ihr Jurastudium zu absolvieren.

      In ihrem Büro im Dortmunder Süden gab es einen Aktenschrank, der durch mehrere Zahlenschlösser gesichert war. Einmal im Monat änderten die drei die Zahlenkombinationen, um die größtmögliche Sicherheit für ihre Klienten zu gewährleisten. Der Inhalt des Aktenschranks war an Brisanz kaum zu überbieten: Es gab dutzendweise Foto- und Filmmaterial, das belastender und kompromittierender nicht hätte sein können. All dieses Material stammte in erster Linie von Journalisten, die mit der Celebs for Masses GmbH einen Pakt eingegangen waren, dass von all dem, was sie da gefilmt und abgelichtet hatten, niemals etwas an die Öffentlichkeit dringen durfte. Diesen Vertrag hatten alle ausnahmslos unterzeichnet, nachdem Gesine, Frank und Heike mit den in flagranti ertappten Promis einen Deal ausgehandelt hatten, der sowohl der Firma als auch den Journalisten einen nicht zu verachtenden monatlichen Obolus bescherte, mit dem alle Beteiligten gut leben, vor allem aber gut schlafen konnten. Sollte der Inhalt dieses Aktenschranks jemals an die Öffentlichkeit gelangen, würde das einer Denunziation biblischen Ausmaßes gleichkommen. Besonders eingefleischte Fußballfans wären gezwungen, ihr komplettes Weltbild neu zu ordnen.

      Als Gesine erwachte, drang ein beißendes Gemisch aus Harz und Moder in ihre Nase. Viel schlimmer aber war die lückenlose Dunkelheit, die sie umschloss. Der Versuch, sich zur Seite zu drehen, scheiterte kläglich. Sie lag in einer Art Kiste, die oben, unten, links und rechts kaum mehr als eine Handbreit Platz bot. Die nackte Panik erfasste sie. Jemand hatte sie offenbar lebendig begraben. Ihr Überlebensinstinkt, der die Logik des menschlichen Verstandes eliminiert hatte, befahl ihr, nach Leibeskräften „Hilfe“ zu schreien. Nach dem dritten Versuch war Gesine bereits so kurzatmig, dass sie dieses Bemühen einstellte, um Kräfte zu sparen. Ihr wurde schlagartig klar, dass sie niemand hörte und dass sie vermutlich nur noch wenige Stunden zu leben hatte, wenn derjenige, dem sie das zu verdanken hatte, nicht innerhalb kürzester Zeit nach ihr sehen würde. Und warum sollte das irgendjemand tun? Offenkundig trachtete man ihr nach dem Leben, offenkundig hatte jemand großes Interesse daran, dass ihr Mann Witwer wurde. Bevor СКАЧАТЬ