Blutgeschwister. Thomas Matiszik
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Название: Blutgeschwister

Автор: Thomas Matiszik

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия: Kommissar Modrich

isbn: 9783942672580

isbn:

СКАЧАТЬ sich an wie ein sehr großes Insekt. Als das Krabbeltier ihr Knie erreicht hatte, versuchte Gesine es mit der linken Hand zu treffen. Leider hatte sie kaum Platz zum Ausholen und verfehlte ihr Ziel. Nun hatte es das Tier offenbar auf Gesines Kniekehle abgesehen. Dort verharrte es, Gesine spürte einen feinen Stich und ein unangenehmes Gefühl der Wärme in sich aufsteigen. Sie versuchte zu strampeln, um dieses ekelige Wesen irgendwie loszuwerden, aber je mehr sie sich bewegte, um so weiter schien sich das Gift, das dieses Biest ihr injiziert hatte, in ihrem Körper zu verteilen. Ihr wurde in schneller Abfolge heiß und kalt, ihre Kehle schnürte sich in kürzester Zeit zu, die absolute Ausweglosigkeit ihrer Situation ließ in Gesine zusätzlich Panik aufkommen. Ein allerletztes Mal setzte sie zum Schreien an, als sie plötzlich Schritte vernahm. So schnell wie sie diese wahrgenommen hatte, so schnell verstummte das Geräusch auch wieder. Hatte sie mittlerweile schon Halluzinationen? Kalter Schweiß rann ihr die Wangen hinunter. Das Tierchen in ihrer Hose schien Gefallen an ihrer Kniekehle gefunden zu haben und vergrub sich immer tiefer in Gesines Haut. Ihr wurde speiübel, gleichzeitig fühlte sie sich auf seltsame Weise federleicht. Nichts schien mehr von Bedeutung. Ihre Zeit schien abgelaufen.

      Mit einem lauten Knarren stemmte jemand den Deckel des Sarges auf. Ihr Gefängnis wurde mit frischer Luft geflutet, gierig sog sie das unverhoffte Lebenselixier ein, bis sie wieder einigermaßen klar denken konnte. Das schwache Licht, das die Dämmerung in ihr Gesicht warf, blendete sie für einen kurzen Moment, sie blinzelte und blickte in ein vermummtes Gesicht. Dann wurde sie gepackt und aus dem Sarg geschleudert, sodass sie bäuchlings im Morast landete. Die Person machte sich an Gesines Hose zu schaffen, um im nächsten Augenblick mit der flachen Hand auf die Stelle zu schlagen, wo wenige Sekunden zuvor noch das Tier sein Unwesen getrieben hatte. Die Gestalt erhob sich, verharrte für einen kurzen Moment, um dann triumphierend auszurufen: „Dornfingerspinne! Dass es diese Biester in unseren Breiten überhaupt noch gibt. Da bin ich ja gerade richtig gekommen, oder was meinst du, liebe Gesine?“

      11

      „Mist, ich habe Heppner vergessen!“ In fünf Minuten würde Modrich wieder im Präsidium sein, als er sich das plötzlich sagen hörte. In letzter Zeit hatte Peer sich des Öfteren dabei ertappt, Selbstgespräche zu führen. Meist geschah das in Situationen, in denen er nicht alleine war. Im Gegenteil: Der Supermarkt war so ein Ort, an dem es fast regelmäßig passierte. Bisweilen bemerkte er, dass er argwöhnisch beobachtet wurde, während er „Wo zum Geier steht noch mal die Kokosmilch?“ von sich gab. Wurde er langsam seltsam? Was würde in ein paar Jahren sein? Würde er Supermärkte nur noch dann aufsuchen, um Selbstgespräche zu führen …? Der Gedanke daran war gleichermaßen surreal wie verstörend.

      Er musste Heppner zumindest anrufen und informieren, dass er erst morgen zu ihm kommen würde. Heppner nahm ab, noch bevor das erste Klingelzeichen ertönte. „Modrich, wo in Dreiteufelsnamen stecken Sie? Ich drehe hier noch durch. Ich hatte mich auf Sie verlassen! Sie sind hoffentlich auf dem Weg?“ Modrich musste kurz Luft holen, er hatte immer noch das Gefühl, als sei ein ICE über sein Gesicht gerollt. Er sprach so langsam wie möglich, damit sein Chef ihn auch wirklich verstehen konnte: „Sorry, Chef, ich hatte leider keine Zeit bislang. Ich war kurz im Krankenhaus und bin jetzt wieder auf dem Weg ins Präsidium, muss mich erst um den aktuellen Fall kümmern. Morgen früh komme ich sofort bei Ihnen vorbei, ist das okay?“ Heppner seufzte laut auf: „Was ist denn mit Ihnen passiert? Sie klingen so, als hätten Sie den Mund voller Wattepads? Ich hab nur Bahnhof verstanden. Egal, ich brauche Sie. Und zwar jetzt! Gesine ist immer noch nicht aufgetaucht, ihre Geschäftspartnerin sagt, sie sei heute Morgen nicht im Büro erschienen. Ihr Handy ist ausgeschaltet, was völlig untypisch für Gesine ist. Ich verwette meinen Arsch darauf, dass ihr etwas zugestoßen ist!“ Bei den letzten Worten verlor Heppner völlig die Fassung und brach in lautes Schluchzen aus. Modrich versuchte, das Ganze herunterzuspielen und seinen Chef zu beruhigen. „Gab es eventuell Streit zwischen Ihnen in letzter Zeit? Vielleicht ist sie ja einfach nur zu ihrer besten Freundin, um ein paar Tage Ruhe zu haben. Verstehen Sie mich nicht falsch, aber wer sollte Ihrer Frau denn etwas antun wollen? Sie ist doch wirklich eine absolute Sympathieträgerin. Kommen Sie, Kurt, Hand aufs Herz: Gab’s Stress? Hat Gesine sich beschwert, dass Sie zu selten und zu spät nach Hause kommen? War sie am Ende eifersüchtig?“ Es schien fast so, als habe Peer einen Knopf gedrückt. Allerdings den Falschen. Deeskalation war links, er hatte rechts erwischt. Dort, wo „Vulkanausbruch“ stand. „Jetzt hören Sie mal gut zu, Sie Schimanski für Fußgänger, Sie Möchtegern-Emil-Zatopek: Gesine und ich haben keinen Stress, jedenfalls nicht mehr oder weniger als andere Paare! Aber, und das bleibt unter uns, sie hat anonyme Drohanrufe bekommen. Irgendjemand wollte sie ‚zur Rechenschaft ziehen‘. Vor ein paar Tagen kam sie abends nach Hause und war völlig aufgelöst, weil sie offenbar bis zum Auto verfolgt worden war. Wir haben das noch nicht so ernst genommen, weil es einfach zu wenig Konkretes gab, dem man hätte nachgehen können. Jetzt weiß ich, dass es ein Fehler war, meine Frau nicht eher zu schützen. Und deshalb bitte ich Sie jetzt noch ein letztes Mal: Schwingen Sie Ihren Marathonarsch hierhin, lassen Sie den Fall mal beiseite. Ich erwarte Sie in spätestens fünfzehn Minuten bei mir zu Hause!“

      12

      „Gibt es was Neues von Modrich?“ Kruschek hatte mit Guddi die Backstage-Garderobe verlassen, um Stefanie Mellinger ein wenig Zeit zu geben, wieder auf Raumtemperatur herunterzufahren. Ihr verbaler Ausraster hatte etwas Psychotisches, das Kruschek Angst einflößte, allein Guddi war sich nicht sicher, ob Mellinger wirklich reif für die Psychiatrie war oder einfach nur eine geniale Schauspielerin. Immerhin hatte sie sich als Zeugin freiwillig gemeldet. Alles in allem war ihr Verhalten mehr als seltsam, es würde definitiv Sinn machen, einen Psychologen zurate zu ziehen. Oder Modrich?! Richtig, wo steckte er eigentlich? War er immer noch im Prosperhospital? Modrich wäre früher in so einer Situation sicherlich keine Hilfe gewesen, doch seitdem er sein Leben in die Hand genommen und auch noch in den Griff bekommen hatte, war aus ihm ein echter Verhörspezialist geworden. Seine Menschenkenntnis war bisweilen beängstigend treffsicher, seine Strategie während einer Zeugenvernehmung nur selten von außen zu durchschauen. Selbst erfahrene Kriminalisten wie Guddi zollten ihm mittlerweile den größten Respekt. Das war nicht immer so. Guddi erinnerte sich nur zu gut an die ersten Wochen nach dem Abschluss der Akte „Karl Ressler“, als Modrich noch wie ein führerloses Schiff durch die vom Sturm aufgepeitschte See trieb. Er hatte nach seinem letzten Absturz zwar aufgehört zu rauchen und zu saufen, war aber trotzdem für den polizeilichen Dienst absolut ungeeignet und erschien in schöner Regelmäßigkeit verspätet zum Dienst. Dabei mochte man ihn weder anschauen noch mit ihm reden, er war stark abgemagert und völlig lethargisch. So eine rigorose Ernährungsumstellung schien offenbar auch Nachteile zu haben.

      Guddi schaute auf ihr Smartphone, das sie während des Verhörs von Stefanie Mellinger auf stumm geschaltet und zur Seite gelegt hatte. ‚Muss dringend zum Chef. Komme später wieder zur Halle. Kann noch immer nicht richtig sprechen. Melde mich! Peer‘

      „Wir müssen erst einmal ohne Kommissar Modrich auskommen“, erklärte sie Kruschek. „Ich würde gerne Meike Ressler anrufen und herbestellen. Ich fürchte, wir kommen mit der Zeugin so nicht weiter.“ Kruschek schaute sie fragend an. „Meike Ressler ist eine ausgewiesene Expertin und eine der besten Psychologinnen, die ich kenne.“ „Und die Schwester von diesem Monster … wie hieß der noch? Fred Ressler?“ „Karl. Karl Ressler. Genau die ist das, ja.“ Guddi lief ein Schauer den Rücken herunter. Auch sie hatte der Fall „Karlchen“ noch lange nach seinem Ende mehr beschäftigt, als ihr lieb war. Die erste und vielleicht wichtigste Veränderung, die sie und Peer vornahmen, war die Versetzung von der Sitte ins Morddezernat. Weder Guddi noch Peer hatten, nachdem die Akte Ressler geschlossen war, Lust auf perverse Triebtäter und Kinderschänder, deren einzige Lebensmotivation darin zu bestehen schien, den schwächsten und hilflosesten Menschen der Gesellschaft unsagbar Böses anzutun. ,Normale‘ Morde waren doch spannend genug.

      Als die Versetzung genehmigt war, hatte Guddi damals, anders als Peer Modrich, der dem Veganismus und dem Laufwahn verfiel, eine Reise mit ihren СКАЧАТЬ