Название: Blutgeschwister
Автор: Thomas Matiszik
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
Серия: Kommissar Modrich
isbn: 9783942672580
isbn:
Die Blicke der verbliebenen Zuschauer hafteten auf Peer. Alle anderen Teilnehmer hatten wohlbehalten das Ziel erreicht, offenbar wollte man den armen Kerl mit dem Wadenkrampf doch noch dazu ermuntern, die letzten Meter zu überstehen. Rhythmisch fingen die Leute an zu klatschen, im Dunkeln waren sie kaum noch zu sehen. Plötzlich bekam Peer die zweite Luft und lief langsam los. Nach nicht einmal hundert Metern war das flaue Gefühl in der Wade vollends verflogen, sodass Peer dem Ziel zwar als Letzter, aber dennoch glücklich entgegensteuerte. Joe Sanderson war wichtig, diesen Halbmarathon zu beenden war Peer Modrich in diesem Moment jedoch wichtiger.
„Wie siehst du denn schon wieder aus?“ Guddis Blick war zugleich amüsiert und angeekelt. Peer hatte zwar geduscht, die Zeit, sich optisch wieder einigermaßen auf Vordermann zu bringen, hatte er allerdings nicht gehabt. Als er Guddi die Tür öffnete, trug er lediglich eine frische Unterhose und ein Paar graue Socken, die ursprünglich mal weiß waren und aus deren Vorderseite die viel zu langen Nägel von Peers Großzehen herauslugten. „Igitt“, war Guddis spontaner Kommentar beim Anblick ihres Kollegen. „Gib mir bitte zwei Minuten. Muss nur noch frische Klamotten anziehen und die Zähne putzen!“ „Denk vielleicht besser über eine gute Gesichtscreme nach. Du siehst aus wie nach ’nem Schlaganfall … ach ja, und wie lange haben deine Fußnägel keine Schere mehr gesehen?“ „Ich hab dich auch lieb“, schallte es aus dem Badezimmer zurück. „Hast du schon genauere Infos zur Tat?“ Guddi hob die Augenbrauen. Das war wieder so typisch! Vor gerade mal ein paar Minuten war sie über den Mord an Joe Sanderson informiert worden. Wie um alles in der Welt sollte sie bis jetzt neue Erkenntnisse gesammelt haben? Manchmal machte sie sich Sorgen um ihren Kollegen. Sie ertappte sich sogar dabei, dass sie sich den alten, ständig verkaterten und von Morbus Meulengracht zerschundenen Peer Modrich zurückwünschte. Seit er dem Fitnesswahn verfallen war und ihm seine Lauf-App mehr bedeutete als ein feuchtfröhlicher Abend mit seinen Freunden oder Kollegen, war Peer Modrich schon etwas seltsam geworden. Das Sprichwort ‚Mens sana in corpore sano‘ traf auf Peer definitiv nicht zu. Er las Bücher über Low-Carb-Ernährung, stellte sich zweimal täglich auf die Digitalwaage, machte um Gesottenes und Gebratenes einen Riesenbogen und hörte plötzlich Musik von Element of Crime und Rio Reiser. Was war da los?
„Und? Hast du oder hast du nicht?“ Peer tänzelte die Treppe hinunter, in der rechten Hand seine Sneaker, in der linken einen Kamm, mit dem er sich unbeholfen die frisch geföhnten Haare frisierte. „Wenn du mich fragst, wird die Suche nach dem Täter extrem langwierig sein. Ich kenne allein in meinem Bekanntenkreis mindestens ein halbes Dutzend Leute, die Joe Sanderson die Trennung von Crusade nie verziehen haben und ihr die Beulenpest an den Leib wünschten. Und unter uns: So gut sie bei Crusade war, so belanglos sind ihre Songs seit Beginn ihrer Solokarriere geworden. Oder was meinst du?“ „Lass uns bitte im Auto weiterquatschen, Peer“, entgegnete Guddi etwas gequält, „die Kollegen von der Spurensicherung sind bereits in der Halle, alle warten nur noch auf uns. Und nein: Es gibt bislang noch keine neuen Erkenntnisse. Der Täter scheint nach dem tödlichen Schuss in der Menschenmenge aufgegangen zu sein und die Panik ausgenutzt zu haben, um das Weite zu suchen. Liegt ja auch nahe.“
4
Wie eine Marionette, der man die Fäden durchtrennt hatte, war Joe Sanderson auf der Bühne in sich zusammengesunken. Das Kapitel war nun abgeschlossen. Ein für alle Mal. Er hatte seine Schwester gerächt, so wie sie es sich vor langer Zeit geschworen hatten. Er zitterte noch immer am ganzen Leib. Es war sein erster Mord. Es war sogar seine erste Straftat. Es gab nichts zu bereuen, sie hatte es verdient. Das Chaos nach dem Schuss hatte es ihm, wie geplant, leicht gemacht zu verschwinden. Während er nun, im Schutze der Dunkelheit, dasaß und eine Zigarette rauchte, hoffte er, dass seine Schwester ihre Rolle überzeugend spielen und die Bullen auf eine falsche Fährte locken würde.
5
Vor der Halle herrschte das reinste Chaos. In Tränen aufgelöste Fans von Joe Sanderson redeten wild gestikulierend auf Polizei- und Sicherheitskräfte ein. Sie hätten schließlich ein Recht darauf, zu erfahren, was mit ihrem Idol passiert war. Nur sehr langsam bahnten sich Guddi und Peer den Weg durch die aufgebrachte Menge. Als Guddi den Motor ausschaltete, polterten einige weibliche Fans mit den Fäusten auf die Motorhaube. Dabei blickten sie derartig entrückt, dass Peer und Guddi sich in einer Szene von Ein Zombie hing am Glockenseil wähnten.
„Meine Fresse, gleich knallt’s! Finger weg von der Karre!“ Peer war außer sich. Guddi musste ihn zurückhalten, er wäre sonst sicherlich ausgestiegen und hätte sich einen antiken Faustkampf mit diesen wild gewordenen Furien geliefert. „So sehr scheinst du dich dann doch nicht geändert zu haben“, bemerkte Guddi süffisant. „Lass uns jetzt ganz ruhig aussteigen und diese Hyänen einfach ignorieren, ja? Da drin wartet Arbeit auf uns und wir werden bei diesem Mord nicht so viel Zeit bekommen wie bei einem ,herkömmlichen‘.“ „Was meinst du damit, dass ich mich doch nicht geändert habe? Ach scheiß drauf, hast recht. Langsam wird mir allerdings klar, warum Joe Sanderson so einen gewaltigen Erfolg hatte!“ Guddis Gesicht verwandelte sich in Sekundenschnelle. Mit zusammengekniffenen Augen und emporgerecktem Kinn drehte sie sich zu Peer und spuckte ihm ein „Ich höre“ entgegen. „Och bitte! Im Ernst? Du etwa auch?“ Peer wandelte am Ohrfeigenbaum, das stand außer Frage. Dass seine Partnerin, die sonst eine so toughe, mit messerscharfem Verstand ausgestattete Frau war, ausgerechnet auf den Weichspülpop einer Joe Sanderson stehen sollte, war ihm nicht nur vollends entgangen, er hätte es vermutlich auch ignoriert, hätte er davon gewusst. „Okay, sorry, ich wollte dich nicht verletzen. Guddi, seit wann …?“ „Schon immer. Wirklich. Sie ist meine Heldin, seit den ersten Tagen bei Crusade. Dass du und andere Kollegen sie die irische Variante von Helene Fischer titulieren, geht mir definitiv gegen den Strich, das kannst du mir glauben. Aber lassen wir das jetzt. Wir müssen ermitteln. Wenn wir das Schwein erwischen, das das hier getan hat, werde ich ihn höchstpersönlich verhören.“ „Woher willst du wissen, dass es ein Mann war?“ Guddi sah Peer mit einem geringschätzigen Blick an. „Eine Frau würde so etwas СКАЧАТЬ