Название: Blutgeschwister
Автор: Thomas Matiszik
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
Серия: Kommissar Modrich
isbn: 9783942672580
isbn:
Am Ende des Flurs kamen zwei Männer den Gang herunter, die Guddi bereits gesehen hatte, als sie an der Halle angekommen waren. Der linke sah aus wie der uneheliche Sohn von Chuck Norris und René Weller, das Hemd hatte er bis zum Bauchnabel aufgeknöpft, dazu trug er eine viel zu enge Levi's 501. Die restlichen Haupthaare hatte er sorgsam von rechts nach links gekämmt, um seine Glatze zu kaschieren. Eine goldumrandete, übergroße Sonnenbrille und ein üppiger Oberlippenbart rundeten das Bild ab. Die Krönung allerdings waren seine Cowboystiefel aus Krokodilleder, die den letzten Beweis antraten, dass dieser Typ modisch in den 80er-Jahren hängen geblieben war. Der andere war kleiner und deutlich schmächtiger, sein etwas tapsiges Auftreten und sein Polyesteranzug verliehen ihm den diskreten Charme eines Gebrauchtwagenverkäufers. Guddi merkte, wie ihre Mimik langsam entglitt. Nur mit großer Mühe konnte sie verhindern, laut loszuprusten und sich auf die Schenkel zu schlagen. „Wir sind die Konzertveranstalter des heutigen Abends“, rief der etwas unscheinbarere Mann mit einem leichten fränkischen Akzent. „Ich bin Mirko Sänger von R-Concerts, das hier ist mein Kollege Viktor Pospisil!“
Guddi musste sich immer noch zusammenreißen. Wie um alles in der Welt konnte man erwarten, mit solchen Typen seriöse Geschäfte machen zu können? Wie konnte es sein, dass zwei solche Lackaffen ein ausverkauftes Joe Sanderson Konzert veranstalteten und mit ’nem Sack voller Geld nach Hause gingen? Irgendwas lief hier deutlich schief. Während Guddi im tiefen Tal der Vorurteile wandelte, ergriff Kruschek das Wort: „Freut uns, Sie kennenzulernen. Wie können wir Ihnen helfen?“ Guddi hatte ihre Contenance ebenfalls wiedererlangt und lächelte gequält in Richtung des behaarten Bauchnabels auf zwei Beinen. „Wir möchten eine Aussage machen“, begann Pospisil mit sonorer Stimme, „ich denke, wir können die Ermittlungen in diesem tragischen Fall vorantreiben.“
Wow! Guddi war baff. So viel Distinguiertheit hätte sie dem Typen gar nicht zugetraut. Natürlich war es eine Binsenweisheit und vor allem für einen Kriminalisten von elementarer Bedeutung, sich nicht von Äußerlichkeiten blenden zu lassen. Weder in die eine noch in die andere Richtung. Es gab genügend Beispiele von männlichen Kollegen, die sich von den großen Rehaugen einer Zeugin oder Tatverdächtigen haben beeinflussen lassen.
Guddi besann sich also darauf, wieder professionell und vorurteilsfrei zu denken und führte die beiden Konzertveranstalter in einen etwas größeren Raum, in dem die traurigen Reste des Künstlercaterings auf ihre Entsorgung warteten.
„Wir werden Ihre Aussage natürlich zu Protokoll nehmen müssen“, erklärte Guddi Sänger und Pospisil. „Ich gehe davon aus, dass Sie damit kein Problem haben?!“ Während der eine, Viktor Pospisil, ruhig blieb und Guddi mit festem Blick musterte, schien Sänger kurz vor der Schnappatmung zu stehen. Kalter Schweiß spiegelte sich auf seiner Stirn, unruhig nestelte er an seiner Hosentasche, und aus irgendeinem Grund blinzelte er plötzlich im Sekundentakt. „Möchten Sie eventuell etwas Wasser, Herr Sänger?“ Kruschek war die plötzliche Nervosität des Zeugen nicht entgangen, seine Reaktion erstaunte Guddi nun aber doch. Ihr Kollege reagierte exakt so, wie man es auf der Kommissarschule lernte: Erhöhe niemals den Druck auf einen Zeugen, wenn dieser ohnehin schon zu nervös ist, um einen klaren Gedanken zu fassen. Nimm erst einmal ein wenig Druck aus dem Kessel, lenke das Gespräch auf etwas vermeintlich Unwesentliches, damit sich der Zeuge wieder herunterfährt und den Fokus auf seine eigentliche Aussage nicht verliert. ,Ist das wirklich derselbe Beamte, der vorhin noch hemmungslos vor sich hin blähte?‘, fragte sich Guddi. Sie würde ihn im Auge behalten. So viele fähige Ermittler gab es leider nicht, es wäre ein Jammer, wenn einer wie Kruschek seine Karriere als Streifenpolizist beenden müsste. Eigentlich schade, dass er schon zu den älteren Kollegen gehörte.
„Natürlich haben wir damit kein Problem, richtig, Mirko?“ Mirko Sänger hatte einen großen Schluck Wasser genommen, war immer noch etwas kurzatmig, nickte aber dennoch in Richtung seines Partners. „Läuft das Ding da schon?“ Pospisil deutete auf das Aufnahmegerät, das Guddi in die Mitte des Tisches gelegt hatte. Im gleichen Moment drückte sie den Aufnahmeknopf, sprach kurz das Datum, die Uhrzeit und die Namen der anwesenden Personen auf und gab Pospisil das Zeichen, zu beginnen. Pospisil setzte sich aufrecht hin und holte tief Luft, sodass sein Chuck-Norris-Dekolleté zum Vorschein kam. Guddi musste aufpassen, nicht ins Aufnahmegerät zu prusten. „Irgendjemand hatte es auf Joe Sanderson abgesehen“, begann Pospisil, „sie wurde offenbar erpresst. Ich habe seit Jahren einen guten Draht zu ihrer Mutter, die all die Jahre eine wichtige Vertraute für Joe war. Sie hat mich vor ungefähr einem halben Jahr, als klar war, dass wir die Tour veranstalten würden und der Vorverkaufsstart unmittelbar bevorstand, angerufen, um mir zu diesem Erfolg zu gratulieren. Sie müssen nämlich wissen, dass Mirko und ich schon damals, als Joe noch bei Crusade gesungen hat, die Tournee der Band in Deutschland veranstaltet haben. Wir waren es, die die Band für Deutschland entdeckt und die erste Klubtour sehr erfolgreich durchgeführt haben.“
Pospisil legte eine schöpferische Pause ein, holte mehrfach tief Luft und fuhr dann fort: „Leider gibt es in diesem Business keinerlei Loyalität, sodass die nächste Tour von Crusade, die dann zum ersten Mal durch Arenen führte, die geschätzten Kollegen von Eazy Booking aus Hamburg bekamen und damit einen riesigen Reibach machten!“ Offenbar hatte Pospisil das noch immer nicht verwunden. Guddi beobachtete, wie der Mann seine Fäuste ballte und an seinem Hals eine Ader hervortrat, die sicher platzten würde, wenn er nicht bald ein wenig Luft ablassen konnte. „Herr Pospisil, ich finde Ihre Ausführungen zwar sehr spannend, muss aber darauf drängen, dass Sie uns bitte nur die relevanten Fakten schildern, die uns in dem Fall Joe Sanderson hoffentlich weiterbringen.“ Guddi hatte ihr unverbindlichstes Lächeln aufgesetzt und blickte Chuck Weller, wie sie Pospisil innerlich nannte, ruhig an.
„Sie haben offenbar keine Ahnung von der Konzertbranche, was? Warum ich Ihnen das alles hier erzähle, wollen Sie wissen? Nun, als ich den Zuschlag für diese Tour bekam, war es klar, dass alle Konzerte im Nu ausverkauft sein würden. Joe Sandersons Solotournee war genau das, worauf die Welt gewartet hatte. Joes Entscheidung für Mirko und mich war ein Schlag ins Kontor von Eazy Booking. Ich gehe jede Wette ein, dass die Kollegen hinter den Erpressungen und dem heutigen Mord stecken. Matthias Stötzinger ist in der Beziehung wirklich alles zuzutrauen. Er hat es gar nicht gern, wenn ihm jemand etwas wegnimmt, an dem er jahrelang seine Freude hatte. Niederlagen gehören nicht zu seinem Lebensplan. Als ich die Sanderson-Tour bekam, hat er in seinem Büro gewütet wie ein Wahnsinniger. Er soll sogar Platinauszeichnungen von der Wand gerissen und durch die Luft geschleudert haben. Der Typ ist eine tickende Zeitbombe, wenn Sie mich fragen!“ „Und dieser Stötzinger ist sicher der Chef von … wie heißt die Firma noch gleich?“
Jetzt hatte Guddi Chuck Weller doch ein wenig zu sehr gereizt. Blitzartig stand der Hüne auf und warf dabei mit lautem Getöse seinen Stuhl um und das Wasser, an dem Mirko Sänger genuckelt hatte, vom Tisch. Kruschek verdrehte die Augen. „Hören Sie, Frau Inspektor oder wie Sie auch immer genannt werden wollen: Wenn Sie keine Ahnung von der Materie haben, ist das völlig okay. Ich versuche gerade, Ihnen das Konzertgeschäft verständlich zu machen. Mir liegt viel daran, dass dieser Fall schnell gelöst wird. Wenn Sie aber mit einer derartigen Ignoranz an die Sache herangehen, werden Sie vermutlich nie zum Ziel kommen. Mit meiner Unterstützung brauchen Sie ab jetzt jedenfalls nicht mehr zu rechnen!“
Guddi hatte den Bogen überspannt. Sie musste sich selbst eingestehen, dass sie die beiden Typen nicht sonderlich ernst genommen und Pospisil nicht wirklich zugehört hatte. Dass der Kerl aber gleich so auf die Barrikaden ging, wollte sie nicht so recht verstehen. Dennoch kroch sie zu Kreuze. „Herr Pospisil, Sie haben völlig recht. Ich habe mich Ihnen noch gar nicht richtig vorgestellt. Mein Name ist Faltermeyer, Gudrun Faltermeyer. Ich bin Kommissarin im Morddezernat. Tut mir leid, dass dieses Gespräch einen solchen Verlauf genommen hat, aber glauben Sie mir: Das hat nichts mit Ignoranz zu tun, sondern mit Ahnungslosigkeit. Ich bin großer Fan der Ermordeten, kenne mich aber in der Konzertbranche überhaupt nicht aus.“,Außerdem haben meine Ohren automatisch auf Durchzug geschaltet, als ich euch СКАЧАТЬ