Fettnäpfchenführer Weihnachten. Nadine Luck
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Название: Fettnäpfchenführer Weihnachten

Автор: Nadine Luck

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия: Fettnäpfchenführer

isbn: 9783958893221

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      »Das ist nett«, sagt Gurian. »Aber dürfte ich zuerst deine Eltern sprechen?«

      »Äh … «, wundert sich das Mädchen und ruft nach der Mutter.

      »Kann ich Ihnen helfen?«, fragt Annette, die herangeeilt kommt und das Mädchen an sich zieht. Sie sieht Gurian neugierig an. Bemerkt sie bereits eine Ähnlichkeit? Etwa die smaragdgrünen Augen, die sie und ihre Kinder haben – genau wie Gurian? Das jedenfalls entdeckte Professor Zilius als Erstes, als er das Familienfoto der Hollerbachs sah.

      »Frau Hollerbach, es klingt verrückt …«, fängt Gurian an. Und als Jürgen dazukommt, umreißt er in wenigen Sätzen seine Mission und holt schließlich die Beweise hervor. Er zeigt ihnen den Ehering, den er geerbt hat. »A & J, 23. Juli 2009« ist eingraviert.

      »Wo haben Sie den denn her?«, fragt Jürgen. Er hat ihn verlegt und weiß nicht, wo. Annette und er hatten schon Streit deswegen.

      Gurian weiß auch nicht, wo Jürgen ihn verloren hat – doch: Seine Großmutter hat ihn gehabt, als Erbstück ihrer Eltern, also muss er offenbar in der Vergangenheit, die jetzt noch Zukunft ist, wieder aufgetaucht sein. Gerne gibt er ihn zurück. Dann holt er das Foto heraus.

      Annette reißt es ihm aus der Hand. Darauf sind sie und Jürgen und drei Kinder zu sehen. »Warum sind da drei Kinder drauf?«, fragt sie, und ihre Stimme bricht ab.

      »Na, Sie mit Ihren drei Kindern eben …«, sagt Gurian. »Eins hat mir doch die Tür auf…«

      »Wir haben nur zwei Kinder«, unterbricht ihn Annette, ihr wird schwummrig. Wenn das Bild keine Fälschung ist, wenn der Mann wirklich aus der Zukunft stammt, dann würde das bedeuten, dass sie bald noch ein Kind bekommen sollten. Einen Jungen. Ein Glücksgefühl macht sich in ihr breit. Kann das sein?

      Alles, was der Mann sagt, klingt unglaublich – und doch bitten sie ihn ins Haus und geben ihm die Gelegenheit, die gesamte Geschichte zu erzählen. Die smaragdgrünen Augen sind Annette tatsächlich sofort aufgefallen …

      Gurian redet und redet und fordert sie auf, die ersten Forschungen zur Zeitreise in der Universität einzusehen, an der zahllose Wissenschaftler bereits jetzt arbeiten – auch wenn sie noch in den Kinderschuhen stecken. Er erzählt weiter, dass beim größten Hackerangriff in der Geschichte der Menschheit im Jahr 2137 viel Wissen über die Gepflogenheiten des 21. Jahrhunderts und der Jahrhunderte davor verloren gegangen sind. Dieses soll er zurückholen, etwa über Alltagsbräuche und ein Fest namens Weihnachten, über das er zum Beispiel recherchieren soll.

      »Das feiern Sie ähnlich groß wie Halloween, oder?«, fragt er.

      Die Hollerbachs wissen nicht, ob sie entsetzt sein oder lachen sollen.

      »Groß wie Halloween? Halloween ist sehr umstritten, das mag nicht jeder …«, sagt Jürgen.

      »Oh, dann feiern Sie Weihnachten gar nicht so opulent?«, will Gurian wissen.

      »Doch, natürlich. Das wissen Sie wirklich nicht? Es ist das Fest der Feste!« Annette ist schockiert. »Gottes Sohn, Jesus, ist dann geboren. Heißt das, Sie kennen Weihnachten in der Zukunft nicht mehr?«

      »Gottes Sohn?« Gurian blickt sie entgeistert an. Wovon spricht sie? »Ein Gott soll einen Sohn haben – und das feiern Sie? Ganz im Ernst?«

      Annette blickt ebenso entgeistert. »Das ist aber nicht Verstehen Sie Spaß? jetzt, oder?«, fragt sie.

      Die Hollerbachs können Gurians Erzählungen nicht glauben, und irgendwann glauben sie sie doch. Gurian weiß zwar nichts über Weihnachten, aber er kennt ihre gesamte Familiengeschichte, und zwar mit so vielen Details, wie sie ein Unbekannter nicht recherchieren könnte. Obwohl alles so ungeheuerlich klingt, siegt die Neugier der Hollerbachs. Sie laden den Verwandten aus der Zukunft ein, die kommenden Wochen bei ihnen zu verbringen, denn die Gelegenheit, einen dermaßen persönlichen Blick in die Zukunft werfen und mit dem Verwandten aus der Ferne sogar Weihnachten feiern zu können – die wollen sie ergreifen.

       O du Peinliche

      Für einen Menschen aus der Zukunft klingt die Geschichte der Geburt Jesu so unglaublich wie für die Hollerbachs die Geschichte von Gurians Zeitreise. Mit etwas Abstand betrachtet, ist es offenbar schwer vorstellbar, dass dieses Ereignis 2.000 Jahre später mit allem Pomp gefeiert wird. Auch aus heutiger Sicht darf darüber gestaunt werden, dass Weihnachten für so viele Menschen das wichtigste Fest im Jahr ist. Natürlich halten zumindest gläubige Christen nicht Halloween für das »beste Fest des Jahres« – aber Ostern könnte der Titel grundsätzlich schon gebühren, denn: Weihnachten feiern die Menschen die Geburt Jesu; Ostern hingegen feiern sie, dass er von den Toten auferstanden ist. Das ist natürlich wesentlich bahnbrechender und Grund genug dafür, dass Ostern aus kirchlicher Sicht das bedeutendste Ereignis im Jahreskalender ist. Wie konnte es daher passieren, dass Weihnachten dem wundersamen Osterfest den Rang abgelaufen hat?

      Nun ja: Weihnachten hat diesbezüglich einen langen Weg hinter sich. In den ersten Jahrhunderten des Christentums feierten die Menschen lediglich Jesu Auferstehung. Erst ab dem frühen vierten Jahrhundert gibt es Belege dafür, dass auch der Geburt gedacht wurde – allerdings wohl in eher beschaulichem Rahmen, in Form von Gottesdiensten. Wäre es dabei geblieben, wäre das Weihnachtsfest für die Masse der Menschen heute kaum bedeutungsvoller als Festtage wie Christi Himmelfahrt oder Mariä Lichtmess. Damit es zu dem Ereignis wurde, dem wir heute Jahr für Jahr mit größtem Prunk huldigen, mussten über viele Jahrhunderte hinweg etliche Traditionen dazukommen. Wobei an dieser Stelle gesagt werden muss: Die meisten Weihnachtsrituale sind vergleichsweise neu. Das Weihnachtsfest in der Form, wie wir es heute zelebrieren und wie wir es für ein ewiges, unantastbares Ideal halten, gibt es noch keine 200 Jahre – auch wenn seine Wurzeln wesentlich weiter zurückreichen.

      In jedem Fall sind die Traditionen, die sich in der Gesellschaft und in jeder einzelnen Familie entwickelt haben, vielen Menschen wichtig. Sie begehen das Fest alljährlich mit größtem Aufwand, um von Adventsbeginn bis mindestens zum zweiten Feiertag weihnachtlich gestimmt zu sein. Das gelingt oft nur so halb, natürlich ist gestresst, wer zum Fest Großputz, Großeinkauf, Gottesdienst, Geschenke, Galamenü und die großartige Helene Fischer Show unter einen Hut bekommen will. Doch die meisten nehmen das in Kauf, weil die Menschen alles, was zum Weihnachtsfest gehört, mehr beeindruckt als gefärbte Eier, geschmückte Ostersträuche und ein Hase als Geschenkebringer. Und was ist ein Ritual wie die Ostereiersuche im Vergleich zur Adventszeit mit ihrer sinnlichen Atmosphäre? Auch in Sachen Osterlieder sieht es dünn aus – oder kennt jemand mehr davon als Stups, der kleine Osterhase von Rolf Zuckowski? Und was ist das überhaupt, verglichen mit Stille Nacht in der magischen Heiligen Nacht?

      Auch wenn Kritiker beklagen, dass Weihnachten in der heutigen Gesellschaft zum reinen Konsum- und Familienfest ganz ohne Jesus verkommt, beschäftigen sich viele Menschen in der sentimentalen Zeit kurz vor dem Jahreswechsel mit Wertigem. Sie versuchen, Gutes zu tun, vielleicht indem sie etwas Geld an Bedürftige spenden oder sich bei der ungeliebten, aber einsamen Tante Frida melden – und sie besinnen sich auf ihre Liebsten, sie werden ruhig, ziehen sich zurück, gönnen sich und anderen Ruhe. Dabei fühlen sich viele von ihnen eigenartig verbunden mit einem Ereignis, das vor über 2.000 Jahren passiert ist.

       WAS HEISST »WEIHNACHTEN«?

       Das Wort zum Fest

      Weihnachten ist ein Wort, das im Plural steht, im Singular heißt es »Weihnacht«. Bereits seit dem 12. Jahrhundert ist СКАЧАТЬ