Название: Dr. Sonntag Box 4 – Arztroman
Автор: Peik Volmer
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
Серия: Dr. Sonntag
isbn: 9783740972318
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Hannes hatte für Informationen jeder Art ein sehr offenes Ohr. Und da er meist unbeteiligt wirkte, nahm man ihn als Zuhörer nicht wahr. Dennoch lauschte er den Gesprächen, die man in seiner Nähe führte, aufmerksam und speicherte sie in seinen Hirnwindungen ab, um sie gegebenenfalls bei passender Gelegenheit als Trumpfkarte aus dem Ärmel zu ziehen. Manchmal auch nur für sich selbst, im Stillen. So begriff er am Beispiel der Erzählungen, dass es durchaus unterschiedliche Arten von Elternpaaren gab. Eltern, die ihre Kinder in ein enges Gespinst von Strafen hüllten. Eltern, die ihre Kinder auf Schritt und Tritt verfolgten, um Schaden von ihnen abzuwenden, sie biologisch wertvoll ernährten und sie keinen Moment unbeobachtet ließen. Eltern, die ihren Kindern wenig Beachtung und keine Liebe schenkten, als hätte es sich bei deren Herstellung um ein bedauerliches Versehen gehandelt. Eltern, die mit Ehrgeiz ihre Kinder zu Höchstleistungen antrieben und sie mit zur Schau getragener Enttäuschung quälten, wenn das Talent des Kindes nur Durchschnittliches erlaubte.
Wo nur Felicitas blieb? Er erhob sich und schritt von seinem Platz zum Schultor. Er durfte keinesfalls auf die Linien zwischen den Gehwegplatten treten, immer nur mitten auf die Platte. Würde sein Fuß die Linie treffen, würde wieder etwas Dummes passieren, wie diese Sache beim E-Springen. So blöd, wirklich! Dabei hatte er alle Hindernisse wunderbar und sicher bewältigt. Meist handelte es sich ja auch nur um Oxer und Ricks. Aber im letzten Bereich war das Gelände des Parcours abschüssig gewesen, und er hatte den richtigen Punkt fürs Abspringen verpasst.
Was hatte Philipp gesagt? ›Dann schaffst du es eben beim nächsten Mal! Hauptsache, dass du dir kein Loch in den Kopf geschlagen hast!‹ Und Chris war ohnehin der Auffassung, das Pferde heimtückische Kreaturen wären, die ihm nach dem Leben trachteten. Ihn selbst allerdings wurmte es, auch wenn Philipp immer sagte, dass die Schultern eines Kindes nicht dazu bestimmt wären, die Erwartungen ihrer Eltern zu tragen.
»Hallo, Hannes! Wartest du auf meine Tochter?«
Er drehte sich in die Richtung, aus der die Stimme zu ihm sprach.
»Ja, Herr Dr. Cortinarius«, bestätigte er. »Der Kursus muss schon lange vorbei sein!«, ergänzte er.
»Komisch«, wunderte sich Kilian. »Gibt es hier noch einen anderen Ausgang, sodass wir Feli vielleicht verpasst haben?«
»Aus dem Haus selbst ja. Aber das ist die Tür zur Sporthalle und zum Keller. Und dann noch der Notausgang aus dem Neubau. Aber die führen alle auf den Schulhof. Der Weg hinaus geht nur über dieses Tor. Das hintere Tor zum Sportplatz ist immer zugesperrt!«
»Weißt du, Hannes, in welchem Raum der Kursus stattfindet?«
Hannes ging voraus, der Oberarzt folgte ihm.
»Hier. Raum 2.«
Sie inspizierten nicht nur diesen, sondern auch die anderen Kursusräume. Alle waren leer. Vom Lehrerparkplatz her dröhnte ein Geräusch. Jemand startete den Motor seines Wagens.
»Vielleicht der Kursusleiter?«, mutmaßte Hannes.
Beide rannten den Gang hinunter, aber als sie durch die Tür ins Freie stürmten, sahen sie gerade noch die Rücklichter des roten Toyota. Kilian rannte ein paar Schritte und rief »Halt!, Moment, bitte!« – Der Fahrer schien dies jedoch nicht zu bemerken.
»Wo ist Felicitas?«, fragte Hannes bestürzt.
Kilian wühlte hektisch in seiner Hosentasche und zog sein Mobiltelefon heraus. Auf Stirn und Oberlippe standen Schweißtropfen. Aus seinem Gesicht war jegliche Farbe verschwunden.
»Ist Feli bei dir? Nein? Weißt du, ob sie nach dem Kursus noch irgendwo hin wollte? – Nein, hier ist sie nicht. Hannes, der Sohn vom Kollegen Angerer, hat offenbar schon länger auf sie gewartet! – Hab ich gemacht! Alle Räume sind leer, und den Kursusleiter habe ich verpasst, der kutschierte gerade von dannen! – So, ich fahre mit Hannes einige von den Punkten ab, an denen sie sich für gewöhnlich aufhält. Und wenn sie da nicht ist, gehe ich zur Polizei!«
*
»Egidius? Hier spricht deine Mutter! Hast du einen Moment Zeit für mich?«
»Theres! Naja, es muss aber wirklich schnell gehen, der nächste Patient liegt schon auf, und die Narkose ist eingeleitet! Was gibt’s denn?«
»Nein, wenn du in Eile bist, möchte ich dich nicht aufhalten. Wir können später sprechen, wenn du mehr Ruhe hast!«
»Wenn es dir nichts ausmacht, wäre mir das wirklich lieber! Ich bin sicher ab 18 Uhr zu Hause!«
*
Der Klang ihrer Stimme hätte ihn misstrauisch machen müssen. Auch die Tatsache, dass sie ihn in der Klinik anrief, was er hasste. Er aber hatte gerade nur einen Kopf für den Patienten, der sich ihm anvertraut hatte, und dessen ramponiertes Hüftgelenk, das dringend ausgetauscht werden musste – und so sollte es ja auch sein.
Theres, nachdem sie aufgelegt hatte, blieb noch eine ganze Weile in ihrem Lieblingssessel. Von diesem Platz aus konnte sie den Wallberg, den Tegernseer Hausberg sozusagen, innerhalb eines lieblichen Voralpenpanoramas sehen. Und auch den Fernseher. Diesen zwar aus leicht schräger Perspektive, aber für ihre politischen Magazine und für Konzert- und Opernübertragungen reichte es allemal. Sie betrachtete die Bewegung der Tannenzweige im Wind. Wunderschön, die glänzenden Blätter der Rotbuche. Bald würden ihre kahlen Zweige wieder schneebedeckt sein. Ein prächtig-buntes Schmetterlingspaar schickte sich an, für Nachwuchs zu sorgen. Und Wespen flogen herum, kurz aufleuchtend, wenn sie die Strahlen der Sonne passierten. Ob hier irgendwo ein Nest war?
Plötzlich verzog sie das Gesicht, und krümmte sich. Gott sei Dank hatte der Arzt ihr ein Schmerzmittel verschrieben. Gewissenhaft zählte sie die ihr zugestandenen 30 Tropfen ab. Die gelbliche Flüssigkeit schmeckte bitter. Wie lange dauerte es, bis die Krämpfe nachließen?
*
Tassilo war bester Laune, als er die kleine Wohnung betrat, die Maria und er angemietet hatten. Zugegeben war Hausham nicht die edelste Gegend, aber die Wohnung war bezahlbar, die Nachbarn waren nett, man hatte einen noch unverdauten Ausblick, und es gab einen Fahrstuhl, was sehr praktisch ist, wenn man in eine Dachgeschosswohnung zieht. Als Tüpfelchen auf dem i verfügte die Wohnung über einen winzigen Balkon, der Platz für zwei Stühle und einen Tisch bot. Die Aussicht, hier sommers gemeinsam zu frühstücken oder die abendliche Brotzeit einzunehmen, hatte den Ausschlag gegeben.
Tassilo Resch, seines Zeichens für die ordentliche Ausleuchtung bei Film- und Fernsehproduktionen zuständig, strahlte wie eine seiner Jupiterlampen. »Du glaubst es nicht, aber – wir fahren in den Urlaub!«
»Moment, Moment!«, dämpfte die Stationsschwester der Chirurgie seine Begeisterung. »Du willst mir doch nicht sagen, dass du etwas gebucht hast, ohne zu wissen, ob das mit meinem Diensten bestimmt werden kann!«
»Beruhige dich, mein Schatz! Es kostet uns ja keinen Cent! Trotzdem wäre es gut, wenn du in etwas mehr als vier Wochen vierzehn Tage Urlaub machen könntest!«
»Und wieso kostet das nichts?«
»Weil ich als Beleuchter auf einem Kreuzfahrtschiff arbeiten werde!«
»So eine ›Traumschiff‹-Serie?«
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