Solange das Herz noch schlägt - Ein Schweden-Krimi. Aino Trosell
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Название: Solange das Herz noch schlägt - Ein Schweden-Krimi

Автор: Aino Trosell

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия: Siv Dahlin-Reihe

isbn: 9788726344189

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СКАЧАТЬ neugierig in Mariannes Leben herumgestochert hatte, ohne dass sie etwas davon wusste. Aber vielleicht stocherte sie genauso lüstern in meinem herum. Schließlich war ich ein uneheliches Kind, ein Bastard. Auch ich verlockte bestimmt dazu, der Fantasie freien Lauf zu lassen. Die Herkunft der Leute hat zu jeder Zeit für Dramatik gesorgt. Ich selbst bin nicht der Meinung, dass Blut dicker ist als irgendeine andere Flüssigkeit, aber bei den Bewohnern dort oben galt eine solche Ansicht als Lästerung, das wusste ich.

      Deshalb war es gut, in Göteborg zu wohnen, da brauchte man sich um diesen Mist nicht zu kümmern. Selbst wenn ich meinen Arbeitskolleginnen erzählen würde, dass ich unehelich geboren bin, würde das niemanden kümmern. Sie würden lachen und sagen, denkst du denn, du bist die Einzige, das kannst du vergessen. Und sie würden Geschichten erzählen, eine schlimmer als die andere. Nach dem Galgenhumor meiner Kolleginnen zu urteilen, konnte ich noch von Glück sagen, dass ich trotzdem eine Mutter gehabt hatte, die sich um mich kümmerte und mich tatsächlich nie im Stich ließ. Dennoch war sie gefühlskalt gewesen. Ich glaube nicht, dass sie mich je wirklich gern gehabt hat.

      Das Gespräch zwischen Ingeborg und mir endete wie immer mit gegenseitigen, im Telegrammstil gehaltenen Gesundheitsberichten. Ich fühlte mich ja ständig zu dick, obwohl Ingeborg mir da nicht zustimmen wollte. Sie selbst bestand nur aus Haut und Knochen, und ich glaubte, dass mein schlimmer Rücken damit zu tun hatte, dass ich zu viel mit mir herumschleppte – sozusagen zu viel Gepäck. Ingeborg tat meine Probleme als Stuss ab und berichtete, dass sie ihrerseits Schmerzen im Daumen verspüre. Das sei bestimmt rheumatisch. Sie klagte gewaltig über ihren Daumen, und das freute mich, denn dann war alles Übrige offenbar völlig in Ordnung. Bestimmt kommt es davon, dass du zu viel Geld zählst, schlug ich vor. Da verstummte das Gejammer mit einem Schnauben. Wir wünschten uns gegenseitig einen guten Schlaf und kamen überein, in ein paar Tagen wieder miteinander zu sprechen.

      Irgendwann spät in der Nacht kam Jan nach Hause. Er bewegte sich leise und schaltete das Licht nicht an, ich hörte ihn am Schrank. Ich wollte aufwachen, schaffte es aber nicht und dachte, wir würden uns wohl am Morgen treffen, er musste bestimmt zeitig raus, wenn er nach Dänemark wollte.

      Das Herz ist nur ein Muskel, dachte ich. Jans Puls schlug sichtbar, die Halsschlagader bewegte sich. Er schlief lautlos, vollständig entspannt. Ich stand im Lichtstreifen, der aus der Küche fiel, und sah ihn an. Auf dem Küchentisch lag ein Zettel mit der Bitte, ihn schlafen zu lassen, er sei spät nach Hause gekommen, und sie würden nicht vor halb zehn losfahren.

      Ich rechnete aus, dass sie frühestens nach dem Mittagessen auf der Konferenz ankommen würden, aber es gab vermutlich ein konzentriertes Nachmittagsprogramm. Der Vormittag war wohl internen dänischen Fragen vorbehalten.

      Ich hätte ihn gern geweckt. Eine Menge Tage waren jetzt vergangen, ja, Wochen. Die Liebe ist ein Muskel, dachte ich, der arbeitet und pumpt, sich quält und schindet. Ja, Liebe ist Arbeit, sie ist kein Geschenk, kein Gefühl an sich, kein Zustand und kein wohlig warmes Meer, in dem man einfach umhertreibt. Liebe kommt und geht nicht wie Regengüsse und Wolken und wie Blitze am Himmel. Doch, das tut sie, wie Wolken und Wolkenschleier täuscht und entflieht sie zuweilen, und manchmal wird der Sinn vom Blitz verdüstert. Aber vor allem ist die Liebe ein Muskel. Sie ist Arbeit und Wille. Zu wollen, dass einem anderen Menschen nur Gutes geschieht.

      Manche halten sich einen Mann ungefähr so, wie man sich einen Hund hält, dachte ich. Wo sind heutzutage die Gefühle, ist alles, einschließlich des Menschen, nur noch reiner Konsum? Die Lebensdauer eines Hundes ist überschaubar, man kann während eines Lebens mehrere Tiere haben. Ich könnte nie so leben. Bei uns geht es um Jan und mich. Wir haben Åsa, aber ich bin froh, dass unsere Beziehung jetzt die zwischen erwachsenen Menschen ist, sie hat ihr Leben, und sie soll unseretwegen nie ein schlechtes Gewissen haben. Um Jan und mich geht es, wir werden das Alter miteinander teilen. Was immer auch passiert, außer dem Tod natürlich. Der Tod ist das Einzige, gegen das man nichts ausrichten kann, da hilft selbst die Sache mit dem Muskel nicht.

      Bei der morgendlichen Arbeitsbesprechung erfuhren wir, dass wir es an diesem Tag nicht schaffen würden, all die alten Leutchen zu baden, denn eine von uns musste bei Stig-Erik sitzen, ihm ging es inzwischen sehr schlecht. Eine Tochter war unterrichtet worden und saß schon im Zug von Stockholm.

      Maj-Lis und Elisabeth schauten mich an. Ich konnte solche Dinge am besten. Der Tod erschreckte mich nicht, ich hatte schon bei vielen bis zum Ende gewacht. Auch meine beiden Kolleginnen hatten keine Angst davor, aber meine Haltung war vielleicht eine andere, war besinnlicher, ich sah einen Wert darin, einen sterbenden Menschen bei seinen letzten schwankenden Schritten zu begleiten. Ich empfand es immer als feierlich, ja, fühlte mich sogar auserwählt.

      Ich wollte niemanden sterben sehen. Das Leben war es, was ich sehen wollte, das Leben bewunderte ich, das Leben dieser Menschen bis zum letzten Augenblick; und dass die Menschenwürde dort vielleicht wiederhergestellt wurde, in den allerletzten Minuten, wenn der Boden endlich trug und der Gedanke einschlug: Jetzt sterbe ich, und dass man das mit Fassung hinnahm, es akzeptierte. Ja, ich sterbe, lebt wohl. Und dann starben sie.

      Und die Stille hinterher, die Milde darin. Der Schlusston pflegte in den allermeisten Fällen ein guter zu sein, wenn ein Mensch, der zu Ende gelebt hatte, das Leben verließ.

      Man konnte es anderen nicht erklären. Warum ich nichts dagegen hatte, die Sonderwache bei einem Sterbenden zu übernehmen.

      Die Ärztin war gerade da gewesen. Stig-Erik lag am Tropf, vor allem um die Unannehmlichkeiten aufgrund der Austrocknung auszuschalten. Und er hatte auch einen Katheter, aber ich sah, dass darin nicht viel Urin war. Die Organe in seinem Körper schienen jetzt ungefähr gleichzeitig ihre Werkzeuge niederzulegen, er hatte ganz einfach zu Ende gelebt.

      Die großen schweren Hände lagen auf der Bettdecke. Seine Atemzüge waren langsam und tief. Er befand sich im Dämmerzustand. Die Hände waren kalt, aber sie durften dennoch auf der Decke liegen bleiben. Die Füße waren ebenfalls kalt. Ich nahm eine zusätzliche Decke aus dem Schrank und breitete sie über ihn. Ich wusste nicht, ob sterbende Patienten die Kälte spürten, wenn sie kam. Niemand war zurückgekehrt, um es zu erzählen. Ich sorgte für Stig-Erik einfach genauso, wie ich glaubte, dass ich an jenem Tag behandelt werden wollte.

      Aber vielleicht stirbt man ja auf einem Stück nassem Asphalt mit einem zerquetschten Auto über sich oder sinkt, im Gehirn eine geborstene große Ader, vor der Spüle zusammen, wo einen der eigene Mann findet, oder man wird an der Haustür erschlagen, aus Versehen, weil man verwechselt worden ist. Woher soll man das wissen. Stig-Erik konnte man gratulieren, er hatte sein Leben zu Ende leben dürfen. Ein Leben, das sich, nach allem zu urteilen, hauptsächlich um die Werft Eriksberg gedreht hatte. Seit er zu uns gekommen war, hatte er bedeutend mehr von Meistern und Nagelstiften geredet als von der eigenen Familie. Aber jetzt war er ausgepumpt und still, fast geheimnisvoll schwieg er zu den Bildern, die sich in seinem Gehirn abspielten, nichts drang nach außen. Er seufzte schwer. Lag völlig reglos. Einzelne graue Haare lugten über die Paspel der Pyjamajacke, sie vibrierten vom leichten Schlag des Pulses am Hals.

      Die Ärztin hatte ihr Stethoskop vergessen. Oder vielleicht hatte sie es mit Absicht dagelassen. Es lag auf dem Nachttisch, ringelte sich wie eine kleine Schlange um Wasserglas, Notizblock und Tablettenröhrchen.

      Die Tochter war unterwegs. Ich hoffte, dass sie es rechtzeitig schaffte. Ich sank auf den Stuhl an Stig-Eriks Kopfende und legte meine Hand auf die seine, damit er spürte, dass jemand da war. Ich konzentrierte mich ganz auf ihn.

      Die Zeit verging. Der Tropf tropfte. Nichts geschah im Katheterbeutel. Ich hörte, wie die Mädchen draußen auf dem Korridor mit Frühstücktabletts und Bettpfannen hin und her eilten. Das sanfte Licht der Nachttischlampe glättete die Runzeln des alten Mannes, sodass er jung und rosig wirkte. Friede herrschte im Zimmer. Friede und das Gefühl von Anwesenheit.

      Nach langen, inhaltsreichen Augenblicken, СКАЧАТЬ