Die Unsichtbaren. Roy Jacobsen
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Читать онлайн книгу Die Unsichtbaren - Roy Jacobsen страница 10

Название: Die Unsichtbaren

Автор: Roy Jacobsen

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9788711449653

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СКАЧАТЬ verwandeln und sich danach nach Norden drehen und schließlich zu einer scharfen Brise zusammensacken wird, ehe er sich endlich so beruhigt, dass sie wieder Wasser in den Stall tragen können, ohne dort mit leeren Eimern anzukommen.

      Barbro und Maria können die Eimer fast halb voll zu den Tieren bringen, während Hans nachdenklich in der Küche stehen bleibt und die Wunde an seinem Kinn betastet und ihn eine plötzliche Eingebung erfüllt, und er sagt zu Ingrid, sie solle mit ihm kommen und das Meer ansehen, damit sie lernt, sich nicht davor zu fürchten, jetzt, wo es ganz besonders heftig ist, ganz besonders lehrreich.

      Er weiß nicht, wie er auf diese Idee gekommen ist.

      Das weiß sie auch nicht. Aber er zieht sie an, während Martin den Kopf schüttelt, und bindet ihr ein Seil um den Leib. Sie gehen hinaus unter den zornschnaubenden Himmel und kämpfen sich nach Süden, waten gegen die Strömung durch einen Fluss aus Wind und Wetter, klettern mühselig über drei Mauern und ducken sich im Windschutz, um Atem zu holen, bringen eine weitere Mauer hinter sich, während der Vater vor jedem Hindernis lacht und Ingrid sich beide Hände vors Gesicht halten muss, um atmen zu können, und so geht es hoch auf die kleine Anhöhe hinter dem russischen Baumstamm, der letzten Schanze, ehe das Gebrüll über sie hereinbricht – wütende Wände aus Wasser, das sich in der schwarzen Nacht aufgetürmt hat und sich auf sie zuwälzt und an Stein und Strand und Felsen zerschlagen wird, dass Muscheln und Eis und Sand sie nur so anfauchen, denn das hier kann niemand ansehen oder begreifen oder erinnern, die Posaunen des Jüngsten Tages, da können sie auch gleich alles wieder vergessen.

      »Is nich gefährlich«, schreit der Vater ihr ins Ohr.

      Aber das hört sie nicht. Sie hören beide nichts. Er schreit, sie solle mit dem Körper spüren, dass die Insel sich nicht von der Stelle bewegt, auch wenn sie zittert und Himmel und Meer umkalfatert werden, eine Insel geht niemals unter, auch wenn sie bebt, sie ist unerschütterlich und ewig, im Erdball selbst verankert. Ja, es ist eine fast religiöse Erkenntnis, die er in diesem Augenblick mit seiner Tochter teilen will, da er keinen Sohn hat und jeden Tag sicherer wird, dass er auch niemals einen bekommen wird, dass er sich mit einer Tochter abfinden und ihr das grundlegende Prinzip klarmachen muss, dass eine Insel niemals untergeht, niemals.

      Später wird Ingrid sich über diesen Abend wundern, das werde ich nie vergessen, wird sie sagen, aber dann ist der Sturm längst abgeflaut, und nur das Unerschütterliche ist noch da, die Frage, ob eine Insel mehr ist als ein Sandkorn. Diese Frage wird nicht durch den Vater ausgelöst, sondern durch die Mutter, die sie, als sie sich wieder nach Hause geschleppt haben, mit lautem Geheul empfängt und sich darüber beschwert, dass sie nicht einmal in den Stall gehen kann, ohne dass dieser Idiot von Mann das Kind in Lebensgefahr bringt, wenn er noch weitere solche Einfälle bekommt – dann sind wir geschiedene Leute und ich ziehe weg!

      Nicht zum ersten Mal wird in diesem salzverkrusteten Haus ein solcher Satz gesprochen, sie haben Nerven aus Stahl, aber zum ersten Mal begreift Ingrid, was das bedeutet: Eine Insel kann man verlassen.

      Sie fängt an zu weinen und es dauert seine Zeit, bis Maria begreift, dass es nicht der Sturm ist, sondern ihre eigenen Worte, die Ingrid so verstört haben, sie bedeuten doch nichts, sind nur Geräusch und Schnaufen. Aber sie bringt es nicht über sich, das zu sagen, dass sie natürlich Barrøy niemals verlassen werden, das ist eine unmögliche Vorstellung, vor allem jetzt, da Der Erste Wintersturm vor den ächzenden Wänden sein Todesröcheln ausstößt, dann gerät man aus dem Gleichgewicht und kann nicht wissen, dass man nicht wegkommt, wenn man erst auf einer Insel wohnt, dass eine Insel festhält, was sie hat, mit den Kräften, die sie hat.

      13

      An den folgenden Tagen gehen sie über die Strände im Süden, Hans Barrøy mit einer Heugabel, Martin mit einem Bootshaken und die anderen jede mit einem Rechen. Sie durchsuchen die Tanghaufen, die der Sturm an Land geworfen hat, gewaltige braune Würste auf Feldern und Mauern, miteinander verschlungen wie klebrige, glitschige Seile, reißen sie auseinander und finden Holzstücke und Leinentrommeln und Schöpfkellen und eine zweifelhafte Teedose mit einem Skorpion auf dem Deckel und eine Wanduhr ohne Uhrwerk und ein aufgequollenes Buch ohne Buchstaben, Gegenstände, die sie hochheben und einander mit erstaunten Ausrufen zeigen, ehe sie sie nach oben tragen und in die Karre legen, vor der das krummnackige Pferd angespannt ist, das dasteht und kaut und sich dann ins Gras legt, weil es einfach nicht mehr stehen mag, es liegt wie eine Kuh in seiner eigenen Deichsel.

      Das Pferd.

      Es ist kein junges Pferd. Das war es auch nicht, als es auf die Insel gekommen ist. Es kam mit dem Boot, dem größten Schiff, das Ingrid je gesehen hat, und wurde mit Seilen und einem Kran an Land gehievt und auf dem Felsvorsprung beim Bootschuppen abgesetzt. Sein Blick war wild und wahnsinnig, es verdrehte die Augen und trat um sich und wieherte und biss. Sie mussten es einfach losschneiden und laufen lassen, bis es zur Besinnung gekommen war. Es sollte doch ein friedliches Pferd sein, das war es jedenfalls gewesen, als es still auf einer Weide bei der Handelsniederlassung stand und eigentlich seine Pflicht getan hatte. Deshalb konnte Hans es so billig kaufen. Für fast nichts.

      Aber es war lustig, dem neuen Inselbewohner zuzusehen. Das Pferd lief wie besessen quer über die Insel, machte jählings kehrt, als es im Osten auf Meer stieß, und stürzte davon, bis es auf noch mehr Meer stieß, und drehte abermals und lief nach Norden und warf den Kopf in den Nacken und war geil, der alte Klepper, bis ihm wieder eine Wand aus Meer begegnete, und so machte es weiter, bis es so viele Ecken und Winkel seines neuen Heims besucht hatte, dass es einsehen musste, dass es auf einer Insel war und diese nie wieder verlassen würde, das galt auch für das Pferd.

      Aber es war kein liebes Pferd.

      Es stand im Stall zwischen den anderen Tieren, aber es brauchte seine eigene Krippe und eine Trennwand zwischen sich und den Kühen, denn es biss und trat, und nur Hans wurde mit ihm fertig, anfangs durch Schläge und Tritte. Aber irgendwann kamen sie zu einer Art Arrangement, das darauf hinauslief, dass das Pferd zumeist machte, was es wollte, und das war schon in Ordnung, so lange es Heulasten und Torf und die Mähmaschine zog, die sie nur auf den vier ebensten Wiesen einsetzen konnten, und es konnte auch einen einfachen Pflug ziehen, den Hans beim Kauf dazubekommen hatte, es konnte den Kartoffelacker größer machen und erleichterte ihnen die Arbeit darauf, ja, so lange konnte Hans ein Auge zudrücken, wenn das Pferd sich hinlegte und viel schlief und unberechenbare Kopfbewegungen machte, so dass Hans’ Tochter nicht darauf reiten konnte, nicht einmal, wenn Hans den Zaum hielt. Aber es hatte keinen Namen.

      Alles Wilde auf einer Insel hat einen Namen.

      Hornklee, Rosenwurz, Storchschnabel, Butterblume, Knabenkraut, Mädesüß, Engelwurz, Glockenblume, Fingerhut, Steinbrech, Kamille und Sauerampfer. Silbermöwe, Alk, Kormoran, Trottellumme, Papageientaucher, Reiher, Schnepfe, Brachvogel, Steinschmätzer und Bachstelze. Wühlmaus und Seeigel, Wechselzahnmuscheln, Gletschertöpfe und Nordwindhöcker, Krähenbeere, Heidekraut, Rhabarber, Brennnesseln und Singschwäne, die zwei Jahreszeiten mit traurigen Trompetenstößen begrüßen ... Und alles Zahme hat zwei Namen, Kühe, Kälber, Katzen und sogar das Schwein, das sie erst seit einem halben Jahr haben, aber nicht das Pferd, und das ist gleich doppelt seltsam, da es einerseits ein Haustier ist und andererseits ganz anders als alle anderen seiner Art, aber so ist es eben mit diesem Tier, es hat mit gar nichts Ähnlichkeit.

      Jetzt ist die Karre voll und Hans bohrt ihm die Stiefelspitze zwischen die Rippen und bringt es auf die Beine, er schnalzt mit der Zunge und geht neben ihm her durch die Gärten zum Bootshaus im Norden, wo er ihm ein wenig trockenes Heu in einem Leinensack gibt, den er an der Tür festbindet, damit das Tier ihn nicht an sich reißen und damit lostrotten kann.

      Sie laden alles ab, was der Sturm mitgebracht hat, und sortieren es, vor allem Holz, das zersägt und gestapelt wird, aber es gibt auch achtundzwanzig Glaskugeln, um die Martin sich kümmern will, fünf Seezeichen mit und ohne Schwimmtonne, СКАЧАТЬ