Название: Auf Asche
Автор: Ronald Reng
Издательство: Bookwire
Жанр: Сделай Сам
isbn: 9783730700297
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Es kam einem wie Ewigkeiten vor, als Tiedtge den Ball galant annahm und sich anschließend um die eigene Achse drehte, nur noch er und der Torwart, auf der Uhr vielleicht noch zwei Minuten. Ein kurzer Blick, das rechte Eck war frei. Mit einem leichten Schlenzer umkurvte der Ball den Torwart, wie lange brauchte er, bis er endlich am Pfosten vorbei und ins Netz rauschen würde?
An den Rest erinnere ich mich kaum noch. Ich spürte nur noch, wie sich etwas um meinen Hals warf und ich zu Boden fiel, danach sah ich die Füße meiner Spieler im Spurt auf das Spielfeld stürmen. Um mich herum war nur noch grenzenloses Geschrei und ungeheurer Jubel, wilde Ekstase, die man nie wieder vergisst. Erst als ich mich halbwegs sortiert hatte, erkannte ich den Kollegen Singh auf mir liegen, in aller Liebe, die dieser Sport hervorzaubern kann, und hörte, wie er schrie: „Da ist das Ding, Kollege, da ist es!”
Und als ich von dort aus in den Himmel starrte, entdeckte ich diese weiße Möwe und hatte das Gefühl, als wenn sie mir zunicken würde. Es war dieser Augenblick, als ich kapierte, dass wir soeben Geschichte geschrieben hatten.
Ein großer Moment.
Ein erhabener Moment.
Mein größter.
Jens Kirschneck
War richtig so
Kann es sein, dass Fußballer flächendeckend an der Glasknochenkrankheit leiden? Man möchte es annehmen, wenn man wieder mal sieht, wie ein Profi nach allenfalls leichtem Körperkontakt zu Boden geht, als habe ihn ein Blattschuss einer doppelläufigen Schrotflinte erwischt. Unsere Redaktionspraktikantin, die in ihrer Freizeit Rugby spielt und danach oft so aussieht, als habe sie sich am Wochenende durch mehrere Wirtshausschlägereien gearbeitet, begegnet dem Gebaren der Kicker mit Fassungslosigkeit. Aktive, die sich nach jeder Berührung wälzen wie eine zweitklassige ukrainische Bodenturnerin, würden im Rugby soziale Ächtung erfahren. Im Fußball hingegen ist die Wehleidigkeit gesellschaftlich legitimiert, es wird gejammert, gewinselt und noch im Flug die nötige Auswechslung angezeigt, wie es die Spezialität des früheren Bielefelders Fatmir Vata war.
Bedauerlich, wenn das Vorbild des Profitums bis an die Basis durchschlägt. So hatten wir in unserem Wilde-Liga-Team einen Kollegen, der einst nach jedem harmlosen Zweikampf mit dem gellenden Schrei „Kniescheibenbruch!” zusammenklappte. Ein anderer lief, nachdem er bei einem Kopfballduell einen leichten Cut über dem Augen erlitten hatte, über den halben Platz und rief: „Das ist so gemein! So gemein!” Na ja, wahrscheinlich Schock, wollen wir mal nicht zu streng mit ihm sein. Trotzdem lobe ich mir jene, die auch im Angesicht schwerer Verletzungen Würde und Contenance bewahren. Einmal fiel in einem Spiel ein Akteur der gegnerischen Mannschaft so unglücklich, dass irgendetwas Blödes mit seinem Arm passierte, jedenfalls stand der Unterarm lotrecht vom Oberarm ab, leider in die falsche Richtung. Der Mann blieb ruhig liegen, und als der Krankenwagen kam, um ihn abzutransportieren, sagte er mit fester Stimme: „Nein, nein, bitte nicht. Ich möchte hier einfach ein wenig ausruhen.” Man musste ihn außer Gefecht spritzen, um ihn ins Spital zu bekommen. Solchen Leuten würde auch im Rugby eine große Karriere offen stehen.
Wie man überhaupt sagen muss, dass ich die Wilde Liga vermisse. Ich vermisse es, mit dem gegnerischen Libero 20 Minuten lang über eine Abseitsstellung zu diskutieren, im festen Bewusstsein, dass er es ist, der am Ende gewinnen wird, denn eine Regel steht auch in Zeiten der Viererkette über allem: Abseits ist, wenn der letzte Mann es sagt. Ich vermisse es, als Mittelstürmer zum x-ten Mal in aussichtsreicher Position in die Gasse zu gehen und zum x-ten Mal erleben zu müssen, wie sich unser Mittelfeldregisseur zu einem sinnfreien Distanzschuss hinreißen lässt, der mindestens 20 Meter vorbeigeht, worauf sich garantiert ein Hornochse findet, der dem Schützen zuruft: „War richtig so!” Ich vermisse es, vom Torwart des gefürchteten Teams aus einem sozialen Brennpunkt bei Heepen über das Gelände gejagt zu werden, mit den Worten: „Alter, ich steck dir die Brille in’n Arsch!” Ich vermisse es, mich im November durch den Schlamm der Bielefelder Radrennbahn zu pflügen, was die Brille so verdreckt, dass man sie mir auch gleich in den Arsch stecken könnte. Ich vermisse das Gefühl, im Pokalfinale in letzter Minute den Ausgleich zu schießen und beim anschließenden Jubellauf einen solchen Wadenkrampf zu erleiden, dass ich nicht mehr mit dem eigenen Auto nach Hause fahren kann. Ich vermisse das ganze Gelaber, den schlechten Atem sonntags um zehn, die Schürfwunden von den Ascheplätzen in Schildesche, Sudbrack und Sieker. Deshalb: Lang lebe die Wilde Liga, darauf ein krachendes „Kniescheibenbruch!” und die späte Erkenntnis: War richtig so.
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