Название: Auf Asche
Автор: Ronald Reng
Издательство: Bookwire
Жанр: Сделай Сам
isbn: 9783730700297
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Ich dachte nach. Fuhrmann konnte man mit so jemandem nicht konfrontieren, spätestens nach dem zweiten Aussteiger wäre bei dem Choleriker komplett der Faden gerissen. Tiedtge war zwar ein Kampfhund vor dem Herrn, aber spielerisch nicht so versiert, um all diese Finten vorausahnen zu können. Kanitz brauchten wir im Sturm, Coccos Provokationen würden an diesem Kerl abprallen. Niemand wusste, wie wir diesen Kerl aufhalten sollten.
Es sind diese Momente, die eine Trainerkarriere maßgeblich beeinflussen, und ich erinnere mich bis heute an den Augenblick, als ich meine Entscheidung traf. Wie ich in die Hochsommersonne Amelands blickte, einen tiefen Atemzug nahm und in meinem Kopf alles sortierte, bis sich endlich ein Bild zusammengeschoben hatte, das Bild. Und als mich der Kollege Singh kurz danach zum wiederholten Male fragte, was ich nun zu tun gedenke, und mir dabei seinen Finger in die Schuler bohrte, sagte ich in aller Angespanntheit, die ein solcher Triumphmarsch braucht: „Wir tauschen die Damen!”, bevor ich mich langsam zu meiner Mannschaft aufmachte, das Team, das wir gefunden und geformt hatten, und das nun Historisches angehen würde.
„Männer …”, sagte ich in die Runde abgekämpfter, müder Gesichter, die einen ganzen Turniertag hinter sich hatten, an den Wasserflaschen nuckelten oder mit Milchbrötchen versuchten, die nötigen Kohlenhydrate für das letzte Gefecht zusammenzuklauben. „Es ist so weit.”
Alle Köpfe waren nun auf mich gerichtet, und jeder wusste, was folgte. Selbst als ich zum wiederholten Male das Wort „Männer” gebrauchte, waren sie nicht mehr bei sich, sondern vollends fokussiert und im Tunnel. Kanitz biss in einen Apfel und zerfetzte diesen anschließend, Coccos Augen waren nur noch mandelbraune Riesen, aus denen die Gier floss, und Porno-Kerkes klatschte erregt in die Hände.
„Männer …”, keuchte ich. „Wir stellen wie folgt auf: Kerkes im Tor, davor zwei Verteidiger. Fuhrmann und Tiedge, euer Job ist es, die gegnerischen Stürmer in ihren Laufwegen zu hindern. Gib dem kleinen Bastard einen mit, wenn er an dir vorbeiläuft, stich ihm die Augen aus oder jag ihm deinen Ellenbogen ins Gesicht. Alles klar?”
Ich starrte Fuhrmann kurz an, gab ihm einen kleinen Klaps mit der flachen Hand ins Gesicht und sagte: „Du machst das schon, Junge …” Der Rest fixierte mich immer inniger, es sind diese Momente, wo man als Trainer bemerkt, dass dieses Amt mehr als ein Job ist. Er ist Bürde und Verpflichtung zugleich. Ich fuhr fort: „Davor einen defensiven und einen offensiven Mittelfeldspieler. Kanitz, du wirst das Spiel gestalten …”
Kontermann und Kanitz erhoben überrascht die Häupter. Wir hatten noch nie so gespielt, Kontermann war der Gestalter und ich sah, wie sich Tränen in seinen Augen sammelten, hatte ich ihm doch gerade die Kontrolle über das Spiel entrissen. Vielleicht zu viel für ihn, aber es ging nicht anders. Wir mussten die Damen tauschen.
„Kontermann”, sagte ich und beugte mich zu ihm runter, so dass ich dem Teufelskerl direkt ins Gesicht blicken konnte. „Kontermann, du wirst dieses Team führen, auch wenn du vornehmlich damit beschäftigt sein wirst, dem kleinen Bastard die Knochen zu brechen. Ich will, dass der keinen einzigen Ball in den Fuß bekommt, keinen einzigen, verstehst du. Und in dem Moment, wo wir ihnen durch dich das Herz zerreißen, wirst du sie wie ein Vater über dieses Feld begleiten und uns den Sieg holen, Verstehst du das?”
Kontermann wischte sich die Tränen aus dem Gesicht und nickte. Ich hatte seinen Punkt getroffen, aber dafür hatte man mich eingestellt, und ich wusste, wie man mit solchen Problemfällen umzugehen hatte, die Schlachten der Vergangenheit hatten schließlich auch an mir ihre Spuren hinterlassen. Aber eine Position war noch offen, die eleganteste Position, die Frage nach dem Stürmer unseres Teams.
„Cocco”, sagte ich. „Cocco, wir werden dich womöglich erst in der zweiten Halbzeit bringen.”
Die Mannschaft atmete durch. Kanitz konnte es nicht fassen, was ich dort tat, aber als Trainer war es nicht meine Aufgabe den Spielern zu erklären, was mein Plan war. Auch hier musste ich meine Autorität beweisen, und so sagte ich feierlich: „Klein-Tiedtge … du bist heute unser Mann.”
„Das ist Wahnsinn”, sagte der Kollege Singh und keuchte eine weitere Gauloises durch seine Lungen. Die Mannschaften hatten sich gerade gegenüber aufgebaut, der Schiedsrichter faselte seine Fairness-Litanei hinunter und Joker fixierte uns durch seine Sonnenbrille hindurch. Ich konnte seine aggressiven Blicke auf meiner Haut spüren.
„Wenn das schiefgeht …”, sagte ich. „… dann brauchen wir uns heute Abend im Lager nicht mehr blicken lassen.”
Der Ball rollte los, die ersten Stafetten wurden gespielt. Kanitz kam nicht richtig ins Spiel, seine neue Aufgabe war ihm noch nicht vertraut, aber Kontermann spielte die Partie seines Lebens. Der Zehner lag nach 20 Sekunden das erste Mal im Gras, Kontermann tat so, als würde er über ihn fallen und rammte ihm dabei das Knie in die Seite.
„Genau so, genau so!”, schrie ich und gab meinem Herzstück Szenenapplaus. „Ich will, dass Klein-Maradonna hier keinen Stich mehr bekommt, hast du mich verstanden!”
Kontermann nickte und zeigte mir den Daumen, er hatte seine Rolle angenommen und er erfüllte sie wie ein Profi. Mein Plan ging auf. Dadurch, dass wir ihr Nervenzentrum ausschalteten, gelang ihnen nichts mehr. Unser Gegner wirkte konsterniert, überrascht von dieser Finte, nahezu chaotisch in der Grundorganisation. Es war fantastisch zu sehen, wie wir ihnen durch diesen taktischen Trick den Schneid abkauften.
Aber auch wir konnten offensiv keine Akzente setzen. Kanitz war weit davon entfernt, all das leisten zu können, was wir von ihm verlangten, und auch wenn Fuhrmann und Tiedtge hinten grandiose Arbeit ablieferten, so stand vorne Klein-Tiedtge auf verlassenem Posten.
In der Halbzeit versammelte ich meine Mannschaft um mich herum, sah in all diese erschöpften Gesichter, strich über Köpfe und kräuseliges Haar, verteilte Hanuta an jeden, der es gerade brauchte. Nervennahrung und überall diese Anspannung in den Gesichtern. Ein Siebenmeter-Schießen wollte ich unbedingt vermeiden, Porno-Kerkes war noch nicht so weit, und wir konnten von Glück sagen, dass noch kein Ball auf sein Tor gekommen war. Eine verflixte Situation, die ich zu meistern hatte wie viele Männer vor mir, von Shankley bis Hitzfeld.
Ich weiß bis heute nicht, warum ich diesen Gedanken hatte, wahrscheinlich hatte er mit einer Möwe zu tun, die in elegantem Flug an uns vorbeisegelte und schlussendlich punktgenau landete, ja, wahrscheinlich war es das, was mich zu meiner nächsten taktischen Meisterleistung führte. Ich hatte den Schlüssel endlich gefunden.
„Männer …”, sagte ich. „Wir spielen ab jetzt nur noch hoch und weit. Hoch und weit! Habt ihr das verstanden?”
„Das ist es, Trainer …”, zischte der Kollege Singh nachdenklich. „Das ist es. Wildberg, sie sind ein Teufelskerl!”
„Ich weiß”, sagte ich zitternd, übermannt von dem eigenen Genie, bevor ich mich wieder zum Spielfeld umdrehte.
Niemand kann mehr sagen, was in diesem Moment genau passierte. Es waren erbarmungslose Minuten gewesen, ein Flachschuss zog knapp an unserem Tor vorbei, ein langer, hoher Ball klatschte an die gegnerische Latte. Kontermann war immer noch damit beschäftigt, den gegnerischen Zehner in Grund und Boden zu stampfen, Kanitz kam immer noch nicht in die Partie. Wir hatten sie unter Kontrolle, aber von einem Tor waren wir immer noch weit entfernt. Und dann vollzog sich der Traum direkt vor unseren Augen.
Fuhrmann bekam einen Abklatscher von Kerkes vor die Füße, er warf einen kurzen Blick in Richtung gegnerisches Tor, dann jagte er die Rakete übers Feld. Das Runde flog wie eine Möwe СКАЧАТЬ