Название: Auf Asche
Автор: Ronald Reng
Издательство: Bookwire
Жанр: Сделай Сам
isbn: 9783730700297
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Nach einem 0:25 gegen Wattenscheid 09 (und nachdem mindestens ein halbes Dutzend Kinder den Verein gewechselt oder ihre Karriere beendet hatten) erklärte der gescheiterte Schleifer seinen Rücktritt. Danach hatte das Team ein halbes Jahr gar keinen Coach. Das Training wurde mal vom Jugendleiter, mal vom Platzwart, von Minderjährigen oder von wehrlosen Passanten beaufsichtigt. Und als man nach der Sommerpause noch immer keinen gefunden hatte, sagte ich: Ich habe ja eigentlich keine Zeit, aber ich mache das ein paar Wochen.
Doch gleich nach der ersten Trainingseinheit war ich angefixt. Eigentlich sogar schon in dem Moment, da die Jugendgeschäftsführerin mir den Schlüssel zum Platz überreichte. Wow, dachte ich, da gibt es jetzt einen Fußballplatz, da kann ich auch nachts hin! Ich ging nach Hause und sagte zu meiner Frau, wenn wir nicht schon zwei Kinder hätten, wüsste ich jetzt, wo wir welche machen könnten, stellte dabei aber auch mal wieder fest, dass unsere Vorstellungen von Romantik ziemlich weit auseinanderliegen.
Als Halbwüchsiger war ich begeistert, als ich zum ersten Mal gesiezt wurde. Heute weiß ich, das ist gar nichts gegen das Gefühl, von einem Zehnjährigen mit „Trainer” angesprochen zu werden. Wobei ich noch eine Zeit lang korrigieren musste: „Wie heißt das?” – „Oh, ‘tschuldigung: Trainer, ey!“
Nun gut, am Anfang war ich vielleicht etwas streng: „Trainer, darf ich mal zur Toilette?” – „Okay, aber auf dem Hinweg kurze Sprints, auf dem Rückweg Sidesteps. Und beim Pinkeln selber auf der Stelle tänzeln, um nicht kalt zu werden.” – „Ich muss aber groß!” – „Da kannst du immer noch im Takt die Knie anheben!”
Über Kinderfußball sagt man gern: Du kriegst so viel zurück! In meinem Falle ist es so, dass ich das, was ich „zurückbekomme”, sogar beruflich verwerten kann. In meiner Mannschaft wächst nämlich nicht nur astreiner Fußballnachwuchs heran, sondern mindestens ein talentierter Komiker. Und der heißt Yussuf.
Im letzten Sommer ging es in der ersten Runde des Kreispokals gegen den SV Phönix, gegen den man niemanden in Bochum großartig motivieren muss, denn die spielen in Gelb-Schwarz. Aus einem 0:1-Rückstand machte mein Haufen junger Hunde tatsächlich noch ein umjubeltes 2:1. Nach dem Spiel wurden aus den elfjährigen Kampfschweinen wieder elfjährige Kinder, die sich gar nicht vom Schauplatz ihres Triumphes trennen konnten und noch eine Runde „Fangen/Verstecken” anhängten. Der Sportkamerad Kerim versteckte sich dabei in einer Papier-Mülltonne, was seinen Mannschaftskollegen Yussuf zu der Bemerkung veranlasste: „Guck mal, Frank, der Kerim ist schon zu Hause!”
Völlig überraschend kam der Scherz nicht. Schon drei Monate vorher hatte der Bülent Ceylan von Bochum eine Pointe platziert, die bemerkenswert mit den kulturellen Unterschieden in einer multiethnischen Fußballmannschaft mitten im Ruhrgebiet spielte.
Zu Beginn unseres E-Jugend-Turniers im Juni hatte ich mich in unserer Kabine aufgebaut und den Jungs erklärt, dass sie sich um die Verpflegung keine Gedanken machen und zwischen den Spielen garantiert nicht auf das am Vereinskiosk angebotene, leistungsmindernde Junkfood zurückgreifen müssten. Das Trainerteam habe, unterstützt von einer fleißigen Mutter, Gesundes besorgt: „Wir haben Bananen und wir haben Brötchen. Die Brötchen sind belegt mit Wurst und mit Käse. Natürlich nicht mit Schweinefleisch!” Das veranlasste einen Spieler zu dem Ausruf: „Höhöhö! Schweinefleisch!” Um nur ja keine Missverständnisse aufkommen zu lassen, fügte der Trainer hinzu: „Es gibt eben Menschen, die essen bestimmte Dinge aus religiösen Gründen nicht.” Darauf Yussuf: „Stimmt, ich esse keine Bananen!” Und mit einem Seitenblick auf den Coach fügte er hinzu: „Trainer, ey!”
Ich kann diesen Job nur empfehlen.
Axel Formeseyn
Sonst noch wer ein Bier?
Es ist Sonntagmorgen in Hamburg-Altona. Offenbar hängt es von der Qualität der Fußballspiele ab, wann sie angepfiffen werden. Die Champions League beginnt um 20 Uhr 45, die Bundesliga um 15 Uhr 30, die Zweite Liga um 14 Uhr, unsere Erste auch, unsere Zweite um 12 und ganz unten – bei uns – fängt die Scheiße an. Um 10 Uhr. Ich spiele bei Altona 93, in der dritten Herrenmannschaft. Auf Grand. In der Betonliga Hamburg.
Wer bei Trost ist, schläft jetzt noch. Meine Freundin zum Beispiel. Nur vereinzelte Fischmarktbesucher und Besoffene schlendern auf dem Weg nach Hause an unserem Platz am Trenknerweg vorbei. Ansonsten sind bis auf Werner Biskup nach seinem Zug durch die Gemeinde mal wieder keine Fans da, als ich mit der geschulterten Sporttasche die rumplige Sportanlage betrete. Ich stoße die Tür zu unserer Kabine müde auf. „Moin.” Keine Antwort. Ich greife in die Trikottasche. Für mich sind einmal mehr nur noch Nummern jenseits der 11 oder die 2 übrig. Grrr. Ich sollte definitiv früher aufstehen, wenn ich als der technisch weitaus beschlagenste Spieler unserer Truppe Wert darauf legen will, auch einmal die 10 tragen zu dürfen.
Außerhalb der Kabine ist ein beherztes Rülpsen deutlich zu hören. Die Tür geht auf. Kulle ist jetzt auch da. Unser – das hört er gerne – „Sturmführer”. Er komme grad direkt vom Saufen, tut er lauthals kund: „Bei solchen Anstoßzeiten lohnt sich das Hinlegen doch eh nicht, Männer!” Fertig sieht er zwar aus, mit Saufen ist er es aber noch lange nicht. „Hat jemand noch ein Bier für den Meister über?” Man kommt ob solch obskurer Fragen kaum zum Lächeln, da meldet sich aus der anderen Ecke der Kabine unser knapp 70-jähriger Linksverteidiger Uwe zu Wort. „Für dich doch immer, Chef! Ist aber leider nicht mehr kalt!” Ob kaltes Bier, ob warmes Bier, Kulle nimmt es damit nicht so genau. „Du hast mir grad das Leben gerettet, Kumpel! Sportfreunde, wir trinken auf ,Uns Uwe‘, unseren besten Mann!” Und er setzt sich neben besagten „besten Mann”, umarmt diesen theatralisch, zerzaust ihm nebenbei die Haare und prostet dann jedem Einzelnen von uns zu. Wir nicken stumm zurück. Im Gegensatz zu unserem Trainer, der soeben mit ernster Miene hereinspaziert ist und Kulle anraunzt: „Sach mal, bissu wahnsinnig?! Was glaubst du eigentlich, wo du hier bis‘?! Unser Saisonziel heiss’ Aufstieg! Da kann ich keine Besoffenen bei gebrauchen!” Betretenes Schweigen. Rülps! Das war Uwe. „‘schuldigung, Coach!” Der verlässt wütend die Kabine. Die Tür knallt zu. Uwe fragt in die Runde: „Außer Kulle sonst noch wer ein Bier?”
Als wir den Platz betreten, ist immer noch kein Schiedsrichter in Sicht. Nicht das erste Mal müssen also wir als Heimteam einen der Unseren auswählen, der sich eineinhalb Stunden lang von verkaterten Betonfußballern anpöbeln lassen darf. Klar, dass sich niemand um den Job reißt. Muss auch keiner. „Kulle, dich kann ich auffem Platz heude sowieso nich’ gebrauchen. Du machst das!”, legt unser Trainer fest. Meine Hoffnung, der Auserwählte möge sich ob seines fragwürdigen Zustandes zurückhalten und abwinken, verpufft wie die meisten unserer Angriffe: wirkungslos. Neu-Schiri Kulle baut sich vor uns auf, nimmt einen erneut tiefen Schluck aus der Pulle und kündigt lauthals an: „Heute hagelt es Rote Karten, Leute! Und zwar nicht für uns!”
Unser Coach rollt mit den Augen und schickt alle zum Warmmachen. Das übliche Pflichtprogramm vor dem Spiel sieht bei uns allerdings kein sportwissenschaftlich fundiertes „Dehnen” oder „kurze Sprints”, sondern Lattenschießen und Ballhochhalten vor: Einmal auf den Fuß, einmal auf die Erde, einmal auf den Fuß, einmal auf die Erde. Muss man auch erst mal hinkriegen. Während einer kurzen Verschnaufpause sehe ich unseren heutigen Gegner sich hochprofessionell in Reih und Glied warmmachen. Es sind die vierten Herren von Teutonia Hamburg, die, seien wir mal ehrlich, so rein gar nicht teutonisch aussehen. Und die fünfzehn СКАЧАТЬ