Название: Gesammelte Werke: Romane, Erzählungen & Dramen
Автор: Hermann Stehr
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9788075831040
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„‘s hört sich besser zu.“
Das sagt sie in ungeduldiger Hast, und ihr Blick haftet saugend an seinen Lippen.
„. . . fengt de Wand an und weicht“, drängt sie ihn weiter, da er innehält.
Bestürzt nimmt Griebel ihre Erregung wahr, und weil er glaubt, durch plötzliches Abbrechen das Unheil noch ärger zu machen, fährt er unsicher fort:
„Singt eigentlich nich, es is blos, als wenn die Wand . . .“
Nun springt Leonore mit den Zeichen glühenden Einverständnisses auf, und dem Tuchmacher ist es, als ob eine heiß eindringende Woge die schüchternen Worte in seinen Mund zurückzwänge.
Überwältigt bricht er ab.
Die Hände verschlungen, hingebend den Kopf geneigt, steht das Weib da.
Aber kein Menschenlaut rührt sich.
Das Ticken mahnt schüchtern, der lange feine Ton setzt verschmachtend ein, wie das Echo eines verklungenen Liedes in immer schwächeren Wellen stirbt.
Dann hebt sie fruchtschwer das Haupt. Ihre Hand kost das Haar ihrer entgegengesetzten Schläfe. Aufgereckt, mit zurückgebogenem Kopfe, verharrt sie eine Weile.
Mit dem verschmachtenden Singen des feinen Tones setzt sie dann fort: „. . . ein Wind in mir stand auf und nahm alle Wände mit, an den’ meine Seele krank war, alle Schatten, an den’ sie benahe gestorben is . . . wie das auf einmal bliehte und klang . . . das Licht ging wie weiße Jungfern zwischen den Bäumen auf und ab; die streichelten es mit ihren Blättern . . . darnach aber kams . . . der Wald rückte zusammen, die Erde zog sich nauf und wurde e r. Bloß das Licht blieb um ihn . . . so wie er dagesessen hat heute vor dir, neben mir, mit der schwarzen Locke auf der . . .“
Plötzlich brach ihre flutende Rede ab. Sie sah starr auf die Wand. Dann hob sie weisend ihre Hände und flüsterte mit erschauernder Wollust:
„Da kommt er wieder . . . da — da — ah! — Ja! — wart nur! . . . komm! — — — du . . . auch! Da geh nur, ich komme ja . . . !“
Die Arme umfangend ausgebreitet, mit hinsinkenden Schritten, die Lippen stumm bewegend, das Gesicht verklärt, verschwindet sie im Schlafzimmer.
Mit zitternder Hand riegelte Griebel die Thür hinter ihr zu, dann verschließt er auch die Thür nach dem Flur. Nun steht er wieder horchend im Wohnzimmer. Da rührt sichs drinnen. — — „Sie stürzt sich durchs Fenster!“
In leisester Hast öffnet er die Thür wieder.
Leonore steht regungslos vor ihrem Bette.
„Das wär doch noch’s letzte . . . ach nee! . . . Griebel, Griebel; ma soll nich Böses denken.“
Nun, redet sie nicht wieder? — Ja! —
Ein heimlich zärtliches Flüstern.
Plötzlich öffnet sich eine Kluft in ihm. Daraus dringt die schwelende Lohe einer furchtbaren Ahnung auf ihn ein. Nach der Geburt, als sie im Bette lag, hatte sie da nicht etwas geredet, wie, als hätte er gar nicht zu sein brauchen . . . und ihr unbegreifliches Betragen der letzten Monate wäre alles blos . . . und jetzt! — jetzt! . . . . in wirren Fetzen, gewiß und folternd, kochte es auf ihn ein. Um sich zu entgehen, zwingt er seine ganze Gewalt auf das Gehör. Und wie er steht und lauscht, tröstet er sich schon wieder: „‘s wer’n blos die Nerven gewesen sein. Die mögens eben aso machen. Mein Gott, ein so eingezogenes Mädel, wie die war . . .“
Aber schrill brach er ab; denn jetzt begann sie laut zu reden.
Erst verstand er nichts, stammelnde Laute — — doch jetzt! — — :„. . . . Ah—ch! — — Lieber . . . . Lieber . . .! du auch? . . . siehste! . . . . vielleicht schon als kleines Mädl . . . .. weiß ich, wie lange, da warst de schon mein . . . .“
Nun galt es nichts mehr zu wähnen!
Er stürzte auf sie zu und packte ihren Arm: „Här uf!“ brüllte er, „här uf!“
Leonore fuhr zusammen und sah ihn angstvoll an.
„Mit wem redst de? — Gestehs! gestehs! — —Etwa mit dem Frank Kerle?“ fuhr er nach einem schneidenden Stutzen fort.
„Soll ich nich?“ verwundert, schwer, frug es sein Weib.
„Aso wås!“ raste er nun ohne Halt. „Sol ich nie? — Ja, dås willst de nich wissen? Das ist Ehebruuch! — — Menscher machen dås; aber mei Weib nich!“
In seiner maßlosen Wut merkte er nicht, wie Leonore unter seinem Griff schlotterte.
„Ehebruuch, verstehst de? — ei mei‘m Hause nich!“ schrie er wieder auf.
„Brech ich die Ehe!“ frug Leonore endlich mit eisiger Stimme durch bebende Zähne hin und schob seine Hand von ihrem Arme.
„Ja, schon solche Gedanken sein Ehebruch, Todsinde.“
„Ja a — — bei deiner Seele, is das wahr? —Wahrhaftig?“
Ihr Gesicht war eingefallen. In keuscher Angst frug sie ihren Mann mit zitternder Lippe.
„Ehebruch,“ wiederholte der Tuchmacher dumpf.
„Aso schön un soll biese sein . . . .“ sann sie und schüttelte den Kopf.
Nach langer, banger Pause hob sie frei ihr Auge, das sich mit Thränen füllte:
„Aber, verlaß dich auf dein Weib — — geh ruh’g schlafen, geh!“
Erschüttert ergriff er ihre dargebotene Rechte. Sie sank auf den Stuhl und verfiel in ein starres Hinstieren.
Griebel begann ratlos umherzutrödeln, bestürzt, in Kummer, voll Reue und Scham. Vergeblich redete er sich ein, recht gehandelt zu haben. Um diesem folternden Zustande zu entgehen, löschte er das Licht aus und legte sich ins Bett. Sein Weib aber rührte sich nicht.
Er horchte lange gespannt auf jeden ihrer Atemzüge.
Nach Stunden erhob sie sich . . . . . . „nein, nich! — aber schwer wird mirs werden!“ hörte er sie zu sich sagen. Dann vernahm er, wie sie sich auskleidete.
————
XII.
In dieser Nacht schlief Griebel wie auf der Schwelle einer offenen Hausthür, von halbem Wachsein und werdendem Traum gleich beunruhigt.
Oft schrak er jäh aus kurzem Schlafe, da ein Geräusch so fein und peinigend aufklang, daß er vor Angst die Augen öffnete. Aber dann hörte er nur die ruhigen Atemzüge des großen, schlafenden Hauses um sich, die draußen auf der Gasse gedehnt verwehten. Am Ende lag er mit großen, trockenen Augen da, bis er zwei graue Flecken in der Nacht gewahrte, СКАЧАТЬ