Gesammelte Werke: Romane, Erzählungen & Dramen. Hermann Stehr
Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Gesammelte Werke: Romane, Erzählungen & Dramen - Hermann Stehr страница 26

Название: Gesammelte Werke: Romane, Erzählungen & Dramen

Автор: Hermann Stehr

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9788075831040

isbn:

СКАЧАТЬ Nachdem sie eine Weile still geblüht hatten, begannen ihre schwarzen Stengel sich schaukelnd zu bewegen. Um nicht aus der Blume geschleudert zu werden, in welcher er saß, kroch er als große, grüne Heuschrecke am Stengel hinunter. Er hatte sich mit Absicht in dieses Insekt verwandelt, weil er mit den scharfen Klauen seiner Füße besseren Halt auf der zarten Glätte dieser Pflanze fand. Auch behagte es ihm, ein schmerzliches Beben in ihr hervorzubringen, weil jeder seiner Tritte eine Verwundung war. Als er aber am Rande der scharfen Blätter angekommen war, ärgerte er sich doch über seine nackten, keuligen Schenkel. Dazu lachten ihn die Blumen höhnisch aus. Es klang ganz deutlich, so, daß er, aufwachend, nach dem Echo in der stillen Stube lauschte.

      Allein es war nichts.

      Dann fühlte er, wie jemand ihn behorchte. Die großen gierigen Augen des Unbequemen sogen an seinem Hirn. Alles, was in ihm aufstand, wurde davon, wie von einem Winde, hinweggeweht. Das zuletzt Hinaustanzende war ein Kirchturm, welchem ein Jagdhund heulend nachlief. Er wimmerte wie ein Mensch.

      Gepeinigt fuhr Griebel in die Höhe.

      Da erstarb der Laut mit einem Geräusch in der Ecke. — „Lorla, bist du’s?“ frug er, schwieg aber gleich, denn seine Stimme kam ihm fremd vor, wie das Geräusch, das die Knöchel plumper Hände aus einem hölzernen Schaff trommeln.

      Endlich war die furchtbare Nacht vorbei und das Grau der keimenden Frühe besänftigte ihn.

      Aber kaum hatte sich sein Bewußtsein in dieser Ruhe niedergelassen, als das Spiel von neuem begann. Die Schleier der Dämmerung verwandelten sich in eine tanzende Windsbraut, die aus dem losen Schnee, über den sie wogend hinzog, mit unsichtbaren Armen weiße, wehende Gewänder raffte.

      Der Tuchmacher wußte ganz genau, daß das Geräusch dabei nicht von dem Winde, sondern von Betten herrühre, die jemand zagend zerwühlte. Aber in einem Zustande, der ebenso dumpfe Neugier als Erschöpfung war, blieb er ganz still und ließ die Windsbraut immerfort an sich vorübertanzen.

      Jetzt klang es auch gar nicht mehr wie Windesstimme. Von schweren Atemzügen der Not verschluckte Worte redete sie, kniete dann an seinem Bett nieder und versank in ein peinvolles Schweigen.

      Ihr blondes Haar lag auf zwei bloßen, süßen Armen, die von dem Echo des Tanzes noch zuckten; auch das Haupt erbebte darunter. Und ein schimmerndes Zittern glitt deshalb durch das lange, goldige Haar, über das weiße Kleid hin und rettete sich auf dem Beben seiner leisen Falten ins Unendliche. Nun hob sie das Haupt, daß man ihr Gesicht sehen konnte: Ihre großen, erfrorenen Augen standen voll Thränen, die von Zeit zu Zeit hörbar auf sein Deckbett fielen . . . „Jesus Maria! war das nicht sein Weib?“ . . .

      Allein jetzt stand sie auf, ganz, ganz leise, wie es nur Windsbräute können, und reckte sich, reckte sich bis in den Himmel, ihn immer unverwandt und tief ansehend mit ihren erfrorenen Blauaugen. Dann streckte sie die Hände aus und fuhr streichelnd über sein Haar, daß ihm vor Grauen die Sinne vergingen . . . „der Himmel is mit dir und mit mir — mit mir — ach! mit mir — — mit . . . .“ während sie das mit ihren tiefsten Wehen sprach, ward sie von immer schnelleren Tanzkreisen gepackt und verschwand mit einem lauten Krach.

      Davon erwachte Griebel thatsächlich und richtete sich im Bette auf.

      War das ein Traum gewesen oder hatte Leonore vor seinem Bette gestanden?

      Ja, aufgestanden war sie schon. Da rief sie ja eben das Dienstmädchen: „Anna! — aufstehn!“ — So konnte sie es doch gewesen sein; aber wozu war es nötig, daß sie über ihm betete, als ob auf beiden ein großes Unglück liege?! — Plötzlich fiel ihm das gestrige Ereignis ein. Es kam ihm wie ein wilder Traum vor. Aber es half doch nichts; er hatte sie wirklich am Arme gepackt und in höchster Wut gerüttelt, weil sie von diesem Reisenden in solch verdächtiger Weise gefaselt hatte. Vielleicht war es vertrackt dumm von ihm gewesen und doch gab er sich recht, aber immer so, als wenn thatsächliche Beziehungen seines Weibes zu diesem Menschen beständen, wofür er nicht den geringsten Anhalt hatte.

      Auf jeden Fall mußte er sehen, wie seine Frau die ganze Angelegenheit auffaßte. Schleunig verließ er das Bett und kleidete sich an.

      In der Küche erfuhr er, sie sei eben in die Frühmesse gegangen und werde etwas spät zurückkehren. Er solle nur ruhig allein frühstücken.

       * * *

      Es gelang ihm nicht, mit Leonore zu einer Aussprache zu gelangen. Wohl hörte er sie flüchtend gehen und in der Kinderstube leise ihre Anordnungen geben. Er lauerte ihr auf hinter den Ecken der Gänge, im Hausflur. Allein das Gelingen des besten Planes wurde durch einen unerwarteten Zwischenfall oder durch Leonores Vorsicht vereitelt, die es einzurichten wußte, jederzeit eine dritte Person zwischen ihren Mann und sich zu schieben. Ihr Nachtlager suchte sie erst nach seinem Einschlafen auf und entfernte sich vor seinem Erwachen oder blieb nächtelang beim Knaben, wenn er einmal zaghaft den Versuch gemacht hatte, über die Sache mit ihr zu verhandeln.

      Dann war ihre Hast um ein weniges eiliger und zitternd; ihr Wort unsicherer; ihr Blick scheuer.

      Doch alles lag in den Banden eines allezeit süßen Lächelns, eines Lächelns, das manchmal erschütternd schluchzte, weil man die Anstrengung empfand, die seine lichtwechselnden Linienwellen spannte und nachließ.

      War das alles zusammengenommen die Bestätigung ihres Schuldbewußtseins oder unversöhnlicher Feindseligkeit? Mit Mühe nur erhielt sich Griebel in dem Fieber wiederstreitender Stimmungen die Maske seiner würdig-plumpen Gutmütigkeit.

      Er ging umher wie mit einem heißen Bissen im Halse, der ihn unendlich quälte und den er doch nicht ausspeien durfte. Das erste mal in seinem Leben drückte ihn eine Last, die den ererbten Handgriffen seiner Grundsätze nicht wich.

      Vor der Thatsache eines Treubruches schlossen Eitelkeit, Furcht, Scham und die Angst vor Kummer und Sorge ihm die Augen. Und er verneinte sie mit den lauten und wohlfeilen Gründen seines Bewußtseins; konnte es aber nicht hindern, daß seine Seele in atemschwerer Unruhe verstohlen um einen Abgrund schlich, aus dem der fiebernde Dunst blinder Befürchtungen stieg, den sie gierig sog.

      Jeder Tag vermehrte das Gewicht seines Geheimnisses. Ein leerer Bewegungsdrang, der wie Arbeitseifer aussah, trieb ihn von Halbheiten zu Halbheiten, hetzte die Würde seiner kurzgeschenkelten Schritte zu fahrigen Hacktritten, nahm dem Magen seine Verdauungsfreude und prickelte in dem schlafferen Fett seiner langen Backen mit einem unerträglichen Zucken.

      Endlich war er zermürbt, auf dem Standpunkte, jedes Unrecht als begangen einzugestehen und zu bereuen. In dieser Stimmung mußte ihn noch die alte Marseln fragen:

      „Ma sieht ja de Lordl går nie?“

      „Nu ja — ich a — åch ja — die — ich weeß nich, se kennt sich vr Arbeit nie meh.“

      „Wie kemmt‘n dås? — Un ålle Tage geht se in de Frühmesse, se fliegt blos aso verbei.“

      „Ja, ja!“ — Sein Fall quälte ihn zum Brennen; er mußte, um sich zu erleichtern, wenigstens etwas andeuten. So fuhr er nach einer Pause trüben Hinsehens auf:

      „Sieh‘ch mich å!“ Dabei zog er den unteren Rand der Weste von seinem abgefallenen Bauche. „Aso hå ich abgenommen! Ma werd ein Band, andersch nicht!“

      In tiefster Seelennot zitterten seine Lippen.

      „Jesses!“ schrie die Alte, packte ihn am Arm und versuchte, ihn in den Laden zu ziehen.

      Aber СКАЧАТЬ