Название: Gesammelte Werke: Romane, Erzählungen & Dramen
Автор: Hermann Stehr
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9788075831040
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„Nicht wahr, gnädige Frau?“ wandte sich Frank plötzlich an sie, um ihre Beteiligung am Gespräch herbeizuführen.
Leise fuhr sie auf, senkte den Blick aber sofort wieder und saß bebend da.
„Ja — ja — ge—wiß“, sagte sie endlich und schlug dann ihr verträumtes Augenpaar glühend zu ihm auf.
„Ich habe Sie in Ihrer Arbeit gestört. Bitte, verzeihn Sie mir deshalb.“
„O durchaus nicht!” erwiderte sie unter stürmischem Atemwogen. Endlich fand sie den Mut zu ihrer blind ausbrechenden Leidenschaft.
„Ich habe Sie einst irgendwo gesehen, lange. Sie sind mir so bekannt wie ein Bruder, der so sein müßte, wenn ich einen hätte.“
„Sehr schmeichelhaft, sehr schmeichelhaft!“ redete Frank, durch diesen unerwarteten Ausbruch aus seiner Routine gebracht.
„Nu, da kånn ma amål sehn Hä, dåß se mir meine Frau nie etwan åbspenstig machen!“ rief Griebel, gezwungen lachend, und zog den Reisenden heftig am Ärmel herum.
Dieser hatte sich schnell gefaßt und nahm das abgebrochene Gespräch wieder auf:
„Also total verdorben, Herr Griebel, was, war’s nich so?“
„Ganz un går,“ erwiderte dieser aufatmend. Leonore aber sah unverwandt auf die Männer mit regungslosen, glänzenden Augen.
Plötzlich begann sie willenlos zu reden, leise, tastend, betäubt:
„Nicht wahr, in der ganzen Welt reisen Sie umher?“
„Was meinen Sie gnädige Frau?“ fuhr der Reisende erregt herum.
„Auch ans tiefe, weite Meer?“ fuhr sie fort, als habe sie seine Worte nicht gehört im Glück einer heißen Fülle und richtete einen großen, tiefen, leuchtenden Blick auf sein feines Gesicht.
„‘s kommt ibersche!“ fuhr es Griebel durch den Kopf, „etzt schnell!“
„Meine Frau, Herr Frank, ha! Härn Se of mich! meine Frau verintressiert sich nemlich riesig sehr firsch Reisen, missen Se wissen. Vor allem firs Meer. — A ander mal missen Se ‘r ålls derzehlen. Etz muß ich sahn, dåß ich ei de Werkstelle komm.“
Mit diesen lärmenden Worten trat der erschrockene Tuchmacher den höchst bedenklichen Augenblick nieder und gab dann in rauher Hast seine Aufträge.
„Jetz muß ich fort, sonst rickt mir der Knelle aus, ohne dåß a sei Fett besahn håt!“
Damit stand er auf und der Reisende erhob sich gleichfalls sichtlich verlegen, indem er sinnend nach seinen Sachen griff. Als er sah, daß Griebel in höchster Ungeduld auf sein Fortgehen wartete, wandte er sich in seiner schneidigsten Pose an Leonore:
„Ich empfehle mich Ihnen, schöne Frau. Ich kann Ihnen sagen, von heute ab glaube ich an Wunder. Ich sah Sie einmal vor zwei Jahren flüchtig, als Sie noch unverheiratet waren. Bei meiner Ehre, ich habe Sie nicht wiedererkannt. Sie haben sich kolossal zu Ihrem Vorteil verändert.“
Seine Augen brannten sich auf ihr glühendes Gesicht.
„Gestatten Sie, daß ich Ihnen meine Hand reiche. Das nächste Mal erzähle ich Ihnen mit Ihrer Erlaubnis von meinen Reisen. — Sie haben ein Juwel, Herr Griebel!“ rief er, immer die Hand Leonores in der seinen haltend, dem Tuchmacher zu, der, völlig fassungslos; in den Kleidern am Ständer herumwühlte.
„Schockschwerebrett!” knurrte er als Antwort, und da er endlich seinen Hut gefunden hatte, kommandierte er: „Nu åber naus!“ und trabte der Thür zu.
Mit heißem Zögern ließ Frank die willenlose Hand Leonores fahren und folgte, unter tiefen Verbeugungen gegen die zurückbleibende Frau, dem Davoneilenden.
————
XI.
Zwischen den Molekülen der Luft schwebt ein geheimer Stoff; der empfängt die starken Wellen der Menschenseelen und pflanzt sie fort. Mit keinem Sinne ist er wahrzunehmen. Doch liegen in uns wohl verkümmerte andere Sinne. Mit diesen fühlen wir den erregten Seelenatem unserer Nächsten. In leisen Wellen fließt er über uns. Dann wissen wir etwas, dessen Verständnis uns entgeht.
Als Griebel aus der Werkstatt nach Hause zurückkehrte, war es schon dunkel, die Straßen der Stadt lebendiger. Denn ehe die Nacht kommt, werden die Menschen unruhig, weil ein Teil ihres Lebens so leise stirbt, wie die Schatten des Abends zunehmen. Um die ganz verhaltene Furcht zu betäuben, treten die Leute lauter auf, sprechen stärker und bewegen die Arme eiliger.
Griebel wußte nicht, warum er so laufe. Als ihm der Atem ausging, blieb er stehen, schüttelte den Kopf und schritt dann langsam weiter. An dem Thore seines Hauses stutzte er, aus einem gedanklichen Hinschlummern aufgerissen, zog hastig die Hand von dem Thürdrücker zurück und horchte gespannt in den Hausflur. Der brummte sein altes verschwommenes Murren. Manchmal hüpfte ein scharfes Knixen dazwischen. Dann zuckte es in Griebel. „Tommheit! . . .“ raffte er sich endlich unwillig auf und trat entschlossen ins Haus.
Es war finster; in dem oberen Flur brannte das gewohnte Licht nicht. Ein Gefühl, als zögen sich die Wände zurück, wenn er nach ihnen tastete, wurde immer stärker. Darum hielt er sich nach dem Geländer hin, um an der Leitstange Halt zu finden. Aber obwohl er im Emporsteigen jeden Schritt etwas mehr nach rechts machte, kam er doch an kein Geländer. Die Stufen schienen kein Ende zu nehmen. Ihre Höhe und Entfernung voneinander verringerte sich auch, so daß er erst ins Leere trat, um nach einer Weile stampfend Grund zu finden.
Nun ging es gar bergab — — und immer noch kein Geländer . . . . . .
„Himmelschockschwerebrett, Licht!“ schrie er endlich in Wut.
Fern von ihm flog eine Thür auf, ein Licht riß sein flackerndes Auge in die Höhe und schloß es gleich vor Schreck.
„Jesses, wer . . . ?“ gellte eine weibliche Stimme und brach jäh ab.
Er stand doch mitten auf der Stiege und . . . .. neben ihm aus einem unendlichen Gange war ein Schein aufgehüpft . . . neben ihm . . . . aus der Mauer? . . . . . . . er hörte seine eignen Atemzüge. — — Unsicher that er noch einen langen, tastenden Schritt und — — stieß an eine kalte Wand. Er rührte sich nicht; ein heißes Prickeln, als fliege glühender Sand in sein Gesicht . . . .. „de Schätz-Hanne, de Haushexe!“ . . . . schlotterte es durch sein Hirn, obwohl er mutig die Zähne zusammenbiß.
„Verflucht! Verflucht! Verflucht! Im Namen Gottes, des Vaters, des Sohnes und des Heiligen СКАЧАТЬ