Kooperatives Lernen im Englischunterricht. Andreas Bonnet
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СКАЧАТЬ Methoden festgehalten. Im Laufe des folgenden Sommersemesters wurden diese Vorstellungen in einem Seminar zu KL in Unterrichtsmaterialien für das erste Halbjahr der Klasse 6 umgesetzt. Dazu wurde für jede Unit des Lehrbuchs Green Line 2 (Klassenstufe 6) ein sogenanntes Unit-Book erstellt. Darin wurden alle zu verwendenden Inhalte und Materialien des Lehrbuchs kooperativ aufbereitet und mit kooperativen Methoden umgestaltet. Außerdem wurde für jede neu einzuführende kooperative Methode ein Methodenarbeitsblatt erstellt. Die Entwürfe der Unit-Books wurden den Lehrer*innen vor Beginn des Halbjahres übergeben, und sie konnten Korrekturwünsche und Änderungswünsche zurückmelden. Zu jedem Material wurde außerdem ein Vorschlag für einen Stundenablaufplan erstellt. Analog wurde der Unterricht für das zweite Halbjahr der Klassenstufe 6 geplant. Das Unit-Book wurde den Lehrer*innen jetzt allerdings elektronisch zugänglich gemacht, damit sie flexibler Änderungen vornehmen konnten.

      Da sich auch dies noch als zu unflexibel erwies, wurde die Planung des Unterrichts für die Klassenstufe 7 nochmals modifiziert. Wieder fand das gemeinsame Planungsgespräch statt, und auch die Materialien wurden im Seminar erarbeitet. Allerdings wurden nun nicht mehr ganze Stunden geplant, sondern die Lehrer*innen erhielten auf eigenen Wunsch nur noch die jeweilige zentrale Aktivität als Kombination aus einem Material und einer Aufgabe: 20–25 Minuten lang für eine Einzelstunde, 40–50 Minuten lang für eine Doppelstunde. Diese Blöcke konnten sie dann flexibel mit anderen Unterrichtsaktivitäten kombinieren: als Klassenlehrer*innen mussten sie immer wieder Klassengeschäfte im Englischunterricht erledigen, und die Vorbereitung von Klassen- oder Vergleichsarbeiten erforderte immer wieder nicht langfristig planbare Aktivitäten. Als zweite Änderung wurden Texte und Übungen aus Lehr- und Workbook nicht mehr in die zu erstellenden Arbeitsmaterialien übernommen, sondern es wurde auf die entsprechenden Materialien nur noch verwiesen. Dies reduzierte die Menge an zusätzlichen Arbeitsblättern für die Schüler*innen erheblich.

      Die Untersuchung wurde an zwei Schulen, einem Gymnasium und einer Hauptschule mit jeweils zwei teilnehmenden Lehrer*innen durchgeführt. Nach dem ersten Projektjahr (Ende Klasse 6) kristallisierte sich heraus, dass die beiden Lehrer*innen am Gymnasium hinsichtlich ihres Umgangs mit KL als maximal kontrastierende Fälle des Samples zu betrachten sind. Während die Kooperativität des Unterrichts bei Yvonne Kuse sich nur sehr langsam entwickelt, unterrichtet Silke Borg bereits sehr schnell mit hoher Kooperativität (vgl. Kap. 3). Gleichzeitig erwiesen sie sich auch in der Professionsstudie (vgl. Kap. 6) als deutlich kontrastierend, da sich u.a. ihre Vorstellungen von KL und ihr Umgang mit den durch KL vergrößerten Ungewissheiten deutlich unterschied. Im dritten Projektjahr konzentrierte sich das Projekt daher auf diese beiden Fälle, die auch in den folgenden Teilstudien ausschließlich dargestellt werden.

      3. Unterrichtsstudie

      Im vorangegangenen Kapitel wurden das Zustandekommen und der Verlauf des Projekts dargestellt und auf der Basis der Forschungsdiskussion zum KL das Erkenntnisinteresse und die Fragestellung des Projekts erläutert. Ziel der hier anschließenden Unterrichtsstudie ist es, wesentliche Merkmale des Unterrichts in den Projektklassen zu rekonstruieren und deren Entwicklung über die Dauer des Projekts nachzuzeichnen. Dadurch ergibt sich ein Blick in das jeweilige Klassenzimmer und damit ein Bild des jeweiligen Unterrichts. Dies ist die Grundlage dafür, die in den dann folgenden Kapiteln rekonstruierten Wirkungen dieses Unterrichts auf die Schüler*innen (Kap. 4) sowie dessen Professionalisierungseffekte bzw. -voraussetzungen seitens der Lehrer*innen (Kap. 5) mit dem Geschehen im Klassenzimmer in Verbindung zu bringen.

      Das Ziel dieses Kapitels ist es daher, die Struktur des Unterrichts sowohl in Hinblick auf die Konstitution seiner Fachlichkeit, als auch in Bezug auf KL und weitere relevante Merkmale, wie z. B. die etablierten Machtkonstellationen, zu rekonstruieren. Dazu gehen wir in folgenden Schritten vor. Im ersten Teil des Kapitels wird der unterrichtstheoretische und methodologische Rahmen entfaltet, in dem sich die Studie nachfolgend bewegt. Dabei werden zuerst die zentralen Begriffe geklärt (Kap. 3.1) und anschließend in zwei Fallstudien die longitudinalen Entwicklungen der Unterrichtsstruktur in den beteiligten Klassen rekonstruiert (Kap. 3.2 und Kap. 3.3). Abschließend werden diese im Fallvergleich unter Verwendung des eingangs erarbeiteten theoretischen Rahmens unterrichtstheoretisch gedeutet (Kap. 3.4).

      3.1 Theorierahmen: Unterrichtsforschung1

      Einen begrifflichen Rahmen für eine Unterrichtsstudie zu konstruieren, ist kein einfaches Unterfangen. So konstatiert Matthias Proske in seinem Sammelband zu Ansätzen der Unterrichtstheorie mit Verweis auf Shulman: „Die Abwesenheit von wissenschaftlichen Theorien über Unterricht […] ist kein Phänomen der deutschsprachigen Erziehungswissenschaft (Shulman 1986), sie kennzeichnet die empirische Unterrichtsforschung insgesamt“ (Proske 2011, 9). Das gilt auch für die allgemeine Didaktik, die sich zwar als Wissenschaft vom Unterricht versteht, aber keinen gemeinsamen Unterrichtsbegriff hervorgebracht hat (Scholl 2011, 37). Dieses Kapitel hat daher weder eine erschöpfende Abhandlung des Unterrichtsbegriffs noch dessen Festlegung in einer endgültigen Definition zum Ziel. Es geht vielmehr darum, Unterricht von anderen Interaktionsformen abzugrenzen, seine Kernprobleme herauszuarbeiten und einen theoretischen Rahmen zu konstruieren, in dem diese Probleme in Bezug auf den Gegenstand dieser Studie (Kooperatives Lernen im Englischunterricht) theoretisch beschreibbar und empirisch erforschbar werden.

      Prinzipiell kann eine Unterrichtsstudie aus zwei Forschungslogiken wählen (vgl. dazu grundlegend z. B. Bohnsack 2014; Kelle 2008). Zum einen ist eine hypothetico-deduktive Vorgehensweise möglich, bei der auf Unterricht mittels vorliegender Modelle zugegriffen wird. Dabei gehen die Forscher*innen davon aus, dass sie die für Unterricht relevanten Merkmale bereits weitestgehend kennen und messen können. Am weitesten verbreitet ist in dieser Form einer in der Regel quantitativ orientierten Lehr-Lernforschung das Angebots-Nutzungs-Modell nach Helmke (2003). Es geht auf ein gleichnamiges Modell von Fend (1980) zurück, in dem eine Angebotsseite (Lehrperson, Räume, Artefakte) und eine Nutzungsseite (Schüler*innen und ihre Handlungen) voneinander unterschieden werden. Beide sind Teil eines Wirkungsgefüges, in dem die Effekte von Unterricht auf Faktoren wie persönliche Eigenschaften der Lehrperson (z. B. Professionswissen), Prozessvariablen (z. B. Qualität des Lehr-Lern-Materials), Aktivitäten der Lernenden und Lehrenden (z. B. Aktive Lernzeit) und Eigenschaften der Lernenden (z. B. Vorkenntnisse) zurückgeführt werden. Diese unterschiedlichen Einflüsse werden durch Tests bzw. Ratings von Videographien in unterschiedlichen Inferenzgraden gemessen und die Faktorenkomplexion durch entsprechende statistische Verfahren (z. B. multivariate Regressionsanalysen) berücksichtigt, so dass die Effekte einzelner Größen bestimmt werden können. Als davon unterschiedliche Vorgehensweise mit anderer Schwerpunktsetzung wendet sich die rekonstruktive Unterrichtsforschung (vgl. Proske/Rabenstein 2018) ihrem Gegenstand als etwas potenziell Fremdem zu, geht also nicht davon aus, alle relevanten Merkmale bereits zu kennen. Um dessen Strukturmerkmale und Eigengesetzlichkeiten zu ergründen und herauszufinden, was in Bezug auf den Gegenstand relevant ist, wird zunächst versucht, das soziale Geschehen in Form von dichten Beschreibungen, Videographien oder deren Transkripten möglichst komplex abzubilden. Dadurch soll gewährleistet werden, dass der Gegenstand nicht bereits vor dessen interpretativer Analyse auf die Relevanzsetzungen der Forschenden zugerichtet wird, sondern an ihm auch potenziell andere Relevanzsetzungen – insbesondere solche der beforschten Akteure – rekonstruiert werden können.

      3.1.1 Unterricht: Sozialität und Pädagogizität

      In der erziehungswissenschaftlichen Diskussion ist Unterricht unter anderem durch zwei theoretische Zugriffe bestimmt (vgl. Proske 2011, 14f.). Aus sozialwissenschaftlicher und linguistisch informierter Perspektive wird Unterricht als soziale Interaktion, aus der komplementären erziehungswissenschaftlichen Perspektive als pädagogisches Geschehen verstanden. Man geht davon aus, dass Unterricht dann ausreichend bestimmt ist, wenn in einem gegebenen Modell seine Sozialität und seine Pädagogizität sowie deren Wechselwirkungen theoretisch und empirisch erfasst werden können.

      In bestehenden Ansätzen zur Unterrichtsforschung kommen diese beiden Perspektiven in unterschiedlicher СКАЧАТЬ