Kooperatives Lernen im Englischunterricht. Andreas Bonnet
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СКАЧАТЬ an anderer Stelle (Hericks 2007, 2008; Bonnet/Breidbach 2007) dargelegt, stellt die pädagogische Kommunikation über die Sache – sprich: der Fachunterricht – selbst den strukturellen Ort einer solchen Solidarität in der Schule dar. Der Ansatzpunkt hierfür ist die Experten-Laien-Differenz, aus der ein spezifisches Anerkennungsverhältnis zwischen Lehrperson und Schüler*innen erwächst. Indem das in der Experten-Laien-Differenz enthaltene Kommunikations- und Kooperationsproblem explizit zum Gegenstand der Unterrichtskommunikation wird, erfahren die Schüler*innen zugleich Anerkennung als diejenigen, die sich der Auseinandersetzung mit einer für sie zunächst unbekannten Sache und den mit dieser Auseinandersetzung verbundenen Fremdheitszumutungen stellen und dabei eigene, teils originelle und überraschende Fragen und Anschlüsse zu dieser Kommunikation beisteuern können. In einer auf Partizipation angelegten Fachvermittlung ist somit die Anerkennung der Lernenden als grundsätzlich partizipationsfähige Andere immer schon enthalten. Auf diese Weise kann die von Peukert beschriebene elementare Solidariät des intergenerationellen Verhältnisses in eine praktische Solidarität zwischen Lehrer*innen und Schüler*innen überführt werden. Dies betrifft nicht nur die inhaltlich-curricularen Aspekte des Unterrichts, sondern darüber hinaus auch den interaktionalen und organisational-institutionalen Rahmen der Inszenierungsformen und Notengebung. Wir werden auf diesen Aspekt am Schluss unserer Untersuchung umfassend zurückkommen (Kap. 6 und Kap. 7).

      Nachdem die Pädagogizität des Unterrichts als Gleichzeitigkeit oder Dialektik konservativer und innovativer Absichten sowie eines gelenkten und selbstläufigen Geschehens bestimmt wurde, stellt sich die Frage, ob und wenn ja wie sich daraus die spezifische Interaktionsstruktur des Unterrichts bestimmen lässt. Was also macht die Sozialität von Unterricht aus? Auf der Mikroebene finden sich unterschiedliche Ansätze, je nachdem welcher der beiden Pole betont wird. So kann Unterricht von seiner gleichsam konservativen Funktion her bestimmt und dann als Interaktionsform des Zeigens definiert werden (Strobel-Eisele 2011). Diese pädagogische Mikroperspektive geht davon aus, dass die Gestaltung der unterrichtlichen Sache vom Wissensvorsprung des Lehrenden ausgeht. Dies ist aber nicht mit Belehrung gleichzusetzen. Den Lehrenden kommt vielmehr die anspruchsvolle Aufgabe zu, die unterschiedlichen Dimensionen des repräsentativen Zeigens „in eine synchronisierende Handlungsabfolge und damit ‚in Bewegung‘ [zu] bringen“ (ebd., 73), wobei keinesfalls von einer kausalen Folge von Zeigen und Lernen ausgegangen wird (ebd., 74). In dieser Sichtweise werden nur solche Interaktionen als für Unterricht typisch angesehen, die eine immanent zeigende Struktur aufweisen. Andere Sprachspiele wie Forschung oder Beratung werden bewusst nicht als Unterricht aufgefasst (ebd., 75ff.), jedoch sehr wohl als für Schule sinnvoll erachtet. Damit wird die innovative Funktion von Schule auf der Ebene des Unterrichts eingeschränkt, denn diese ist darin immer nur als eine Neuerung denkbar, die die Lehrperson bereits kennt, oder für deren Erschließung sie inhaltlich den Ausgangspunkt vorgegeben hat. Ein Geschehen, in dem für beide Seiten Neues emergiert, ist damit begrifflich vom Unterricht ausgeschlossen.

      Derartige Prozesse werden hingegen von solchen Ansätzen erfasst, die neben dem Zeigen und dem dafür konstitutiven Wissensgefälle zwischen Lehrer*innen und Schüler*innen andere Interaktionsmodi betonen. Dies ist besonders dezidiert bei Dewey der Fall, der, so Meyer (2006, 96), die Schule als „Experiment der Gesellschaft mit der nachwachsenden Generation“ verstehe. Dementsprechend habe die Interaktion zwischen Lehrer*innen und Schüler*innen in der unmittelbaren Unterrichtsgestaltung weniger direkt zeigenden als vielmehr vermittelnden Charakter. Aufgabe der Lehrer*innen sei es nicht, erklärend oder gar belehrend tätig zu werden, sondern vielmehr einen organisatorischen Rahmen zu schaffen, in dem die Schüler*innen occupations nachgehen, an deren Planung und Ausgestaltung sie in hohem Maße mitwirken. Ein über das Zeigen hinausgehendes Verständnis von Unterricht ist aber auch im strukturtheoretischen Ansatz verwirklicht (Combe 1996). Man kann daher festhalten, dass es als erster Eigenschaft einer für Unterricht besonderen Sozialität bedarf: Einer auf Aneignung bzw. Vermittlung gerichteten, gemeinsam-prozesshaft von Schüler*innen und Lehrer*innen hervorgebrachten, „den Gegenstand konstituierenden Interaktionsbedeutung“ (ebd., 277). Dieses Geschehen steht im Spannungsfeld objektiver gesellschaftlicher und individueller Deutungen.

      Kaum formuliert, muss man diese Festschreibung allerdings bereits relativieren. Für die Sozialität von Unterricht scheint nämlich paradoxerweise konstitutiv zu sein, dass sich die aus seiner Pädagogizität ableitende Absicht der Bezugnahme auf eine Sache gar nicht erfüllen muss. Der Begiff der „Routine“, dem im strukturtheoretischen Modell der Begriff der „Krise“ dialektisch gegenübergestellt wird (Oevermann 1991)1, verweist auf habitualisierte und sich wiederholende Interaktionsmuster, wie sie die Diskursanalyse mit dem IRE-Schema gefunden hat (Meseth et al. 2011). Es ist das Verdienst der ethnographischen Unterrichtsforschung (Breidenstein 2006), gezeigt zu haben, wie inhaltliches Lernen bzw. Bildung aus dem Blick geraten, wenn Lehrpersonen und Schüler*innen in erster Linie Geschäftigkeit inszenieren. Die praxistheoretische Forschung hat diesem „Schülerjob“ eine weitere Facette hinzugefügt, indem sie zeigt, wie auch die Inszenierung von Reflexivität und individueller Sinnkonstruktion an die Stelle inhaltlicher Arbeit treten können (Rabenstein 2009). Aus dieser Perspektive scheint es so, als ereigne sich unterrichtliche Interaktion nur mehr ritualisiert in normalisierten Zugfolgemustern. Die äußere Form dieser Muster verweist noch auf die Pädagogizität des Unterrichts, in der Erstarrung der Form ist deren Funktion aber bereits verloren gegangen.

      Warum wird diese Praxis aber aufrecht erhalten, wenn Bildung gar nicht mehr stattfindet und ihre Abwesenheit von allen Beteiligten stillschweigend akzeptiert zu werden scheint? Im strukturtheoretischen Modell taucht diese Funktion von Unterricht auf, wird aber mit dem Begriff der Erziehung in den Dienst der Vermittlungsabsicht (Didaktik und Bildung) gestellt. Betont man hingegen stärker die institutionelle und organisationale Verortung von Unterricht, dann wird deutlich, dass die Sozialität von Unterricht nur hinreichend erfasst werden kann, wenn auch die Frage der Macht thematisiert wird.

      Man muss wohl auch einer Denktradition entsagen, die von der Vorstellung geleitet ist, daß es Wissen nur dort geben kann, wo die Machtverhältnisse suspendiert sind, daß das Wissen sich nur außerhalb der Befehle, Anforderungen, Interessen der Macht entfalten kann. […] Eher ist wohl anzunehmen, dass die Macht Wissen hervorbringt (und nicht bloß fördert, anwendet, ausnutzt); daß Macht und Wissen einander unmittelbar einschließen; daß es keine Machtbeziehung gibt, ohne dass sich ein entsprechendes Wissensfeld konstituiert, und kein Wissen, das nicht gleichzeitig Machtbeziehungen voraussetzt und konstituiert (Foucault 1994 [1976], 39).

      Die Analyse dieser Machtbeziehungen aus historischer Perspektive vermag das scheinbare Paradoxon eines Unterrichts, der ohne Sachbezug und Bildungswirkung auskommt, zu erklären. In dieser Perspektive zeigt sich Unterricht als institutionell-organisational gerahmter Ausübungsort staatlicher Herrschaft, dessen Verwahrcharakter – z. B. zur Vermeidung von Delinquenz oder umstürzlerischen Umtrieben – nicht Unfall, sondern genuiner Zweck dieser „lernbezogenen Menschenhaltung“ (Caruso 2011) ist: „Im Unterricht werden heranwachsende Menschen auch gehalten, damit sie nicht nur in den Genuss kognitiv wertvoller Interaktionen kommen, sondern auch, damit sie bestimmte andere mögliche Interaktionen vermeiden“ (ebd., 25). Hier wird nicht nur Bildung, sondern sogar Lernen als für Unterricht konstitutiv in Frage gestellt.

      Folgt man der Analyse Foucaults, der den Prozess der politischen Modernisierung als Entwicklung einer neuen Kontrolltechnik – als Übergang von äußerer Strafe zu innerer Disziplinierung – konzeptualisiert, dann ist Unterricht nicht nur Verwahrung, sondern sogar die pädagogische Einflussnahme selbst steht im Zeichen der Machtausübung. Mit dem Konzept der Gouvernementalität wird sowohl theoretisch beschreibbar als auch empirisch rekonstruierbar, wie Erziehung und Lernen als Ausübung von Herrschaft im Sinne der Weitergabe von Handlungsimperativen, deren Verinnerlichung bei den Lernsubjekten zur „Selbst-Beherrschung“ führt, interpretiert werden kann.

      Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Foucault (2004) mit der Einführung seines Konzepts der Gouvernementalität darauf abzielt, Machtbeziehungen unter dem Blick von Führung untersuchen zu können, um damit die Frage, wie andere zu regieren sind, also nach den Techniken der Fremdführung, СКАЧАТЬ