Kooperatives Lernen im Englischunterricht. Andreas Bonnet
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СКАЧАТЬ des Sozialen soweit zuspitzt, dass die Frage des Lehrens und Lernens in den Hintergrund tritt. Dabei kommt zum Vorschein, dass ein soziales Geschehen für Außenstehende schon dann eindeutig als Unterricht erkennbar ist, wenn auf der Oberfläche Geschäftigkeit sichtbar wird, ohne dass bereits deutlich würde, ob zugleich Lernen oder gar Bildung stattfinden. Weiter zum Pädagogischen hin sind Ansätze zu verorten, die mit der Sprachspiel- bzw. Systemtheorie arbeiten (z. B. Lüders 2011; Meseth/Proske/Radtke 2011). Auch hier wird gefragt, ob es für die Interaktionsform Unterricht typische interaktionale bzw. kommunikative Muster gibt. Der Aspekt des Lehrens und Lernens wird allerdings stärker fokussiert. Im Kern steht dann folgende Frage:

      Mit Pädagogizität soll eine besondere Qualität der Sozialität bezeichnet werden, die auf die Ermöglichung und Bestimmung von Lernen eingerichtet ist. Unter dieser gegenstandstheoretischen Prämisse wäre erziehungswissenschaftlich zu fragen, wie im Unterricht unter der Bedingung fehlender Kausalität Lehren und Lernen wirkungsvoll synchronisiert werden (Meseth et al. 2011, 224).

      Die auf der pädagogischen Seite der Skala verorteten Ansätze versuchen Unterricht mittels erziehungswissenschaftlicher Begriffe zu bestimmen. So versteht der strukturalistische Ansatz (z. B. Gruschka 2013) Unterricht ebenfalls als ein soziales Geschehen, interessiert sich aber besonders für den pädagogischen Gehalt seiner Prozesse. Diesen pädagogischen Gehalt versteht er nicht global als Lernen, sondern differenziert mit der Begriffstrias aus Erziehung, Didaktik und Bildung drei Formen unterrichtlichen Geschehens aus, die als die Vermittlung zwischen Lernenden und Sache (Didaktik), als die Herbeiführung und Aufrechterhaltung der zu dieser Vermittlung notwendigen Kooperationsbereitschaft der Schüler*innen (Erziehung) und als das Aufscheinen von Sinnüberschuss (Bildung) bestimmt werden können.

      Was lässt sich daraus über die Pädagogizität des Unterrichts ableiten? Diese Begriffsbestimmung von Gruschka verweist sowohl auf ein geplantes bzw. auf Erreichen bestimmter Ziele gerichtetes Lehrerhandeln (Gruschka nennt dies Didaktik und Erziehung) als auch auf ein selbstläufig sich ereignendes Geschehen, das über die in die Situation getragenen Absichten der Akteure hinausführt (Gruschka nennt dies Bildung). Die Pädagogizität des Unterrichts scheint sich damit in einem für Unterricht konstitutiven Spannungsverhältnis zwischen bewusst-absichtsvollem oder auch unbewusst-routiniertem Handeln einerseits und spontanem Geschehen andererseits, kurz: zwischen Bekanntem und Neuem zu bewegen. Auf den Aspekt der Intentionalität verweisen historisch wechselnde Normen, die explizit in Plänen veröffentlicht werden. Reflektiert man diese expliziten Ziele und betrachtet Unterricht als in die Institution Schule eingelassene Interaktionsform, gelangt man zu einer Bestimmung der Pädagogizität aus einer sozialwissenschaftlich informierten Makroperspektive. Unterricht von der gesellschaftlichen Funktion der Schule her zu bestimmen führt dazu, die Schule als Sozialisationsinstanz aufzufassen, der zugleich eine konservative und eine innovative Funktion zukommt:

      Resümierend ergibt sich, dass aus gesamtgesellschaftlicher Sicht das Bildungswesen vor allem die Funktion der Reproduktion und Innovation von Strukturen von Gesellschaft und Kultur beim biologischen Austausch der Mitglieder einer Gesellschaft erfüllt. Jede neue Generation wird über das Bildungswesen an den Stand der Fähigkeiten, des Wissens und der Werte herangeführt, der für das Fortbestehen der Gesellschaft erforderlich ist. In sich rasch wandelnden Gesellschaften wird das Bildungswesen gleichzeitig zu einem Instrument des sozialen Wandels, wenn es darauf ausgerichtet wird, neue Qualifikationen zu vermitteln, um zukünftige Aufgaben bewältigen zu können (Fend 2006, 49).

      Diese doppelte gesellschaftliche Funktion schlägt auch auf die Akteure durch. Aus mikroskopischer Perspektive lässt sich Unterricht dann als intergenerationelle Kommunikation rahmen, in der die Generation der Erwachsenen mit der nachwachsenden Generation in Interaktion tritt. Der nachwachsenden Generation stellt sich dabei eine komplexe Aufgabe, nämlich

      in Auseinandersetzung mit einer überlieferten Kultur und mit der bestehenden Gesellschaft eine eigene Lebensform und dabei ein individuelles Selbstverhältnis zu finden. Eine Kultur wird nicht durch die Reproduktion von Genen weitergegeben. Sie überlebt nur, wenn Menschen sich je neu eine Vorstellung von der Lebensform machen, die ihnen aus der Geschichte angeboten wird, und wenn sie diese Lebensform daraufhin überprüfen, ob sie sich darin überhaupt verstehen können und ob ihnen in ihr ein gemeinsames Leben auf Zukunft hin möglich erscheint (Peukert 1998, 17).

      Damit wird der Unterricht zu einem Ort, an dem die miteinander interagierenden Individuen in einem Spannungsverhältnis zwischen zwei entgegengesetzten Ansprüchen stehen: auf der einen Seite der Anspruch der einzelnen Individuen der nachwachsenden Generation, ihre je eigenen Entwicklungsbedürfnisse durchzusetzen, auf der anderen Seite der durch Lehrer*innen vermittelte Anspruch der erwachsenen Generation, erprobte und für wichtig erachtete kulturelle Wissensbestände weiterzugeben. Dieses Spannungsverhältnis findet sich in verschiedenen Unterrichtstheorien in unterschiedlicher Form. Es kann als dialektisches Verhältnis verstanden werden, so wie in Klingbergs Figur von „Führung und Selbsttätigkeit“ (Klingberg 1987). Es kann als Dualität aufgefasst werden wie im Verständnis der Bildungsgangforschung, die Unterricht als Ort der Vermittlung zwischen subjektiven Entwicklungsbedürfnissen und objektiven gesellschaftlichen Anforderungen versteht und diese Vermittlung mit den Konzepten der Entwicklungsaufgabe bzw. der Sinnkonstruktion konzeptualisiert (vgl. Meyer 2006; Trautmann 2004; Hericks/Spörlein 2001; Hericks 2004). Schließlich taucht dieses Spannungsverhältnis auch – im Anschluss an die Kantsche Frage der Kultivierung der Freiheit bei dem Zwange – als Autonomie-Antinomie (Helsper 1996) auf und weist das beschriebene Spannungsverhältnis als für Schule konstitutiv und unhintergehbar aus. In letzter Zeit geraten zudem zunehmend Fragen der Fachlichkeit von Unterricht in den Horizont schulpädagogischer Forschung; sie belegen, dass die hier diskutierten Spannungsverhältnisse auch in der Sachantinomie bedeutungsvoll sind (Helsper 2016; Bonnet 2019).

      Folgt man der Bildungstheorie Peukerts, so haben sich die Pole dieser dialektischen, dualen bzw. antinomischen Struktur in der Postmoderne verändert. Durch zunehmend weniger zu kontrollierende Technologiefolgen und Raubbau an den globalen Ressourcen in der „Risikogesellschaft“ (Beck 2015 [1986]), die Relativierung universaler Normen durch das „Ende“ der traditionellen „großen Erzählungen“ (Lyotard 1994 [1979]) sowie die Flexibilisierung und Pluralisierung von Lebenspraxen im Zuge globaler Migration mache die nachwachsende Generation verstärkt Fremdheitserfahrungen mit den an sie herangetragenen kulturellen Deutungsmustern und Sinnangeboten. Sie sei „angesichts radikaler Widerspruchs- und Kontingenzerfahrungen“ (Peukert 1998, 22) zu besonderen Vermittlungsleistungen herausgefordert.

      Betrachtet man diese Situation nicht aus der Perspektive der Schüler*innen, sondern aus der Perspektive der erwachsenen Generation, so erwächst daraus auch ein Problem für Unterricht. Eine zentrale Problematik ist sein Technologiedefizit, also das ungewisse Verhältnis von Lehren und Lernen. Im Sinne des erweiterten Didaktikbegriffs nach Klafki könnte man es auch als methodisches Kontingenzproblem bezeichnen. Im Lichte der oben referierten Gegenwartsanalyse lässt sich aber ein zweites Kontingenzproblem beschreiben. Es ergibt sich daraus, dass unterrichtliche Ziele und (Fach-)Inhalte in der reflexiven Moderne verstärkt zur Disposition stehen; man könnte hier von einem didaktischen Kontingenzproblem sprechen. Damit ist gemeint, dass Lehrer*innen zunehmend mit dem Problem konfrontiert sind, die Auswahl unterrichtlicher Inhalte begründen bzw. rechtfertigen zu müssen – dies gilt auch und gerade für scheinbar kanonisierte Inhalte. Damit lässt sich feststellen, dass Unterricht angesichts seiner doppelten Kontingenzproblematik nicht nur für die Lernenden, sondern auch für die Lehrenden eine stetige Herausforderung darstellt und auf beiden Seiten mit Erfahrungen der Ungewissheit und Fremdheit verbunden ist. Wer die damit verbundenen Konflikte durch disziplinierende Machtausübung über Noten oder Techniken des classroom management zu überspielen versucht, läuft Gefahr, die innovative Funktion von Schule zu verfehlen. Um diese Funktion zu erhalten und in ihrer – angesichts immer kürzer werdender Innovationsintervalle in Technik und Gesellschaft – gestiegenen Bedeutung zu intensivieren, bedarf es einer intergenerationellen Kommunikation, die, mit Peukert gesprochen, „auf der Basis einer elementaren Solidarität Spielräume für die Selbsterprobung in alternativen Weisen СКАЧАТЬ