Was Rikmoon betraf, so lebte sie seit etwa einem Jahr auf dem Weltraumbahnhof. Sie war, wie sie es ausdrückte, mit einem eigenen Schiff gekommen. Sie beschrieb das Schiff kurz. Demnach musste es sich um den kleinen, 180 Meter durchmessenden Kreuzer mit dem sphärenförmigen Unterbau handeln, der mich ein wenig an ein Cheborparnerschiff erinnert hatte – die BURA HOMT.
Nach ihrer Ankunft war sie rasch zur Assistentin des Kommandanten aufgestiegen. Wobei sie ihm assistierte? Bei diesem und jenem, je nach Bedarf.
In den Tiefen der Station existierte eine kleine Onryonen-Kolonie; dort gab es auch die berühmten Anuupi, von denen niemand so recht wusste, ob sie die Haustiere ihrer Hüter waren oder die wahren Herren ihrer Hüter.
Dort, im Kern des Weltraumbahnhofs, aber nicht nur dort befanden sich Anlagen des Linearzonen-Passagen-Definitors, Energiespeicher und Wandler und Projektoren für den Halbraumschirm oder Linearraum-Stopper, wie Rikmoon ihn gelegentlich nannte. Mehr noch: Von YEDDVEN aus wurden etliche Schaltstellen des Schirms und damit einer seiner umfangreichsten Abschnitte synchronisiert und kontrolliert.
Maahks? An Bord gab es keine mehr. Gaids? Einige. Merkwürdige Gesellen mit ihren Hirnen im Brustbereich und einem Kopf, der mit seinem zyklopenhaften Facettenauge wie ein Periskop in die Wirklichkeit lugte.
Warum ein Gehirn nicht im Brustbereich sitzen sollte?, fragte der Tamaron.
Jedes Gehirn mochte von ihr aus sitzen, wo es wollte. Aber für den Brustbereich wüsste sie griffigere Organe. Sie streckte ihren Rücken durch und lachte wieder. Wie der Tamaron meinte: durchaus entzückend.
Warum sie denn nicht glücklich sei – das Gehirn ziemlich weit oben einquartiert? Nicht glücklich mit den stabilen Verhältnissen?
Ob sie denn keinen glücklichen Eindruck machte? So ein Jammer. Allerdings wüsste sie dies und das, womit der Tamaron diesem Glück aufhelfen könnte.
»Lassen wir den Flirt«, sagte der Tamaron. »Du kannst die Nacht mit mir verbringen, wenn du willst. Wenn das alles ist, was du willst, gehen wir in meine Kabine. Ist es alles?«
»Ich nehme das Angebot an«, sagte sie. »Und: Nein, es ist längst nicht alles.«
*
Die Tefroderin empfand, so interpretierte es Vetris-Molaud, die Stabilität als einen Panzer. Nach und nach – so schilderte sie dem Tamaron ihren Eindruck – legte sich etwas wie ein Eispanzer um Karahol. Nach und nach erstarrten alle Bewegungen. Man ging auf Sicherheit und lief dabei mehr und mehr wie auf Eis: behutsam, tastend, mit immer kleiner werdenden Schritten.
»Wenn wir diesen Panzer aufbrechen wollen, wird es eine Phase der Unordnung geben«, sagte Rikmoon. »Dinge werden sich bewegen. Die Bewegungen werden schmerzhaft sein, wie bei einer Geburt.«
Sie gingen langsam nebeneinander am Ufer eines kleinen Flusses entlang. Am holografischen Himmel prangte die Spiralgalaxis, geborgen in zwei menschlichen, transparenten Händen: die eine feminin, die andere maskulin. Das Licht war abendlich getönt, aber sie fanden mühelos den Weg.
Rikmoon hatte an ihrem Multifunktionsgürtel etwas aktiviert, das sie die Privatsphäre nannte. Ein schwaches Energiefeld bewirkte, dass Außenstehende sie nur wie hinter satiniertem Glas sahen, während die Sicht hinaus völlig ungetrübt blieb. Akustische Signale passierten die Sphäre nur ins Innere, und auch das ein wenig gedämpft.
Gegen jede Art von Ortung sei man geschützt. Dies sei einer der Gründe, warum Tefroder und andere nicht ungern auf dem Weltraumbahnhof lebten: die dortige größere Freiheit von allumfassender Kontrolle.
Was den Tamaron amüsierte: Gerade im Nervenzentrum eines galaxienumspannenden Abwehrschirms sollte die Kontrolle laxer sein als auf einem Planeten irgendwo im Virthanium?
Die beiden waren nicht das einzige Paar, das im Schutz einer solchen Sphäre flanierte. Aber in diesem Fall war das Paar nicht unterwegs zu einer romantischen Situation. Noch nicht jedenfalls.
Rikmoon schlug ein Gedankenspiel vor: Angenommen, es käme zu einer wie auch immer gearteten Unruhe im Virthanium. Zu einer interstellaren Katastrophe beispielsweise, zum Auftauchen eines übermächtigen Feindes aus den Tiefen des Kosmos. Einem plötzlich eskalierenden inneren Konflikt.
Ob der Tamaron sich vorstellen könnte, in einem solchen Fall einem Virthanium, das ihn um Unterstützung bäte, beizustehen?
Der Tamaron antwortete: »Ich sehe einmal davon ab, dass die Sonnentransmitterstrecke nicht mehr in Betrieb ist. Und dass unsere Schiffe vom Linearzonen-Passagen-Definitor abgewiesen werden. Und dass sie, selbst wenn dieser Abwehrschirm fiele, immer noch Monate brauchen würden, um einzugreifen. Übrigens auch davon, dass wir keine gerne gesehenen Gäste sind, wie ich bemerkt habe. Heißt deine Frage im Klartext, ob ich euch, für den Fall, dass du und andere gegen die gewählte Regierung putschen würdet, zur Seite stünde?«
»Würdest du?«
Der Tamaron lachte nur. Wie er mir erzählte.
Übrigens bestritt Rikmoon mit keinem Wort den Vorwurf, dass die Andromeda-Tefroder die Sonnentransmitter lahmgelegt hätten.
Wie auch immer. Sie wollte nichts ins Detail gehen.
7.
Atlan
27. April 2046 NGZ
»Klingt alles logisch«, sagte Gucky. »Wie eine mit dem Reißbett gezeichnete Geschichte.«
»Du glaubst mir nicht?«, fragte Ganud.
»Jedes Wort«, sagte der Ilt. »Aber die Geschichte als solche gefällt mir nicht.«
»Dem Tamaron hat sie ebenso wenig gefallen«, sagte Ganud. »Für ihn war diese Expedition ein Fiasko. Das Sonnentransmitternetz ist weiterhin stillgelegt. Und wenn Vetris-Molaud noch politische oder strategische Ambitionen in Richtung Andromeda gehabt hätte, sind sie ihm genommen worden.«
»Und diese Starrsinnität hat ja so recht!«, rief der Ilt mit gespielter Begeisterung. »Isolation von der Milchstraße – was ist nicht alles von dort herübergeschwappt! Tefroder! Terraner! Stellungslose Arkonidenfürsten! Wer würde sich da nicht am liebsten mit Hyperenergiefeldern immunisieren?« Er beäugte mich. »Was meint dein Extrasinn? Oder genießt und schweigt er bloß?«
Mein Extrasinn hatte durchaus nicht geschwiegen, sondern Folgendes kommentiert: Wir verdanken der Galaxis Andromeda viel mehr als sie uns. Sie ist die Fluchtburg für Abermilliarden Lemurer gewesen. Von Andromeda aus schickten die Maahks Hilfe gegen den Schwarm. Ohne die Hilfe der Maahks hätten wir die Vatrox vielleicht nicht besiegt. Wärest du eine höher entwickelte Entität und hättest das Ziel, die Milchstraße auf mittlere und lange Sicht eines wichtigen Verbündeten zu berauben – wo würdest du ansetzen?
Du hast recht, hatte ich geantwortet. Ich würde überlegen, Andromeda aus dem Spiel zu nehmen.
Vielleicht bist du ja nicht die einzige höhere Wesenheit, die so denkt.
Ich sagte laut: »Mir wäre wohler, wenn ich wüsste, dass die Sternenvölker Andromedas und sie allein und in Eigenregie diesen Plan gefasst und umgesetzt hätten.« Ich blickte Ganud an. »Gibt es dafür Beweise?«
»Nein«, СКАЧАТЬ