Das verlassene Haus. Louise Penny
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Название: Das verlassene Haus

Автор: Louise Penny

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия: Ein Fall für Gamache

isbn: 9783311701262

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СКАЧАТЬ erzogen worden. Solche Sachen riefen tiefe Abneigung in ihm hervor. Und machten ihm Angst.

      Während des Abendessens hatten sie sich in eine kleine Debatte verstrickt, bei der Peter natürlich den Standpunkt vertreten hatte, dass das Ganze bekloppt war.

      »Du nennst mich also bekloppt?«, hatte Clara gefragt, wohl wissend, dass er das nicht getan hatte, aber sie wollte sehen, wie er sich wand. Er hatte seinen grau gelockten Kopf gehoben und ihr einen wütenden Blick zugeworfen. Der große, schlanke Mann wirkte mit seiner Adlernase und den intelligenten Augen eher wie ein Bankdirektor als der Künstler, der er war. Ein Künstler allerdings, der keine Verbindung zu seinem Herzen zu haben schien. Er lebte in einer ganz und gar rationalen Welt, in der alles Unerklärliche »bekloppt« oder »Hokuspokus« oder »verrückt« war. Gefühle waren verrückt. Bis auf seine aufrichtige und bedingungslose Liebe zu Clara.

      »Nein, ich habe dieses Medium gemeint. Das ist doch Scharlatanerie. Verbindung zu den Toten aufnehmen, die Zukunft voraussagen. Blödsinn. Der Trick ist so alt wie Methusalem.«

      »Meinst du den aus der Bibel?«

      »Fang bloß keinen Streit an«, hatte Peter warnend gesagt.

      »Nein, will ich ja gar nicht. Aber wo geht es denn ständig um Verwandlungen? Von Wasser in Wein. Brot in Fleisch. Und um Magie. Auf dem Wasser wandeln, das Meer teilen, die Blinden sehend machen und die Lahmen gehend.«

      »Das waren Wunder, keine Magie.«

      »Ah, verstehe.« Clara hatte genickt und gelächelt und sich wieder ihrem Essen zugewandt.

      So kam es, dass Clara sich in Begleitung von Myrna wiederfand. Madeleine und Monsieur Béliveau waren auch schon da und standen zwar nicht händchenhaltend herum, aber doch beinahe. Sein Arm in der Strickjacke berührte ihren, und sie zog ihn nicht zurück. Erneut stellte Clara ohne jeden Neid fest, wie attraktiv Madeleine war. Sie gehörte zu den Frauen, die andere Frauen zur Freundin und Männer zur Ehefrau haben wollten.

      Clara lächelte Monsieur Béliveau an und errötete. Weil sie ihn in einem intimen Moment erwischt hatte, Zeuge von Empfindungen geworden war, die nicht für fremde Augen bestimmt waren. Einen Moment lang dachte sie darüber nach, aber dann wurde ihr klar, dass ihr Erröten mehr mit ihr selbst als mit ihm zu tun hatte. Nach dem Gespräch, das sie an diesem Nachmittag belauscht hatte, sah sie Monsieur Béliveau in einem neuen Licht. Der sanftmütige Gemischtwarenhändler war nicht mehr nur ein freundlicher, angenehmer Zeitgenosse, er war zu einem Geheimnis geworden. Clara behagte diese Verwandlung nicht. Sie mochte sich selbst nicht dafür, dass sie so empfänglich dafür war, was andere redeten.

      Gilles Sandon stand vor dem Kamin und rieb sich über seine klammen Oberschenkel, die in einer riesigen Jeans steckten. Der Kamin verschwand praktisch hinter seinem enormen Körper. Odile Montmagny brachte ihm ein Glas Wein, das er entgegennahm, ohne den Blick von Monsieur Béliveau abzuwenden, der sich dessen allerdings nicht bewusst zu sein schien.

      Clara hatte Odile immer gemocht. Sie waren ungefähr gleich alt und beide künstlerisch tätig, Clara malte, und Odile schrieb. Sie behauptete, sie arbeite an einem Versepos, einer Ode an die Anglos von Québec, was etwas merkwürdig war, da sie selbst Frankokanadierin war. Ihre Lesung in der Royal Canadian Legion in St-Rémy würde Clara nie vergessen. Fast alle hiesigen Schriftsteller waren eingeladen worden, so auch Ruth und Odile. Ruth hatte zuerst aus ihrem bitterbösen Gedicht An die Gemeinde vorgetragen:

      Ich beneide euer stetes Lodern,

      Angeheizt von Gottesloben.

      Ich beneide, das glaubt mir,

      dass ihr zusammen eins seid: ihr.

      Und ich sehe, ihr seht niemals ein,

      ich muss für mich alleine sein.

      Dann war Odile an der Reihe gewesen. Sie war aufgesprungen und hatte, ohne zwischendurch Luft zu holen, ihr Gedicht heruntergerasselt.

      Frühling kommt mit aller Macht,

      Der Schnee, er schmilzt, das Eis, es kracht,

      Und aus der Erde bricht,

      Getaucht in sanftes Sonnenlicht,

      Ein duftend zartes kleines Schlicht.

      »Bezauberndes Gedicht«, log Clara, als die Lesung zu Ende war und sich alle um die Bar drängten, sie hatten jetzt einen Drink nötig. »Nur aus Neugier: Was ist ein Schlicht?«

      »Das habe ich erfunden«, sagte Odile fröhlich. »Ich brauchte ein Wort, das sich auf bricht und Licht reimt.«

      »Wie Wicht?«, schlug Ruth vor. Clara warf ihr einen warnenden Blick zu, während Odile darüber nachzudenken schien.

      »Zu abgedroschen, leider.«

      »Gegen den Wicht ist das Schlicht natürlich eine Wucht«, sagte Ruth zu Clara, bevor sie sich wieder an Odile wandte. »Nun, ich fühle mich jedenfalls bereichert, wenn nicht gar befruchtet. Die einzige Dichterin, mit der man dich vergleichen möchte, ist die große Sarah Binks.«

      Odile hatte noch nie etwas von Sarah Binks gehört, wusste allerdings auch, dass sie eher in der französischen Literatur bewandert war. Sarah Binks musste eine sehr bedeutende englischsprachige Dichterin sein. Dieses Kompliment aus Ruth Zardos Mund hatte Odile Montmagnys Schaffenskraft neuen Schwung verliehen, und wenn es ruhig in ihrem Laden war, dem Maison Biologique in St-Rémy, holte sie ihr abgegriffenes, eselsohriges Schulheft hervor und dichtete drauflos, wobei sie manchmal nicht einmal auf eine Inspiration wartete.

      Clara rang selbst oft genug mit ihrer Arbeit, sie identifizierte sich daher mit Odile und ermutigte sie. Peter hielt Odile natürlich für bekloppt. Aber Clara wusste es besser, sie wusste, dass sich große Künstler oft nicht durch Genie auszeichneten, sondern durch Beharrlichkeit, und Odile war beharrlich.

      Acht Leute hatten sich an diesem Karfreitag in dem gemütlichen Hinterzimmer des Bistros eingefunden, um die Toten auferstehen zu lassen, nur die Frage, wer es tun würde, war noch nicht geklärt.

      »Ich nicht«, sagte Jeanne. »Ich dachte, einer von Ihnen wäre das Medium.«

      »Gabri?« Gilles Sandon wandte sich an den Gastgeber.

      »Aber Sie haben mir doch erzählt, dass Sie spiritistische Sitzungen abhalten«, sagte Gabri in bettelndem Ton zu Jeanne.

      »Das tue ich auch. Mit Tarotkarten, Runen und Ähnlichem. Ich nehme aber keine Verbindung mit Toten auf. Jedenfalls nicht oft.«

      Es ist komisch, dachte Clara, wenn man nur lange genug wartete und ruhig blieb, sagten die Leute die merkwürdigsten Dinge.

      »Nicht oft?«, fragte sie Jeanne.

      »Manchmal«, gab diese zu und wich einen kleinen Schritt zurück, so als wäre sie angegriffen worden. Clara zauberte ein Lächeln auf ihr Gesicht und versuchte weniger forsch zu wirken, wobei gegenüber dieser Frau selbst ein Schokoladenhase einen forschen Eindruck gemacht hätte.

      »Könnten Sie es nicht heute Abend machen? Bitte!«, sagte Gabri. Er sah seine kleine Party schon den Bach runtergehen.

      Winzig, farblos und unscheinbar stand Jeanne in ihrer Mitte. Da sah Clara etwas über das Gesicht der mausgrauen Frau huschen. Ein Lächeln. Nein. Ein Grinsen.

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