Название: Das verlassene Haus
Автор: Louise Penny
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
Серия: Ein Fall für Gamache
isbn: 9783311701262
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»Ich werde auf dich aufpassen«, sagte der Mann. Jetzt wusste Clara auch, wer er war. Odiles Freund, Gilles Sandon.
»Warum willst du da eigentlich hin, Gilles?«
»Nur zum Spaß.«
»Nicht etwa, weil sie da ist?«
Stille, bis auf den brüllenden Schmerz in Claras Beinen.
»Er wird auch dort sein, das ist dir doch klar?«, zischte Odile.
»Wer?«
»Du weißt genau, wer, Monsieur Béliveau«, sagte Odile. »Ich habe ein schlechtes Gefühl bei der Sache, Gilles.«
Wieder gab es eine Pause, dann sprach Sandon mit tiefer, tonloser Stimme, als versuchte er, sämtliche Emotionen von sich fernzuhalten.
»Keine Sorge. Ich werde ihn schon nicht umbringen.«
Clara vergaß ihre Beine. Monsieur Béliveau umbringen? Wer würde an so etwas auch nur denken? Der Gemischtwarenhändler hatte noch nicht einmal irgendwann jemandem zu wenig Wechselgeld herausgegeben. Was hatte Gilles Sandon nur gegen ihn?
Als sie hörte, dass die beiden weggingen, richtete sie sich mit einem erleichterten Seufzer auf. Sie starrte ihnen nach, Odile mollig und leicht watschelnd, Gilles ein Bär von einem Mann, sein Markenzeichen, der rote Bart, war sogar von hinten sichtbar.
Clara sah auf ihre verschwitzten Hände, mit denen sie die Holzostereier umklammert hielt. Die quietschbunten Farben hatten auf ihre Handflächen abgefärbt.
Die Séance schien plötzlich gar nicht mehr so eine lustige Idee wie noch vor ein paar Tagen, als Gabri im Bistro den Zettel aufgehängt hatte, auf dem der Besuch des berühmten Mediums Madame Isadore Blavatsky angekündigt worden war. Statt mit freudiger Erwartung war Clara nun mit Furcht erfüllt.
3
Madame Isadore Blavatsky war an diesem Abend nicht ganz sie selbst. Genau genommen war sie überhaupt nicht Madame Isadore Blavatsky.
»Nennen Sie mich doch bitte Jeanne.« Die unscheinbare Frau stand im Hinterzimmer des Bistros und streckte ihre Hand aus. »Jeanne Chauvet.«
»Guten Tag, Madame Chauvet.« Clara lächelte und schüttelte die schlaffe Hand. »Bitte entschuldigen Sie.«
»Jeanne«, erinnerte die Frau sie mit kaum vernehmbarer Stimme.
Clara ging zu Gabri, der eine Platte mit Räucherlachs herumreichte. Das Zimmer begann sich langsam zu füllen. »Lachs?« Er hielt Clara die Platte hin.
»Wer ist das?«, fragte Clara.
»Madame Blavatsky, das berühmte ungarische Medium. Spürst du ihre Aura etwa nicht?«
Madeleine und Monsieur Béliveau winkten ihr zu. Clara winkte zurück, dann sah sie zu Jeanne, die so aussah, als würde sie in Ohnmacht fallen, wenn jemand auch nur Buh machte. »Aber sicher spüre ich etwas, junger Freund, und das ist Ärger.«
Gabri Dubeau schwankte zwischen der Freude darüber, »junger Freund« genannt zu werden, und Rechtfertigungsdruck.
»Das ist nicht Madame Blavatsky. Sie tut nicht einmal so. Sie heißt Jeanne Soundso«, sagte Clara, nahm sich geistesabwesend ein Stück Lachs und legte es auf eine Scheibe Pumpernickel. »Du hast uns Madame Blavatsky versprochen.«
»Du weißt nicht einmal, wer Madame Blavatsky ist.«
»Jedenfalls weiß ich, wer sie nicht ist.« Clara nickte und lächelte der kleinen Frau mittleren Alters zu, die etwas verwundert zwischen ihnen stand.
»Und, wärst du gekommen, wenn du gewusst hättest, dass sie das Medium ist?« Gabri deutete mit der Platte auf Jeanne. Eine Kaper rollte herunter und ging für immer auf dem bunt gemusterten Perserteppich verloren.
Warum ziehen wir eigentlich nie unsere Lehren, überlegte Clara seufzend. Jedes Mal, wenn Gabri einen Gast hat, lädt er zu irgendeiner merkwürdigen Veranstaltung ein, wie das eine Mal, als der Poker-Profi da war und uns unser Geld abknöpfte, oder diese Sängerin, im Vergleich zu der sogar Ruth wie Maria Callas klingt. So schrecklich diese von Gabri organisierten Zusammenkünfte allerdings auch für die Bewohner von Three Pines waren, noch schlimmer mussten sie für die nichts ahnenden Gäste sein, die dazu verdonnert waren, ein ganzes Dorf zu unterhalten, wo sie doch nur ein paar ruhige Tage auf dem Land verbringen wollten.
Sie beobachtete Jeanne Chauvet, die sich im Raum umsah, sich die Hände an ihrer Polyesterhose abwischte und das Porträt über dem prasselnden Kaminfeuer anlächelte. Sie schien vor Claras Augen zu verschwinden. Es war fast wie ein Zaubertrick, wenn auch keiner, der für ihre Qualitäten als Medium sprach. Clara empfand Mitgefühl für die Frau. Also wirklich, was dachte sich Gabri eigentlich dabei?
»Was hast du dir eigentlich dabei gedacht?«
»Warum? Sie ist ein Medium. Das hat sie mir gesagt, als sie ihr Zimmer bezogen hat. Gut, sie heißt nicht Madame Blavatsky. Und stammt auch nicht aus Ungarn. Aber sie hält spiritistische Sitzungen ab.«
»Moment mal.« Clara beschlich ein Verdacht. »Weiß sie überhaupt von deiner Planung für diesen Abend?«
»Ach, das hat sie bestimmt vorhergesehen.«
»Nachdem die ersten Leute eingetroffen waren, vielleicht. Gabri, wie kannst du ihr das antun? Und uns?«
»Es macht ihr Spaß. Sieh sie dir an. Sie wirkt doch schon viel entspannter.«
Myrna hatte ihr ein Glas Weißwein geholt, und Jeanne Chauvet trank ihn, als wäre er das Wasser vor der Verwandlung. Myrna sah zu Clara herüber und zog die Augenbrauen in die Höhe. Noch mehr davon und Myrna müsste die Séance abhalten.
»Séance?«, fragte Jeanne eine Minute später, als Myrna sich erkundigte, was sie erwarten würde. »Hält hier jemand eine Séance ab?«
Alle Blicke wanderten zu Gabri, der die Lachsplatte behutsam auf einem Tisch abstellte und neben Jeanne trat. Gabris riesenhafte Erscheinung schien die unscheinbare Frau noch mehr schrumpfen zu lassen, bis man nur noch ihre Kleider zu sehen meinte. Clara schätzte sie auf Anfang vierzig. Ihre stumpfen braunen Haare sahen aus wie selbst geschnitten. Ihre Augen waren von einem wässrigen Blau und ihre Kleidung stammte vom Wühltisch. Clara hatte den größten Teil ihres Künstlerinnenlebens in Armut verbracht und kannte die Zeichen. Sie fragte sich kurz, warum Jeanne nach Three Pines gekommen war und sich einen Aufenthalt in Gabris Pension leistete, der zwar keine astronomisch hohen Preise verlangte, aber auch nicht gerade billig war.
Jeanne machte mittlerweile keinen verängstigten Eindruck mehr, sondern nur noch einen verwirrten. Clara wäre am liebsten zu ihr gegangen, hätte den Arm um die Schultern der zierlichen Frau gelegt und sie vor dem, was auf sie zukam, beschützt. Sie hätte ihr am liebsten ein gutes, warmes Abendessen bereitet und dann ein warmes Bad eingelassen, und mithilfe einiger freundlicher Worte hätte sie vielleicht ein wenig Farbe in die Frau gezaubert.
Auch Clara sah sich in dem Raum um. Peter hatte es kategorisch abgelehnt, sich ihnen anzuschließen, und das Ganze als dummen Hokuspokus bezeichnet. Aber als sie gegangen war, hatte er ihre Hand einen Moment länger als sonst gehalten und gesagt, sie solle auf sich aufpassen. Clara СКАЧАТЬ