Название: Das Moordorf
Автор: Max Geißler
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9788711467626
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Draussen wirbelte der Wind den feinen Schneestaub vom Heidesoden des Firsts herab und hatte einen silbernen Streifen durch den Spalt der handbreit geöffneten Tür geweht.
Der Alte strich wie liebkosend über das weisse Fell der Ziege und legte sich auf das Stroh seines Bettschranks. Er schloss die Augen. Er lauschte, wie der Wind den körnigen Schnee gegen die Scheiben klirrte, lauschte, wie das Pendel der Uhr im Kasten in dumpfen gemessenen Schlägen schlug.
Ham Rugen dachte: das ist der Schritt der Zeit. So wandert sie immer, ohne Rast, ohne Ruh, und ich habe sie dennoch nie schreiten hören. Warum vernehm’ ich ihr unaufhaltsames Wandern denn nun heute? Sie läuft vernehmbarer, sie läuft gewichtiger, wenn der Mensch an ihrer Hand in die Nähe des Grabes gelangt ist. Das ist’s!
Dann dachte er auch: Es ist der Tod, den ich wandern höre; denn keiner schreitet mit so gemessenem Schritt und in unbeirrtem Gleichmass über dies winterliche Land, auf dem sich dem Fuss allenthalben ein Hindernis entgegenstellt. ...
Die Tür knarrte. Ham Rugen richtete sich erschreckt empor und steckte den Kopf aus dem Bettkasten, zu sehen, wer da komme.
Der Wind hatte gegen die Türe gestossen.
Der Wind — ja der Wind wird dann auch über das Moor fegen, von Haus zu Haus laufen und durch die Ritzen der Türen und Fenster heulen: Ham Rugen ist tot, Ham Rugen ist tot!
Aber die Leute werden ihn nicht verstehen.
Dann muss der tote Mann wochenlang auf dem Stroh liegen, und die Ziege, die angebunden hinter dem Gatter steht, muss verhungern; und wenn endlich von ungefähr ein Mann aus dem Moore des Weges kommt, wird der Mann sehen, dass die Tür zu Ham Rugens Hütte offen steht und der Wind mit ihr spielt. Und weil der Mann den Rauch des Torfbrands nicht unter dem Türbalken hervorspinnen sieht, wird er einen Augenblick still stehen und denken: „Warum hat Ham Rugen das Feuer ausgehen lassen?“ Da wird ihm der Wind einen Geruch von Moder und Verwesung um das Gesicht wehen ...
„So sterben die Hunde auf der Heide,“ sagte Ham Rugen, stand vom Lager auf und band die Ziege los.
Ich will sie nun immer frei umhergehen lassen und die ganze Hütte mit ihr teilen, dachte er, damit sie Futter findet, wenn es doch einmal kommt, dass der Tod die Hütte im Moor betritt.
Und wie die weisse Ziege, des Strickes ledig, dennoch nicht auf die Diele heraustrat, deren Grund nur aus hartgestampftem Lehm bestand und nicht mit Brettern belegt war, vergass Ham Rugen sein Sinnen nicht.
Er schürte mit der Torfzange den Brand ein wenig und überlegte, warum ihm wohl jetzt eine Furcht in das Herz gekommen. Er dachte: die Einsamkeit macht die Menschen, die in ihr leben, tiefer als andere, die im Getriebe des Tages hinhasten. Und der Mensch im Moor, der selten mit andern zusammentrifft, und auch Ham Rugen, der vordem in rastloser Hast seine Tage verlebt, hat sich gewöhnt, an Dinge zu denken, die er vorher gar nicht gesehen und gefühlt hat. In der Einsamkeit wird man sich selbst besser Freund.
Oder es kam ihm noch ein anderer Gedanke: ob er sein Herz an das Werk gehängt habe, das er im vorigen Jahr begonnen, und ob er fürchte, es nicht zu Ende bringen zu können, weil ihm der Tod die Hacke aus der Hand nehmen werde ...
Es war eine sonderliche Zwiesprache, die Ham Rugen mit seiner Seele hielt. Er forschte, er drang in sie.
Aber es war, als ob diese Seele, um die er sich sein Lebtag nicht gekümmert hatte, ihn nicht verstehe, oder ob sie das Sprechen verlernt habe. Sie war verkümmert. Und Rugen dachte, er wolle sich noch mit ihr auseinandersetzen. Zeit genug, in sie hineinzuhorchen, habe er ja wohl.
Zweites Kapitel.
In den Mooren war das feine Rinnen der Wässer, das man nie zwischen den braunen Schollen, nie in dem weichen, schwarzen Grunde hört, als in der Zeit, da der Frühling in goldenen Schuhen durch das Heidegestrüpp wandert.
In diesen Tagen des jungen Lichts, das mit sanften Händen das duftige Grün aus den Spitzen der Knospenhüllen auf den Birken herauszupfte, stand Ham Rugen auf dem Lande, das er dazu ausersehen hatte, Samen aufzunehmen und Früchte zu tragen.
Aber als er mit dem Spaten die lockere Erde spaltete, die er im Herbst mit weichem Heidesande gemischt hatte, fand er, dass das Grundwasser im neuen Acker immer noch zu hoch stand.
Da tat Ham Rugen seine Torfstiefel an, die ihm bis über die Knie reichten und reichlich mit Tran getränkt waren, und stand wieder in den Gräben, die er im Vorjahr gezogen, um sie noch mehr zu vertiefen. Er sah, dass sofort mit der Arbeit begonnen werden müsse, damit die Ostwinde, die gegen Ende März über die weiten Flächen des Tieflands wehen, die Trocknung des Erdreichs beschleunigten. Die Gräben konnten das wegen ihrer zu geringen Tiefe nicht in ausreichendem Masse vollbringen.
Als auch diese Arbeit getan und die Wasserrinne, die dem breiteren Schiffgraben entgegenführte, so tief war, dass Ham Rugen bis an die Brust darinstand, musste er den zähen Klipp des schwarzen Grundes schier über sich werfen. Fast bis zu den Knien reichte ihm das braune Wasser, das an den steilrechten Wänden des Torfgrabens herabrieselte.
Und Ham Rugen schuf der Bahn, die er dem rinnenden Gewässer gab, ein sanftes Gefälle, ohne jedoch so tief in den zähen Grund zu gehen, dass dieser dem Spiegel des Schiffgrabens gleichkam. Er dachte, das Wasser werde sonst von dorther seine Gräben füllen.
Endlich verloren sich die Märznebel. Der Himmel stand in mattem Blau über der Welt. Schmale, dünne Wolkenstreifen schlugen sich in glänzendem Weiss durch das blaue Gewölbe, und in den Birken waren die Schleier aus feiner grüner Seide noch von dem rötlichen Braun der Knospenhüllen und Reiser durchsponnen.
Ham Rugen wusste: nun werden die Ostwinde durch lange Tage über das Moor laufen. Die ferne Geest zeigte eine scharfe Linie gegen den Himmel nach Norden, und Kiefern und Eichen der Weiten, die Firste der fernen Dächer und was sonst noch in die klare, kühle Frühlingsluft hineinragte — alles stand hart gegen die Bläue des Himmels. Nur der Wind aus Osten, der über die endlosen Landstrecken gewandert, schafft diese kalte Klarheit der Linien, wie sie das ganze Jahr über im Moore nicht vorhanden ist.
Allenthalben hatte der Frühling leise Spuren künftigen Glücks zurückgelassen. Nur die niederen Buschkiefern, die da und dort auf der Fläche standen und die auch Ham Rugens Hütte umgaben, waren noch ganz freudlos. An den Spitzen ihrer Zweige brannten noch nicht die rötlichen Lichter, die erst zur Maifeier aufgesteckt werden und nicht früher erwachen, bis die Nachtigallen in dem glänzenden Grün der Stechpalmen ihre Sommerwohnungen eingerichtet haben.
Und der Ostwind kam und dörrte das Land.
Ham Rugen legte Glut von seinem Herd in einen Torfhaufen, den der Winter zu Müll zerfroren; er warf den qualmenden Torf durcheinander.
Der Wind lief um den Brand; aus allen Seiten glomm es hervor, und als der ganze Haufen glosende Glut war, warf der Mann den glühenden Torf über jene Strecke des Moorlandes, auf der er im Regen des Spätherbstes die Moormyrte und das Heidekraut bis an die Wurzeln gemäht hatte.
Da brannte das Moor. Nirgend war eine Flamme, aber allenthalben war Glut.
Ham Rugen hatte das Glühen an die Morgenseite der Fläche gelegt, quer über die Grenze des Landstrichs, den er in Asche zu verwandeln gedachte. Eine Spanne tief glomm die Glut. Und der Wind blies scharf hinein; da frass sie sich in den Torf und frass weiter bis zu dem Graben, den der Alte jenseits des Brandes gezogen.
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