Название: Gespräche jenseits der Zeit
Автор: Markus Jost
Издательство: Bookwire
Жанр: Религия: прочее
isbn: 9783943362527
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Sie stellen fest, dass Ihr Gesprächspartner zu seiner Erdenzeit aus rein moralischen Gründen eine höhere Macht – also Gott – annahm. Für ihn hatten die wahre Religion und der Gottglauben seinen Ursprung im moralischen Gesetz. Oder anders ausgedrückt: Für ihren Gesprächspartner würde es ohne Moral keine wahre Religion und keinen wahren Gottglauben geben. Zudem merken Sie, dass die Geschichte – der historische Glaube, wie er es nennt – von Ihrem Gesprächspartner als zweitrangig betrachtet wird. Das was für ihn zählt, ist die Vernunft: „Der reine Vernunftglaube dagegen bedarf einer solchen [historischen, MJ] Beurkundung nicht, sondern beweiset sich selbst.“58„Es mag mit der Geschichte stehen wie es wolle, denn in der Idee selbst liegt schon der hinreichende Grund zur Annahme und die freilich keine andere als reine Vernunftlehren werden sein können.“59 Er bezeichnet somit die Idee als wichtiger als die Geschichte. Was in Ihnen wiederum die Frage aufwirft, ob der Glanzpunkt der theologischen Wissenschaft – die moderne historisch-kritische Methode der Bibelauslegung60 – im Sinn Ihres Gesprächspartners als aufklärerisch bezeichnet werden kann? Er wisse zwar nicht genau, was diese historisch-kritische Methode beinhalte, aber grundsätzlich sei es wichtig, das Wesen der Religion historisch und kritisch zu beurteilen. Denn nur so könne der kirchliche Aberglaube vom Vernunftglauben klar getrennt werden. Bei der Beurteilung der Bibel müsse aber aufgepasst werden. Der Mann verblüfft Sie, als er plötzlich die Bibel zu zitieren beginnt – natürlich in Verbindung mit seiner Morallehre: „‘Nicht, die das sagen: Herr, Herr! Sondern die den Willen Gottes tun‘; mithin die nicht durch Hochpreisungen desselben (oder seines Gesandten, als eines Wesens von göttlicher Abkunft) nach geoffenbarten Begriffen, die nicht jeder Mensch haben kann, sondern durch den guten Lebenswandel, in Ansehung dessen jeder seinen Willen weiss, ihm wohlgefällig zu werden suchen, werden diejenigen sein, die ihm die wahre Verehrung, die er verlangt, leisten.“61
Sie wollen mehr wissen von seinem Verhältnis zur Bibel. Er erklärt Ihnen, dass kein auf die Bibel begründeter Glaube, selbst durch die verwüstendsten Staatsrevolutionen habe vertilgt werden können; „indessen dass der, so sich auf Tradition und alte öffentliche Observanzen gründete, in der Zerrüttung des Staats zugleich seinen Untergang fand. Glücklich! Wenn ein solches den Menschen zu Händen gekommenes Buch, neben seinen Statuten als Glaubensgesetzen, zugleich die reinste moralische Religionslehre mit Vollständigkeit enthält.“62
Sie sind sehr erstaunt: Der vor Ihnen stehende Aufklärer bezeichnet die Bibel nicht nur als Sammlung antiker Texte, sondern als reinste moralische Religionslehre und Grundlage eines unerschütterlichen Glaubens. Seine Lobrede auf die Heilige Schrift geht noch weiter: „Das Entstehen der Bibel als eines Volksbuchs ist die größte Wohlthat die dem menschlichen Geschlechte je wiederfahren ist. Ein jeder Versuch sie geringschätzig zu machen oder sie mit den Theophilanthropen63 gantz eingehen zu lassen ist Frevel an der Menschheit und wenn es ja Wunder geben soll so ist dieses Buch in welchem die Wundererzählungen nur zur historischen Bestätigung dessen was Religion durch die Vernunft gebietet beyläufig vorkommen das größte Wunder selbst nämlich ein ohne griechische Weisheit von Layen zusammengetragenes System von Religions- und Glaubenslehren welches mehr als irgend eines Wirkung aufs menschliche Herz zur moralischen Besserung desselben ausgeübt hat.“64
Man kann die Bibel also doch begeistert lesen und gleichzeitig die Ideen der Aufklärung gutheissen. Bibel und Aufklärung schliessen sich also nicht aus. Im Gegenteil, erklärt Ihnen der Mann, solange Aufklärung in der Welt bliebe, werde es nie ein für das Volk in Sachen der Religion „schicklicheres und kräftigeres“ Buch geben als die Bibel. Denn einem anderen aufklärerischen Buch würde „die Salbung der Geschichte“ fehlen und es könnte – aus aufklärerischen Gründen – nicht auf Wunder zurückgreifen. Das wiederum hätte zur Folge, dass es nie ein solches Ansehen erhalten würde wie die Bibel. „Die mosaische und christliche Religion wird nie aufhören als bis die Welt hierüber zur Einheit der Begriffe und der ihnen gemäßen Grundsätze der moralisch-practischen Vernunft unabänderlich wird gelanget seyn welches das Reich Gottes auf Erden seyn wird. Was man Erbauung nennt – nämlich das Gefühl der Erweckung zum besseren innern u. äussern Lebenswandel ist in ihr in der grössten Vollkommenheit anzutreffen die Bibel ist also das beste Organ desselben.“65
Sie fragen ihn, welchem Glauben er persönlich nahe gestanden habe: Er schaut Sie an und gibt zögernd Antwort: Er sei in einem frommen Hause aufgewachsen. Seine Eltern, vor allem seine Mutter, seien engagierte Kirchenmitglieder gewesen und hätten ihren Kindern eine gute Kindheit ermöglicht. Sie gehörten in Königsberg einer Kirchenfraktion an, die gesellschaftlich eher auf Ablehnung stiess.66 Dies und die Handwerker-Herkunft seiner Familie hätten ihn schon früh gelehrt, unabhängig vom Urteil anderer ein eigenes Denken zu entwickeln.67 Ausserdem habe es damals in Königsberg verschiedene andere Glaubensrichtungen gegeben. Zum Beispiel die Täufer, auch Mennoniten genannt, die über 100 Jahre vor seiner Zeit aus den Niederlanden nach Preussen geflohen seien. Diese hätten übrigens den besten Likör der ganzen Stadt gebrannt,68 auch Danziger Goldwasser genannt.69 Einfach herrlich. Der Whiskey sei von allen – inklusive ihm – sehr geschätzt geworden. Die Mennoniten seien nach einem ihrer Lehrer, Menno Simons, benannt worden. Sie seien Teil der Reformationsbewegung gewesen, welche grossen Wert auf die sogenannte Bergpredigt im Neuen Testament und die Orthopraxie gelegt hätten – also den ethisch gelebten Glauben und weniger auf die Orthodoxie – die Dogmatik. Dies habe ihn stets beeindruckt und an seine Idee der ethischen Vernunftreligion erinnert. Allerdings habe er den Geschichts- und Wunderglauben negativer interpretiert70 als Menno Simons.71
Königsberg sei eine kosmopolitische Stadt und eine wichtige Universitätsstadt gewesen, die er äusserst ungern gegen das Provinziantentum anderer deutscher Städte – wie beispielsweise Berlin oder Halle – habe eintauschen wollen. Zudem sei Königsberg während seiner Erdenzeit für fünf Jahre eine russische Stadt geworden.72 Dies sei eine spannende Zeit gewesen. Die Russen seien den Königsbergern sehr gutgesinnt gewesen und Königsberg habe von der Zeit unter dem Zar sehr profitiert. Übrigens sei die Stadt Königsberg in seinem Geburtsjahr durch den Zusammenschluss der Ortschaften Altstadt, Löbenicht und Kneiphof durch König Friedrich Wilhelm gegründet worden.73 Vielleicht sei er deshalb Zeit seines Lebens der Stadt am Pregel treu geblieben. Er habe diese grosse, weite Königsberger Welt von klein auf gekannt und schätzen gelernt. Mit der organisierten Religion habe er leider in seinen Jugendjahren sehr schlechte Erfahrungen gemacht. Das Kollegium, das er besuchte, sei von sehr strengen Pietisten74 geführt worden, welche sie gezwungen hätten, jeden Tag an Andachtsgottesdiensten teilzunehmen und die einem sehr wenig Freiheit beim Lernen zugestanden hätten. Er und seine Mitschüler seien von morgens bis abends, Montag bis Samstag, voll eingespannt gewesen. Obwohl er persönlich nie atheistisch gesinnt gewesen sei, habe er je länger, je mehr nichts mehr mit dem pietistischen Glauben anfangen können. Wenn man mal den Goût des philosophischen Denkens geschmeckt habe, könne man nicht mehr zurück zu den pietistischen Glaubensvorstellungen. In einem selbst gedichteten Nachruf auf den Königsberger Theologen Lilienthal habe er geschrieben: „Was auf das Leben folgt, deckt tiefe Finsternis. Was uns zu tun gebührt, des sind wir nur gewiss. Dem kann, wie Lilienthal, kein Tod die Hoffnung rauben, der glaubt, um recht zu tun, recht tut, um froh zu glauben.“75
Zudem habe er am Ende seines Lebens die kirchliche Machtpolitik in Preussen zu spüren bekommen. Dies habe ihm klar gezeigt, dass die wahre Kirche nicht die preussische Staatskirche sein könne. Deshalb habe er in einer seiner letzten Schriften in Anlehnung an die Worte Jesu in den Evangelien76 geschrieben: „Die enge Pforte und der schmale Weg, der zum Leben führt, ist der des guten Lebenswandels; die weite Pforte und der breite Weg, den viele wandeln, ist die Kirche. Nicht als ob es an ihr und an ihren Satzungen liege, dass Menschen verloren werden, sondern dass das Gehen in dieselbe und Bekenntnis ihrer Statute oder Zelebrierung ihrer Gebräuche für die Art genommen wird, durch die Gott eigentlich gedient sein will.“77
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