Название: Gespräche jenseits der Zeit
Автор: Markus Jost
Издательство: Bookwire
Жанр: Религия: прочее
isbn: 9783943362527
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Moses Mendelssohn habe mit seiner philosophischen Abhandlung „Über die Evidenz der metaphysischen Wissenschaft“42 den ersten Preis der „Königlichen Academie“43 gewonnen. Der Aufsatz Ihres Gesprächspartners erhielt lediglich den zweiten Preis. Gewisse Gelehrte bezeichneten Mendelssohn auch als „einen zweiten Spinoza“ allerdings ohne dessen Irrtümer.44 Da in der Pantheismus-Debatte durch den plötzlichen Tod Mendelssohns der klassische Vertreter der Aufklärung weggefallen sei und Jacobi noch stärker begonnen habe, die Transzendentalphilosophie Ihres Gesprächspartners zu kritisieren, konnte dieser nicht mehr länger vornehm schweigen. Er sei deswegen gezwungen gewesen, einzugreifen, auch wenn dieser Disput absolut nicht seiner Vorstellung des Ideals der „dialogischen Struktur der Aufklärung“ entsprochen habe. In seinem Artikel „Was heisst: sich im Denken orientieren?“ habe er Klartext schreiben müssen:
„Es ist kaum zu begreifen, wie gedachte Gelehrte in der Kritik der reinen Vernunft Vorschub zum Spinozismus finden konnten. (…) Männer von Geistesfähigkeit und von erweiterten Gesinnungen! Ich verehre eure Talente und liebe euer Menschengefühl. Aber habt ihr auch wohl überlegt, was ihr tut, und wo es mit euren Angriffen auf die Vernunft hinaus will?“45
Er habe in seinem Artikel die Vernunft verteidigen wollen und deshalb klargestellt, dass in seinem Werk „Kritik der reinen Vernunft“46 kein Spinozismus vorhanden sei. Denn, wie bereits gesagt, sei Spinozismus zu seiner Zeit ein philosophischer Kampfbegriff gewesen, um Philosophen mit dem Pantheismus-Etikett und damit des Atheismus zu beschuldigen. Im Pantheismusstreit seien seine Ideen der „Grenzbestimmung des reinen Vernunftvermögens“ von Jacobi missbraucht worden. Deshalb wollte er klar stellen, dass seine „Kritik der reinen Vernunft“ im Gegensatz zu den Schriften des Philosophen Baruch de Spinoza keineswegs dogmatisch und atheistisch, sondern vernünftig sei. Man müsse schon klar zwischen Wissen und Glauben unterscheiden und nicht eine neue Art Metaphysik einführen, in welcher man „sogar mit dem Mathematiker in Ansehung der Strenge des Beweises wetteifert“47. In seinem Werk „Die Kritik der reinen Vernunft“ habe er klar bewiesen, dass die Tafel der reinen Verstandesbegriffe alle Materialien des reinen Denkens enthalten müsse; der Spinozismus spräche von Gedanken, die doch selbst denken. Der Spinozismus gäbe vor, die Unmöglichkeit eines Wesens einzusehen, dessen Idee aus lauter reinen Verstandesbegriffen bestehe. Dies führe geradezu zu Schwärmerei. Es gäbe aber kein einziges sicheres Mittel, alle Schwärmerei mit der Wurzel auszurotten, als jene Grenzbestimmung des reinen Vernunftvermögens, habe er deutlich formuliert.
Er habe aber später einsehen müssen, dass er sich damals zu wenig mit dem vielfältigen Werk des Philosophen Baruch de Spinoza auseinander gesetzt habe.48 Vielleicht sei mehr Positives in dessen Werk zu finden, als er gedacht habe. Bei den jungen Philosophen zu seiner Erdenzeit sei eine Art Spinoza-Begeisterung ausgebrochen.49 Auch Jacobi sei zeitweise sehr an Spinoza interessiert gewesen.50
Um wieder auf den Pantheismusstreit zurückzukommen meint er, es sei allgemein bekannt gewesen, dass Lessing als leitender Bibliothekar und Herausgeber einer Zeitschrift mehrere religionskritische Fragmente des Hamburger Orientalisten Hermann Samuel Reimarus51 veröffentlicht habe. Dies habe zum Streit mit der lutherischen Orthodoxie in der Gestalt des Hauptpastors Johann Melchior Goeze52 geführt: Der sogenannte Fragmentenstreit. Eine weitere Kontroverse die im Umfeld Lessings entstanden sei. Diesmal ging es um das Verhältnis zwischen den Ideen der Aufklärung und der orthodoxen lutherischen Theologie. Mit anderen Worten: Lessing wollte mit seiner Äusserung einmal mehr einfach ein wenig provozieren. Dies sei ihm definitiv gelungen. So seien halt diese Schriftsteller.
Ihr Gesprächspartner sei damals ein europaweit anerkannter Philosoph, Aufklärer und Rektor der Universität Königsberg gewesen. Deshalb sei für Ihn klar gewesen, dass wahre Philosophie nur von Universitätsprofessoren gedacht und formuliert werden könne. Zudem habe sie kompliziert zu sein und dürfe erst mit deutlicher Verzögerung von der Öffentlichkeit verstanden und diskutiert werden.53 Dieser Linsenschleifer Baruch de Spinoza aus den Niederlanden des vorhergehenden Jahrhunderts habe Werke geschrieben, die sofort Skandale auslösten und zensuriert worden seien. Dies alles habe nicht in sein damaliges Bild eines menschheitsverbessernden Philosophen gepasst, der eine Gesellschaft in Ruhe und Frieden moralisch weiter bringen wollte. Doch der Friede und die Ruhe sei auch bei ihm schon bald durch die Ereignisse rund um die Französische Revolution gestört worden. In Preussen seien die Ideen der Aufklärung nun kritischer betrachtet worden und die Zensur sei verschärft worden. Seine geruhsame Gelehrtenwelt sei dadurch ins Wanken geraten und er habe feststellen müssen, dass obwohl erst noch von König Friedrich Wilhelm II als Rektor der Universität geehrt, auch er die politische Neuausrichtung des Monarchen zu spüren bekam. Die Neubesetzung des preussischen Kultusministeriums habe den Kampf gegen alle Aufklärer bedeutet. Gewisse Zensoren hätten sogar gewünscht, seine Publikationen zu untersagen.54 Um das Erscheinen seiner Werke trotzdem zu ermöglichen, habe er jeweils versucht eine Approbation für sie bei einer theologischen Fakultät einzuholen. Dies sei nicht einfach gewesen, da seine Werke immer kritischer gegenüber der Kirchenpolitik Preussens wurden. Und so kam es, dass auch er in hohem Alter fast zu einem Rebellen wurde, wie Spinoza zu seiner Zeit.
Wie er es persönlich mit der vermutlich ältesten Tradition der Menschheit – der Religion – hätte, fragen Sie ihn. Er erklärt Ihnen, dass er zu seiner Erdenzeit der Meinung gewesen sei, dass es eigentlich nur eine wahre Religion gäbe, welche innerlich und verborgen sei und sich in der moralischen Gesinnung eines Menschen ausdrücke: eine natürliche, allgemeine Weltreligion. Dieser zu folgen sei der wahre Gottesdienst. Alles, was ausser dem guten Lebenswandel der Mensch noch tun zu können vermeint, um Gott wohlgefällig zu werden, sei blosser Religionswahn und Afterdienst Gottes. Die religiösen Zelebrierungen, der Ritus und der historische Glaube seien dazu da, den Menschen zum praktischen und moralischen Vernunftglauben zu führen. Er ergänzt: „Zur Festigkeit des Glaubens gehört das Bewusstsein seiner Unveränderlichkeit. Nun kann ich völlig gewiss sein, dass mir niemand den Satz: ‚Es ist ein Gott‘, werde widerlegen können; denn wo will er diese Einsicht hernehmen? Also ist es mit dem Vernunftglauben nicht so, wie mit dem historischen bewandt, bei dem es immer noch möglich ist, dass Beweise zum Gegenteil aufgefunden würden, und wo man sich immer noch vorbehalten muss, seine Meinung zu ändern, wenn sich unsere Kenntnis der Sachen erweitern sollte.“55
Sie stellen fest, dass der Philosoph mit dem Konstrukt eines Vernunftglaubens einen Glauben, der unabhängig von der Geschichte ist, schaffen will. Einen Glauben, der dadurch angeblich unveränderlich gemacht werden kann. Als Gegensatz nennt der Philosoph den historischen Glauben, der in der Geschichte entstand und sich in der Geschichte der Menschheit artikuliert hat. Sie fragen ihn, warum religiöse Zelebrierungen und historischer Glaube – ja Religion allgemein – nicht auch einen anderen Sinn haben könnten, als den praktischen und moralischen Vernunftglauben. Und überhaupt sei der Begriff „Moral“ zu Ihrer Erdenzeit oft eher negativ und beengend wahrgenommen worden.
Man müsse mit dem Begriff „Religion“ vorsichtig umgehen, meint er. Das was der gemeine Mann unter Religion verstehe – Judentum, Islam, Katholizismus oder Protestantismus etc. – sei als verschiedene Arten von Glauben zu verstehen, nicht als unterschiedliche Religionen. Diese verschiedenen Glauben seien historischer Art und sehr konfliktanfällig. Bei Religionsstreitigkeiten und –kriegen ginge es in erster Linie immer um diesen sogenannten Kirchenglauben – den historischen Glauben.
Aber er verstehe Ihren Einwand und meint ergänzend, dass der historische Glaube zwar nie gegenüber dem Vernunftglauben überhand nehmen dürfe, ihn zu vertilgen aber auch nicht ratsam sei, „weil dadurch vielleicht dem Staate noch gefährlicher Atheism hätte entstehen können.“56 Der historische Glaube, der zwar manchmal den Hang zum Aberglauben habe, sei wichtig für das gemeine Volk. Es müsse aber klar zwischen Vernunftglauben und historischem Kirchenglauben unterschieden werden. Der Vernunftglaube beinhalte den guten Lebenswandel des Menschen und müsse allen Menschen durch ihre eigene Vernunft klar und überzeugend vorgelegt werden können. Er bedürfe keiner persönlichen Erfahrungsbestätigung oder Offenbarung. Jeder Mensch könne СКАЧАТЬ