Das Anthropozän lernen und lehren. Группа авторов
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СКАЧАТЬ nahezu aller Lebensbereiche. Manche sehen hier Konkurrenz mit anderen Fächern, etwa der Humangeographie, der Humanethik oder auch der Geoethik, wieder andere lehnen das Anthropozän-Konzept gänzlich ab, da es ihnen als ideologische Weltanschauung oder gar Selbstermächtigungsauftrag gegen die Natur erscheint, was in Teilen durchaus zu diskutieren ist, in anderen Teilen allerdings als Strohpuppenargumentation entlarvt werden kann. Der Autor sieht, genauso wie die überwiegende Mehrzahl der Wissenschaftler/innen, das Anthropozän nicht als Konkurrenz, sondern als verbindende, integrative Ergänzung zu existierenden Fächern, betont die Faktenbasiertheit der analytischen Befunde und fasst auch die konsequentiale Metaebene des Anthropozäns nicht als neue Weltanschauung, sondern als neuen, integrativen Blick auf diese Welt auf. Vogt (2012) ist allerdings recht zu geben, wenn er betont, dass eine „Bildungsethik“ zur Nachhaltigkeit nicht zu einer politisch-ökologischen Funktionalisierung missbraucht werden darf. An diesem Anspruch müsse sich eine entsprechende Bildungsethik messen lassen. Vogt geht es vor allem darum, wie das Konzept der Nachhaltigkeit zu methodischen und inhaltlichen Innovationen von Bildung beitragen kann. Eine derartige Bildung ist demnach „nicht Mittel zur Umsetzung vorgegebener Ziele, sondern Medium der Auseinandersetzung mit ihnen“ (op.cit.). Eine Beziehung von Bildung und Ethik könne auch direkt aus dem Konzept der Nachhaltigkeit abgeleitet werden, denn dieses Konzept „hat nicht den Charakter eines definitiv vorgegebenen Zieles, sondern den eines offenen pluralen Suchprozesses“ (op.cit.).

       3.1.1 Analyse und Diskussion von Ausredemechanismen für Nichtstun

      Das Thema anthropogene Umweltveränderungen gehört einerseits zu den besonders schwer behandelbaren Bildungsthemen. Zum Ersten sind die Zusammenhänge komplex, zum Zweiten ist vieles davon nicht direkt sichtbar, da nicht nur Treibhausgase, sondern auch Biodiversitätsbeeinträchtigungen, Überdüngung, Pestizidgebrauch oder Effekte von Gewässerregulierungen nicht sofort erkenntlich sind. Zum Dritten scheinen für Ursachen und Lösungen oftmals andere zuständig zu sein. Obwohl Klima-, Biodiversitäts- und Landnutzungskrise also hinreichend bekannt sind und auch eine große Toolbox technologischer, sozialer und wirtschaftlicher Lösungsmöglichkeiten verfügbar ist (z.B. WBGU 2011), stehen nach wie vor insbesondere die Diskussion der „richtigen“ Lösung sowie – damit verbunden – gegenseitige Schuldzuweisungen im Vordergrund. Populistische Strömungen, verstärkt durch die Echokammern der sozialen Medien, nutzen derartige Mechanismen und erreichen dadurch zunehmende Spaltungen in der Gesellschaft. Die bewussten und unbewussten Benutzer der vielfältigen Ausredemechanismen können heuristisch in Relativierer, Fatalisten und Zyniker, Verantwortungsexternalisierer sowie „Ja, aber …“-Argumentierer eingeteilt werden (Abb. 5; siehe auch Leinfelder 2013b, 2015, 2018).

Illustration

       Abbildung 5: Häufige Ausredemechanismen bei Umwelt- und Anthropozän-Themen (nach Leinfelder 2013, 2018)

      Ein beliebtes Beispiel aus Deutschland sei näher ausgeführt. Die durchaus korrekte Aussage „Deutschland ist nur für 2 % des globalen anthropogenen CO2-Ausstoßes verantwortlich“ nutzen viele für ein bequemes Zurücklehnen oder auch ganz bewusst, um Dekarbonisierungsbemühungen zu verlangsamen, erst einmal abzuwarten oder gar ganz auszubremsen. Diese Strategie wird in der Psychologie als Bystander-Effekt (Latané & Darley 1970) bezeichnet. Sie erzeugt pluralistische Ignoranz und daraus resultierend Verantwortungsdiffusion (sensu Katz & Floyd 1931).

      • Deutschland hat nur 1,1 % der Weltbevölkerung, aber 2,23 % des anthropozänen CO2-Ausstoßes, also mehr als das Doppelte. (Entsprechend hat Österreich nur 0,1 % der Weltbevölkerung, aber 0,24 % des globalen Ausstoßes, ebenfalls mehr als das Doppelte.)

      • Der jährliche CO2-eq-Fußabdruck in Deutschland beträgt 9,15t/Kopf, in Österreich 8,16t/Kopf, in Indien 1,94t/Kopf, im Kongo 0,3t/Kopf.

      • Deutschland steht auf Platz 6 der Länder mit dem höchsten aktuellen CO2-Ausstoß. Unter Berücksichtigung der historischen Verantwortung seit 1750 steht Deutschland sogar auf Platz 4 aller Länder bei CO2-Ausstoß.

      • Alle Länder, die gleich viel oder weniger als Deutschland ausstoßen – also auch Österreich –, verursachen zusammen 36 % aller Treibhausgase.

      • Im Schnitt stößt jedes der etwa 200 UN-Länder 0,5 % aller Treibhausgase aus, damit läge Deutschland schon ein Vierfaches über diesem Durchschnitt.

      Nach diesem Muster kann so ziemlich alles „zerteilt“ werden, etwa der Treibhausgasausstoß im Flugverkehr, beim Autoverkehr, für die Internetnutzung und alle weiteren THG-relevanten Sektoren. Heruntergebrochen werden kann noch viel tiefer, etwa auf Bundesland, einen Landkreis, eine einzelne Stadt, bis hinunter zum einzelnen, so dass nach dieser Taktik letztendlich niemand verantwortlich ist.

      Noch einfacher ist es natürlich, die Wissenschaften insgesamt zu diskreditieren und ihnen unlautere Absichten zu unterstellen. In einer weit verbreiteten Variante ist dies die Strohpuppenargumentation, also das Aufstellen von Behauptungen, die zwar für viele plausibel klingen mögen, aber keiner Überprüfung standhalten. Publikumswirksam lässt sich aber dann entlang dieser „Strohpuppe“ argumentieren. In einer Linie dazu, allerdings in einer extremeren Spielart, stehen die Verschwörungstheorien, bei denen ein ganzes Netz von in den Raum gestellten Behauptungen flankiert wird durch eine übergeordnete falsche Erzählung, dass das Establishment, bestimmte Wirtschaftszweige, die Medien, der ganze Staat oder gar alle Geheimdienste und Regierungen dieser Welt sich dazu verabredet hätten, dies alles geheim zu halten.

      Möglichkeiten für den Einbau dieses insbesondere auch Medienkompetenz fördernden Themas in den Unterricht gibt es viele:

      • Vorstellbar wären etwa ein spielerisches „Sich selbst den Spiegel-Vorhalten“ (vgl. Abb. 5), etwa mit folgenden Fragen: Welche Ausreden lasse ich mir immer so einfallen? Welche glaube ich auch selbst, warum eigentlich? Warum gefällt mir dies oder jenes, habe ich das selbst entschieden? Habe ich für dies alles eigene Beispiele auch aus dem Umweltbereich?

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