Das Anthropozän lernen und lehren. Группа авторов
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СКАЧАТЬ Bereichen immens (siehe Abschnitte 3.1.3, 3.2.2). Damit vergrößerte sich nicht nur die „geographische Kraft“ der Menschheit (vgl. ArchaeoGlobe Project 2019) – die Ausweitung der Industrialisierung legte auch die Grundlagen dafür, dass der Mensch zunehmend zur erdsystemaren Kraft wurde. Es dauerte aber noch bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts, bis sich – insbesondere auch durch die Nutzung von Erdöl und Erdgas – diese Prozesse so beschleunigten, dass in allen Erdsystemsphären, darunter auch der Lithosphäre, neue Geosignale dauerhaft überliefert wurden. Die „Große Beschleunigung“ machte die Menschheit damit nicht nur zum „erdsystemaren Faktor“, sondern eben auch zum „geologischen Faktor“.

Illustration

       Abbildung 4: Geographische Einordnung der wichtigsten Kippelemente im Erdsystem. Die Kippelemente lassen sich in drei Klassen einteilen: Eiskörper, sich verändernde Strömungs- bzw. Zirkulationssysteme der Ozeane und der Atmosphäre und bedrohte Ökosysteme von überregionaler Bedeutung. Fragezeichen kennzeichnen Systeme, deren Status als Kippelement wissenschaftlich noch nicht gesichert ist. Quelle: PIK https://www.pik-potsdam.de/services/infothek/kippelemente, Creative Commons BY-ND 3.0 DE Lizenz

      • In den Sedimenten aller Ablagerungsbereiche (darunter Tiefsee, Flachmeere, Korallenriffe, Küsten, Flussmündungen, Seen, Böden), aber z.T. auch in Tropfsteinen und Baumringen finden sich ab dieser Zeit eindeutige, weitverbreitete und meist dauerhaft überlieferbare „Technofossilien“ bzw. weitere Geosignale. Dazu gehören Fragmente von Beton, elementarem Aluminium, Plastik, Flugasche aus industriellen Hochtemperaturprozessen, radioaktive Niederschläge aus Atombombenversuchen, Schwermetalle wie Blei, aber auch Pestizide und andere chemische Substanzen sowie Isotopensignal-basierte und direkte Messung atmosphärischer Gehalte an Kohlendioxid, Methan und Stickoxiden im Eis bzw. Gasblasen von Eiskernen (Waters et al. 2016, 2018, Zalasiewicz et al. 2016, 2017a, 2019a).

      • Durch eine derartige isochrone Definition des Anthropozäns ist dessen Anbindung an historische und archäologische Archive möglich, so dass etwa Historiker/innen zusätzliche, nicht durch Menschen eingerichtete Sedimentarchive mit ihren eigenen perfekt verbinden können (vgl. Leinfelder 2017a, 2019b, Zalasiewicz et al. 2017b).

      • All die anderen Vorstufen sind natürlich für das Prozessverständnis – und damit ggf. auch für Unterrichtszwecke – sehr wesentlich, erlauben sie doch die Verknüpfung anthropologischer, umwelthistorischer und gesellschaftlicher Entwicklungen mit der erdgeschichtlichen Entwicklung (z.B. Zalasiewicz et al. 2017b, weitere Beiträge in Clark & Yussof 2017, siehe auch Hamann et al. 2014). Diese diachrone Vorstufe der sedimentären Entwicklung hin zum Anthropozän kann – im archäologischen Sinne – auch als Archäosphäre bezeichnet werden (Edgeworth 2013, Zalasiewicz et al. 2019b). Eine weitere Möglichkeit wäre, von einer präanthropozänen Übergangseinheit („pre-anthropocene transitional unit“) zu sprechen (z.B. Leinfelder 2019a).

      Die beiden erdsystemaren analytischen Ebenen des Anthropozäns lassen sich thematisch auch aufgrund ihres interdisziplinären und prozessbasierten Charakters gut in den Schulunterricht integrieren. Auch der Einbau in den fachspezifischen Unterricht ist hier gut möglich (Klimawandel, Landnutzung, Süßwasser, Ozeane, Stoffkreisläufe, Geschichte etc.; siehe Abschnitt 3.).

      2.2 Die konsequentiale Metaebene – Komplexitäten begreifen, Verantwortung übernehmen, Lösungsansätze mitentwerfen, Future Literacy fördern

      Das oben skizzierte Ausmaß der anthropogenen Umweltveränderungen, deren Wechselwirkungen und die daraus resultierenden erdsystemaren Auswirkungen, aber auch der historische und dynamische Aspekt der Entwicklung hin zum Anthropozän erscheinen als geeignete Ausgangsbasis, um mögliche Lösungsansätze, aber auch Herausforderungen und Hindernisse auch im Schulunterricht zu thematisieren. Insbesondere eignet sich die Vernetztheit der anthropozänen Abläufe gut dazu, von einfachen „Richtig-Falsch“-Lösungen wegzukommen, gesellschaftliche und mediale „Filterblasen“ zu hinterfragen, partizipatives, kreatives und systemisches Denken und Handeln einzuüben und „Future Literacy“ zu erwerben. Dies steht in Übereinstimmung mit der sich aus den analytischen Konzeptebenen ableitenden und derzeit ebenfalls stark beforschten konsequentialen Metaebene des Anthropozän-Konzepts (sensu Leinfelder 2017a).

      Diese konsequentiale Metaebene des Anthropozäns kann an einer Hypothese festgemacht werden: Die zur erdsystemaren und geologischen Kraft gewordene Menschheit, welche – jeweils in sehr unterschiedlichem Ausmaß und Verantwortung (siehe Allen et al. 2018) – das Erdsystem an den Rand eines möglichen Kippens gebracht hat, sollte umgekehrt auch in der Lage sein, nun wissensbasiert und das Vorsorgeprinzip beachtend ihr Handeln so zu gestalten, dass die Menschheit zu einem integrativen Teil eines funktionsfähigen anthropozänen Erdsystems wird. Dies wäre als Grundlage gerechter Entwicklungschancen für gegenwärtige und künftige Generationen zwingend notwendig. Diese Hypothese basiert darauf, dass sich die Menschheit als integrativen Teil des Erdsystems begreift, um besser zu verstehen, dass wir nicht vom Erdsystem, sondern nur mit dem Erdsystem leben können. Um dies bildlich auszudrücken: Erträge einer gut geführten Stiftung können dauerhaft genutzt werden. Sobald man allerdings kräftig in das eingelegte Stiftungskapital greift, wird die Stiftung rasch finanziell kollabieren. Auch das Erdsystem wirft genügend verwendbare Ressourcen ab, um damit grundsätzlich ein gutes Leben für die ganze Menschheit zu ermöglichen, allerdings nur, wenn die „Stiftung Erde“ gut geführt und nicht übernutzt wird. Aus diesem Verständnis heraus resultiert förmlich eine Aufforderung zu anthropozänem (Um-)Denken und Handeln in sehr weiten Bereichen: Politik oder Wirtschaft alleine können eine erdsystemische Integration der Menschheit nicht gewährleisten, da gerade auch individuelles und regionales Handeln in der Summe globale Auswirkungen hat. Daher sind alle zu einer verträglichen, nachhaltigen Nutzung der Erde verpflichtet. Der derzeitige „Parasitismus“ des Menschen an der Natur müsste sich wandeln zu einer echten Symbiose von Mensch und Natur, im Sinne eines gegenseitigen Nutzens (Leinfelder 2016a, 2017b, 2018, auch für Textauszüge).

      3. Neue Weltsicht Anthropozän – mögliche Anwendungen für den Unterricht – einige Anregungen

      Nicht nur die analytischen Ebenen, sondern insbesondere auch die konsequentiale Metaebene des Anthropozäns eignen sich hervorragend, um im fachspezifischen, fächerübergreifenden und projektbasierten Unterricht fachliche Bildung mit gesellschaftlichen Fragen zu verbinden. Daraus ergeben sich vielfältige Möglichkeiten, ethische, kommunikative, partizipative und lösungsorientierte Aspekte in unterschiedlichen Kontexten und Formaten zu erarbeiten, Lehren und Lernen wechselseitig zu verknüpfen, und insgesamt eine verbesserte „Future Literacy“ („Zukunftskompetenz“) einzuüben. Im Nachfolgenden sollen einige Möglichkeiten dazu in allgemeiner, teilweise auch konkreter Weise angeregt werden.

      3.1 Ethische Aspekte im Anthropozän

      Ethik in der Umweltbildung betrifft ein weites Feld. Ethische Fragestellungen ergeben sich thematisch СКАЧАТЬ