Das Anthropozän lernen und lehren. Группа авторов
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СКАЧАТЬ Ärzte- und Pflegepersonals aus Italien. Kaum bekam man aber die Krise wegen der vielen Maßnahmen besser in den Griff, wurden Stimmen laut, alles sei ja wohl gar nicht so schlimm und insbesondere die Wirtschaft dürfe darunter nicht leiden. Dies mündet (mit Stand Mai 2020) in der Aufforderung, möglichst rasch zum Business as usual zurückzukehren, auch hinsichtlich unserer Freizeit, unseres Konsumverhaltens, unseren sozialen Gepflogenheiten. Warnenden Stimmen aus der Wissenschaft werden vereinzelte andere Stimmen von Experten oder auch nur solchen, die sich dafür ausgeben, entgegengesetzt. Statt eines gesellschaftlichen Diskurses über das weitere sowohl politische als auch gesamtgesellschaftliche und persönliche Vorgehen und Verhalten kommt es vielmehr zu Externalisierungen, die einen selbst freisprechen. Zunehmend viele sind dabei auch anfällig für „Fake News“ bis hin zu extrem kruden, oftmals sogar menschenverachtenden Verschwörungstheorien. Aber auch ohne extreme Spielarten ist die in der Psychologie als Verantwortungsdiffusion bezeichnete Entschuldigungs- und Externalisierungsstrategie in leider fast allen Problemarealen und Maßstäben möglich – vom Land zum Bundesland zur einzelnen Stadt, bis hin zu sich selbst. Sowohl hinsichtlich des Verhaltens in der SARS-CoV-2-Krise als auch bei den Klimaaspekten geschieht dieses persönliche Herunterbrechen etwa bei der Nutzung von Flügen, des Autos oder des Internets. Im Endeffekt muss damit keiner verantwortlich sein.

      Besonders deutlich wird in „Corona-Zeiten“ aber auch das Präventionsparadox. Wenn Maßnahmen zur Kriseneindämmung gelockert werden, ist schnell konstatiert, dass eben diese Maßnahmen übertrieben waren und eigentlich vor allem negative Auswirkungen gehabt hätten. Hätte man die Maßnahmen aber nicht durchgeführt, wäre den Verantwortlichen Versagen vorgeworfen worden. Ähnlichkeiten zum Diskurs bei der Umweltkrise gibt es, etwa beim Waldsterben der 1980er-Jahre. Hier ist heute selbst von manchen Wissenschaftlern/Wissenschaftlerinnen im Nachhinein immer wieder noch zu hören, dass der Wald ja doch nicht abgestorben sei, wie damals für weiteres Nichtstun prognostiziert wurde. Tatsächlich nahm aber der überwiegend ursächliche saure Regen durch die Etablierung geeigneter Filtermaßnahmen bei Kraftwerken und Verbrennungsanlagen extrem ab, was auch die Regeneration des Waldes bewirkte, auch wenn andere Schädigungen, insbesondere die intensive Waldbewirtschaftung, das Problem zusätzlich verschärft hatten. Oftmals allerdings wird das Präventionsparadox auch umgedreht. So wird vorab insinuiert, dass Maßnahmen, die ja zu einem guten Teil noch gar nicht getroffen wurden, katastrophale Auswirkungen auf die Wirtschaft und damit die Gesellschaft haben würden und man deshalb lieber nichts oder nur wenig oder nur sehr langsam tun sollte (siehe Abschnitt 3.1.1).

      Dies führt uns zu einem wesentlichen Unterschied zwischen SARS-CoV-2-Krise und Anthropozän-Krise – der Frage der Zeitskala. Zwar sind beide Krisen – in all ihrer regionalen Differenziertheit – auch räumlich global, allerdings ist der zeitliche Maßstab doch ein sehr unterschiedlicher: SARS-CoV-2 breitet sich innerhalb von Tagen und Wochen aus und bedarf der Beobachtung sicherlich auch über viele Monate, wenn nicht gar Jahre. Aber die Krise begann jetzt und ist für jeden direkt – durch Erkrankung – oder indirekt – durch die einschränkenden Maßnahmen – spürbar. Die Klimakrise und andere Umweltkrisen sind aber überwiegend nicht bzw. kaum sichtbar oder – von Extremwetterereignissen abgesehen – spürbar. Bei gut sichtbaren Auswirkungen, wie beim extremen Zurückgehen von Insekten oder dem drohenden weiteren Verlust von Korallenriffen, erscheinen sie nicht von direkter Relevanz für uns – eine enorme Fehleinschätzung.

Illustration

       Abbildung 1: Ausmaß anthropogener Veränderungen des Erdsystems – einige Beispiele (verschiedene Quellen, siehe 2.1)

      2. Das Anthropozän-Konzept im Kurzformat

      2.1 Die analytischen Ebenen des Anthropozäns

      Die erdsystemare Ebene des Anthropozän-Konzepts beschreibt und analysiert die Eingriffe der modernen Menschheit in die verschiedenen Erdsystemsphären. Erdsystemwissenschaften analysieren die Prozesse des Erdsystems, also das Zusammenspiel von Lithosphäre, Pedosphäre, Hydrosphäre, Biosphäre und Atmosphäre, dabei wird zunehmend auch der Einfluss des Menschen (Anthroposphäre als Summe aller Soziosphären) auf diese Natursphären und damit auf die Stabilität des Erdsystems analysiert (Abb. 2). Die festgestellten menschlichen Eingriffe sind inzwischen geradezu von unglaublichem Ausmaß (s. Abb. 1): Die Menschheit ist zu einem wesentlichen Erdsystemfaktor geworden. So verändert sie die feste Erdoberfläche, die Ozeane und die Atmosphäre massiv, dominiert regionale wie globale Wasser-, Sediment-, Klima- und Stoffkreisläufe, produziert gigantische Mengen an Technomaterialien aus Ressourcen der Erdkruste (Box 1), dezimiert die biologische Vielfalt enorm und homogenisiert – wie bereits eingangs angeführt – an deren Stelle die Lebewelt durch Dominanz der von ihr gezüchteten Nutzpflanzen und Nutztiere sowie durch das bewusste oder unbewusste Verbringen regionaler Organismen über den ganzen Globus (z.B. Barnosky СКАЧАТЬ