Название: Rosenhain & Dschinnistan
Автор: Christoph Martin Wieland
Издательство: Bookwire
Жанр: Книги для детей: прочее
isbn: 9788027225477
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Tante und Nichte besprachen sich noch über diese seltsamen Ereignisse, als der ersten ein Brief gebracht wurde, der ihr ankündigte, daß sie durch den plötzlichen Fall eines der ersten Handelshäuser in der Hauptstadt um den größten Teil ihres Vermögens gekommen sei. Die gute Dame klebte noch zu stark am Irdischen, als daß ihr eine solche Nachricht hätte gleichgültig sein können, und die Reihe war nun an der Nichte, die jammernde Tante zum Vertrauen auf den guten Willen der Feen aufzufodern. »Wem geht es schlimmer dabei als dir?« sagte die Alte; »ich habe wenig Ansprüche mehr an die Welt; du allein dauerst mich. Aber ich glaube wirklich, du wärest leichtsinnig genug, wenn die Feen es auf deine Wahl ankommen ließen, deine Pockennarben und Leberflecken mit meinem ganzen Vermögen abzukaufen.«
Man mußte nun auf große Einschränkungen denken; denn außer dem Gute Eschenbach, dessen Ertrag nicht sehr beträchtlich war, blieb unsern beiden Damen nichts als die alte Burg und was etwa an Silbergeräte, Kleinodien, vergoldeten Pokalen, alten Schaupfennigen und dergleichen von Großmüttern und Ältermüttern auf sie vererbt worden war. Mit allem diesem war Rosalie freilich keine reiche Erbin mehr, und der edle Ritter Alberich, der sehr lebhaften Anteil an diesem neuen Unfall nahm, mußte gestehen, daß es ein hartes Schicksal für die liebenswürdige Rosalie sei, an einem und demselben Tage Schönheit und Vermögen zu verlieren. Er ließ es indessen vorderhand nicht an schönen Trostgründen fehlen, womit er sich aus einer alten Übersetzung des Seneca bewaffnet hatte; und wiewohl er sehr ernstlich auf seinen baldigen Abzug bedacht war, so hatte er doch zuviel Artigkeit und Gefühl des Schicklichen, um das Schloß, wo ihm seit einigen Tagen ein Zimmer eingeräumt worden war, auf der Stelle zu verlassen. Dieser Umstand gab ihm Gelegenheit, seinen Charakter in einem noch blendendern Lichte zu zeigen.
Der Unstern der Damen von Eschenbach hatte seinen höchsten Punkt noch nicht erreicht. In der Nacht, die auf diesen Unglückstag folgte, kam, um die Zeit, da alles im ersten Schlafe lag, Feuer im Schloß aus. Die Flamme griff schnell um sich, und die winklichte altfränkische Bauart dieser Ritterburg machte die Gefahr der Bewohner um soviel größer. Der edle Alberich, des klugen Spruchs eingedenk: »Jeder ist sich selbst der Nächste«, war der erste, der – seine eigene Person in Sicherheit brachte; doch vergaß er nicht, beim Abschied den kopflos durcheinanderrennenden Bedienten die Rettung ihrer Gebieterinnen bestens zu empfehlen. Für das Fräulein hatte bereits eine große, majestätische Frau gesorgt, die gleich anfangs, als das Feuer ausbrach, von mehrern gesehen worden war, wie sie die widerstrebende Rosalie auf ihren Armen davontrug und sie durch die Versicherung zu beruhigen suchte, daß für die Tante bereits gesorgt sei. Dies schien indessen keineswegs der Fall zu sein. Denn während die Hausbedienten (wie in solchen Fällen gewöhnlich ist) beschäftigt waren, die geringfügigsten Sachen zu retten, hatte das Feuer das Schlafzimmer der alten Dame ergriffen, die, vom Rauch halb erstickt, um Hülfe schrie, ohne daß jemand den gefährlichen Versuch wagen wollte, sie den immer näher zuckenden Flammen zu entreißen.
In dieser äußersten Not kam plötzlich ein keuchender Jüngling herbeigerannt, der sich mit Armen und Beinen durch das Gedräng Platz machte und, in ein um sich her geschlagenes nasses Tuch gehüllt, sich in den brennenden Flügel des Schlosses stürzte. Es war kein andrer als der bescheidene, schüchterne Hulderich, der aber bei Gelegenheiten, wo die meisten Herz und Kopf verlieren, die Besonnenheit und den Mut eines Helden zeigte. Jedermann schrie ihm zu, daß er verloren sei, und sein alter Vater, der mit Gewalt zurückgehalten werden mußte, ihm nicht zu folgen, rang die Hände in trostlosem Jammer – als Hulderich, mit der alten ohnmächtigen Dame im Arm, so unbeschädigt aus dem Feuer zurückkam, daß auch nicht ein Haar an seinem lockichten Haupte versengt war. Im nämlichen Augenblick erlosch das Feuer auf einmal von sich selber, wiewohl zu spät, als daß, außer den Schloßbewohnern, etwas anders als die dicken steinernen Mauern und einige angebrannte Balken von der ganzen Burg übriggeblieben wäre.
Die gerettete und gleichfalls völlig unversehrte Dame wurde sogleich in die benachbarte Pachterswohnung getragen, wo Rosalie mit ihren Kammerleuten und Hulderich mit seinem Vater geschäftig waren, sie zu sich selbst zu bringen, zu pflegen und zu trösten, soviel in ihrem Vermögen war. Das letztere gelang ihnen um so leichter, da die alte Dame, gegen alles Erwarten, eine Standhaftigkeit und Ergebung zeigte, die den Anwesenden ebensoviel Ehrfurcht als Mitleid einflößte. Sobald sie wieder zu sich selbst kam, war ihre erste Frage: »Wo ist Alberich?« – »Vermutlich bei gutem Wohlsein«, sagte einer der Hausbedienten; »sobald er ›Feuer‹ rufen hörte, warf er sich in seine Kleider, eilte in den Stall, sattelte seinen Gaul eigenhändig und sprengte in vollem Galopp zum Tor hinaus.« – »Ohne sich um uns zu kümmern?« rief die Dame. »Um Verzeihung«, sagte ein anderer; »er empfahl uns, als er fortritt, sehr nachdrücklich, uns unsrer Gebieterinnen anzunehmen.«
»Und wem bin ich denn meine Rettung schuldig?«
»Hulderich«, sagte Rosalie errötend und mit Tränen im Auge, »Hulderich wagte sein Leben für Sie.«
Die alte Dame schlug die Augen starr zum Himmel auf und schien auf einige Augenblicke Bewegung und Sprache verloren zu haben; sie faßte sich aber bald wieder, um sich mit sichtbarer Rührung nach ihrem Retter umzusehen, der sich in einer Ecke des Zimmers hinter andere verborgen hielt und von den Lobsprüchen und Danksagungen, die ihm seine Tat von allen Seiten zuzog, eher beschämt und gekränkt als geschmeichelt schien.
Hulderichs Vater entfernte itzt, außer Rosalien und seinem Sohn, alle übrigen aus dem Gemach, warf sich dann der Frau von Eschenbach zu Füßen und bat sie, mit einer Herzlichkeit, welche Rosalien bis zu Tränen rührte, von diesem Augenblick an alles, was er besitze, als ihr Eigentum anzusehen. »Meine Voreltern und ich selbst«, sagte er, »haben das meiste im Dienst Ihrer guten Vorfahren erworben; Ihnen sind wir alles schuldig, und ich fühle mich glücklich, daß ich itzt imstande bin, einen Teil unsrer alten Schuld abzutragen.«
Innig gerührt von der Biederherzigkeit des wackern Alten und von so mancherlei unerwarteten Ereignissen gepreßt, beantworteten Frau von Eschenbach und ihre Nichte dieses Anerbieten, wie man von edeln Seelen erwarten kann, die von keiner falschen, zur Unzeit stolzen Scham verhindert werden, die natürliche Gleichheit zu erkennen, die zwischen edelgesinnten Menschen alle Ungleichheit der Geburt und des Standes verschwinden macht, aber unfähig sind, von einem allzu großmütigen Anerbieten Gebrauch zu machen, und ihre Bedürfnisse nach ihren Umständen zu regeln wissen.
Inzwischen fühlten sich beide Damen von dem, was sie Hulderichen schuldig waren, noch unendlichmal mehr gerührt und beklemmt als von dem edeln Benehmen seines Vaters. Seiner Entschlossenheit, seiner Selbstaufopferung hatte die Tante ihr Leben, Rosalie die Erhaltung ihrer zweiten Mutter zu danken. Womit konnten sie ihm eine solche Wohltat vergelten? Es war unmöglich; aber gleich unmöglich, unter der Bürde einer solchen Verbindlichkeit zu leben. Beide sprachen öfters hierüber miteinander, ohne zu einem Ausweg gelangen zu können.
»Hulderich«, sagte die Base einst zur Nichte, »scheint etwas für dich zu empfinden, das er in seinem innersten Herzen verschlossen trägt.«
»Fast glaube ich es selbst, liebe Mutter«, erwiderte Rosalie. »Wenn er von Geburt wäre...«, murmelte die Alte in sich hinein, als ob sie sich nicht getraute, ihren Gedanken ganz auszusprechen.
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