Название: Die Musikantenstadt
Автор: Max Geißler
Издательство: Bookwire
Жанр: Документальная литература
isbn: 9788711467701
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Zehn Jahre nach dieser Zeit war die Steinhöferin gestorben, und sie hatte den Pechschaberleuten das Haus am Hange vermacht, weil sie die Alte in der langen Zeit gepflegt hatten, in der sie auf dem Stroh lag und des Todes wartete. So gut hat’s die Annemirl mit der alten Frau gemeint, dass die sagte, ihrtag sei es ihr nicht so wohl geworden, und es sei nur schad, dass ihre Geschichten schon vor ihr gestorben seien; sie habe da noch allerlei wunderlich Ding erlebt; wisse, wie man reich werden könne, und wo im Wald der Brunnen sei, durch den der Weg in die silbernen Tiefen der Erde führe, die voll glänzender Schätze lägen.
Weil sie das den Pechschaberleuten nun nicht alles mehr verraten könne, so sollten sie ihr Haus und das Stücklein Bergwiese zum Lohne nehmen, das aber weniger wertvoll sei als das, was sie ihnen gern gegeben hätte.
Wie sie das sagte, trat die Bärbel in die Stube. Die Sommersonne strömte ihren abendlichen klaren Schein durch die Fenster, und es war, als wolle sie der alten, müden Frau eine goldene Brücke bauen, auf der sie hingehen könne, weit hin, bis wo das Glück wohnt und die tiefe, ewige Stille.
Auf der goldenen Brücke ist die Steinhöferin an diesem Abende gegangen. Da hat ihr die Annemirl die Augen zugedrückt, und die Bärbel, der das Steinhofhaus hätte zufallen müssen, hat alsbald zu den Pechschaberleuten gesagt:
„Leut’, es bleibt so, das Steinhofhaus gehört euch seit der vorigen Stunde zu. Eine Verbriefung brauchen wir nicht; denn wenn das Wort nicht mehr gilt und zu allem eine Verbriefung gehört, hernach — so haben wir die schlechte Zeit im Waldlande.“
Das ist die Geschichte, wie der Pechschaber ein Hausbesitzer geworden ist, — geschehen zehn Jahre nach seinem Einzug in den Steinhof.
„Annemirl,“ hat der Mann gesagt, „wie einer reich werden kann, hätt’ sie gewusst? Das wüsst’ ich fei selber; aber eine Gelegenheit dazu kommt einem nicht! Darum: Der Steinhof ist mir schon lieber als der Steinhöferin ihre wunderliche Wissenschaft.“
Die zehn Jahre hatten dem Pechschaber ein feines Silber in die Haare geblasen.
„Es weht auf dem Gebirg ein Reifwind,“ lachte der Mann, wie er die Spuren des Alters bemerkte und deutete dabei auf seinen angegrauten Schopf, „und es sind Örter im Wald, wo um Mittsommer ein Winterschnee liegt.“
Um diese Zeit hatte sich das Musikantenpaar im Haus am Stein, das der Pechschaber einst sich gewünscht hatte, schon längst eingestellt; zuerst war das Mägdlein gekommen. Das hiess Annemarie, wie die Mutter.
Wie die Kleine die Dinge um sich herum erkannte und der Pechschaber sie in übermütigem Glück vorzeitig auf seinem Knie reiten liess, legte er das verstaubte Blasrohr, eine Kartoffel und einen Tannenzweig vor ihr auf den Tisch; denn sie wollten den Vorhang ein wenig heben und dem Leben in die Karten gucken. Hätte die kleine Annemirl nach dem Zweige gegriffen, wär’ sie eines Holzhauers Weib geworden; die Kartoffel hätte verraten, dass ein armer Waldbauer sie einst zur Frau begehre, — ein reicher wohnt nicht im Gebirg. Aber sie langte nach des Pechschabers Flöte.
Da machte der Girgl einen schallenden Lacher, und die Annemirl hob das Kleine in jauchzender Lust hoch. Aber der Pechschaber stellte sich in komischem Ernst vor das Kind hin und drohte mit dem Finger:
„Du,“ sagte er, „das Musikantentum haben wir uns löblicherweis abgewöhnt, hörst du? Wenn du leicht noch eine Erinnerung an die vorige Zeit in dir hast, so wär’s schon gut, du schlagetest sie dir aus dem Sinn!“
Er redete so laut, dass ihn das Kind auf dem Arme der Mutter nicht mehr verstand. Es schaute fremd in seine dunklen Augen und verzog die Lippen zum Weinen.
War nun auch schon länger als neun Jahr her, seitdem das geschehen! Und die Pechschaberleute hatten’s vergessen.
Hernach hatte sich noch ein Büblein ins Haus am Stein gefunden, ein schwarzhaariger blankäugiger Junge: hiess Georg, wie der Vater, und ward der ‚Pechschaberbub.‘ Der war in diesem Jahre neun, und seine Schwester, die ‚Singerannemirl vom Steinhof‘ ward nun zehn Jahre alt. Und weil ihr der kleine Prophet (das war der, den die Bärbel an jenem Morgen, an dem das mit dem Grenzwächter geschah, in Tücher gehüllt zum Steinhof getragen hatte) nicht viel vorgab, so ging er nun mit dem Mägdlein auf die Bergau, die Ziegen hüten. Sie freuten sich miteinander an den weichen Läuteglocken, die zwischen den Weiderosen um die Steine schwankten. So hatten’s auch seine Eltern getan, — der Prophet und die Bärbel vom Steinhof — wie sie noch Kinder gewesen waren.
Der schwarzhaarige Pechschaberbub aber ging derweil Holz lesen, oder er war mit seinem Vater im Walde Stöcke roden. Er hieb mit seiner Axt schon in die Wurzeln wie ein Mann und wälzte seinen gerodeten Baumstumpf auf der Baumwiese hernieder wie ein Mann. Der Pechschaber hatte ihn hart gehalten; denn das Leben ist Kampf, auch im tiefen Frieden der Wälder, wo die Menschen noch nicht gegeneinander stehen in scheeläugiger Selbstsucht.
13.
In diesem Sommer war kein Regen gefallen. Seit der letzte Schnee im Mai vor den Schwalben hergetrieben war, hatte der Himmel in gleichmässigem heiteren Blau über den dunkelgrünen Bergwäldern gestanden. Des Morgens lag siebenfarbiger Tau; noch klangen die Quellen aus dem Gestein, und das Wildwasser warf seinen blitzenden Staub zu leuchtenden Bogen und rauschte unter dem bunten Farbenspiel dahin in seiner jauchzenden Frühlingskraft.
Da hackten die Waldleute die Erdstreifen an den Hängen und legten die Kartoffeln hinein, oder sie säeten ein wenig Hafer. Dann warteten sie auf einen sanften Mairegen.
Aber der Regen kam nicht. Die blendende Glocke des Himmels wölbte sich zu unermesslicher Höhe; manchmal flog das weisse Segel einer Wolke herauf und verschwand. Dann stand wieder die heitere Bläue des Himmels. So geschah es Tag um Tag.
Da wurden die tausend Rinnsale der Wälder still.
Da minderte sich die schäumende Kraft des Waldbachs; und wie der Hochsommer über das Gebirge schritt, siechte ein hageres, gläsernes Wasser in seinem Bett, und war doch vordem ein gärendes weisses Brausen gewesen und ein Schäumen um moosgrüne, runde Felsblöcke; die lagen nun missfarbig und verdurstet in dem Bachbette.
Die Arme der Brunnen über den Trögen waren trocken und fielen nur noch Tropfen wie tauende Tränen.
Auf den Astspitzen des Jungholzes, auf denen der Mai lichtgrüne Kerzen angesteckt hatte, stand eine spröde, bräunliche Masse wie Reste von Docht oder wie Asche — die Kerzen waren verbrannt. Und auf den Feldstreifen am Berghang starrte das Kraut der Kartoffel, als wäre Feuer darüber geflogen.
Deshalb sassen die Leute mit suchenden Augen vor ihren Hütten und sahen gen Himmel, ob die Nacht regnen wolle. Aber es war nichts als blendender Glanz.
Siebzehn Wochen war der Quell der Wolke nicht gerieselt. Endlich gingen auch die Nächte ohne Tau über das Gebirg.
Nun sassen die Leute vor den Hütten mit gefalteten Händen und beteten in ihren Herzen. Der Pfarrer Andreas kniete auf der Kanzel des Wildkirchleins und schrie zum Himmel.
Aber Gott hörte nicht.
Der Sommer schritt weiter, und unter seinen Sohlen ward der Waldgrund Asche. Die Beeren waren an den Kräutern verdurstet; die bunten Schirme der Schwämme wurden nicht aufgespannt; denn es regnete nicht.
Da gingen die, die nichts hatten, zu denen, die wenig hatten, und assen mit ihnen. Sie gingen zu den Mühlen, die dort liegen, wo der Hang des Gebirges auf der Talsohle steht, und liehen sich Mehl, damit sie Brot backen konnten. Aber die Müller verteuerten ihre Waren; denn СКАЧАТЬ