Die Musikantenstadt. Max Geißler
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Название: Die Musikantenstadt

Автор: Max Geißler

Издательство: Bookwire

Жанр: Документальная литература

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isbn: 9788711467701

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СКАЧАТЬ befreite der Wächter seinen Mund von dem quälenden Knebel.

      „Nu sagen S’ mir nur, wie haben S’ das eigentlich angestellt, dass Sie sich da so niederträchtig fest aufgehängt haben?“

      Der Grenzwächter hatte mit dem Stiefel mühsam feuchte, kalte Erde aufgewühlt und kühlte damit seine schmerzenden Handgelenke. Aber er stammelte nur zusammenhanglose Worte. Da sagte der Pechschaber:

      „Was ich da versteh’, ist: Überfallen sein S’ worden. O mei’, o mei’! Jetzt, — ich werd Ihnen was sagen: Wenn Sie in dem Zustande bis zur Wachtstation laufen wollen, so kommen S’ unterwegs vollends um. Es ist von hier keine zehn Minuten, so sind wir beim Steinhof. Das Gebund Holz trag ich morgen heim und führ’ Sie, und Sie rasten sich beim Pechschaber ein wenig aus. Warm und satt müssen S’ erst werden, — und ich denke, auf beides wird’s bei den armen Pechschaberleuten schon noch reichen.“

      Daheim hat der Pechschaber dem wunden Mann die Gelenke mit Ameisenspiritus eingerieben, und die Annemirl hat ihm ein schwarzes Brot und einen Kaffee gegeben.

      „Sie,“ hat der Girgl zu ihm gesagt, wie der Mann dankbar den warmen Kaffee schlürfte, „heut kann ich Ihnen das schon verraten: Wenn ich das Säcklein Kaffee und das bisschen Zucker dazu im Sommer nicht gepascht hätte, da täten Sie jetzt heiss Wasser trinken.“

      Und wie sie dem Wächter, weil er in dieser Nacht nach den ausgestandenen Qualen nicht schreiten konnte, eine Strohbucht in die eine Ecke der Stube gebreitet hatten, damit er seine geschwollenen Glieder pflege, tat die Annemirl das Licht aus und legte sich zu Bett. Der Pechschaber war schon drin.

      „Sehen S’,“ sagte er zu dem Mann auf dem Stroh, „schlecht ist keiner von den Waldleuten, sonst wären Sie nicht so billig davongekommen. Aber arm sind sie — es ist nicht zum sagen! Und aus Niedertracht und Grausamkeit schleichen sie weder schwärzen noch wildern; aber ihr Leben müssen sie sich fristen; das müssen sie; denn der Herrgott hat ihnen zu leben geheissen.“

      Da seufzte der Grenzwächter noch einmal in seinem Schmerz und dachte, so ähnlich hätte er schon heut morgen reden hören.

      11.

      Bald darauf ist der Johann Bratel aus dem Kotter wieder ins Waldhaus heimgekehrt. Da hat er alles erfahren, was sie dem Grenzwächter seinetwegen angetan hatten. Er hat lange versonnen auf der Ofenbank gesessen — es waren ihrer viele in sein Haus gekommen — und hat nachgedacht. Dann hat er den Mund aufgetan:

      „Leut, es ist nicht gut, es ist aber auch nicht schlecht in jetziger Zeit!“

      „Schlecht genug, wenn einer unschuldig acht Tage eingesperrt wird!“

      „Hätt’ ich mich nicht fangen lassen, hätten sie mich nicht gehängt,“ gab der Heimgekehrte zurück. „Aber jetzt passt auf, jetzt sag ich euch eins: Wenn erst die Weiberleut im Waldgebirg sich behaben wie die Männerleut, und wenn auf sein ehrliches Wort keiner mehr ein Geld zu leihen kriegt, hernach, Leute, dann sind die schlechten Zeiten!“

      Er sagte das mit weiten, geheimnisvollen Augen und einer klaren, lauten Stimme. Da wurden sie alle still im Haus; denn sie sahen in sein bleiches Gesicht und dachten über das Wort nach. Und sie dachten, das geheimnisvolle, fernschauende Wesen habe er von dem schwarzen Kreuzmann geerbt, dem über dem Schachtelmachen auch allerhand wundersame Einfälle kämen. Deshalb hatten sie den Alten vor vielen Jahren zum Gemeindevorsteher gewählt. —

      Seit dem Tag, an dem der Johann Bratel den wunderlichen Ausspruch von den schlechten Zeiten getan hatte, vergassen sie seinen Namen und nannten ihn den ‚Propheten‘; das Büblein der Frau Bärbel aber, das die Pechschaberin vor einer Woche in süsser Ahnung künftiger Freuden geherzt hatte, war fortan ‚der kleine Prophet‘.

      Wie die Leute aus dem Gemeindevorsteherhaus dann hinausgingen in die wüste Spätherbstnacht, dachten sie der Prophezeiung nach und sagten zueinander: „Das müsste eine elende Zeit für das Waldland sein, wenn sich die Weiberleut wie die Männer gebärdeten, und wenn einer auf sein ehrlich Wort hin kein Stück Geld sich leihen könnte. Gott mag uns behüten, dass das kommt!“

      Die alte Steinhöferin aber, wie ihr die Pechschaberfrau an diesem Abend erzählte, was der Bärbel ihr Mann prophezeit habe, kreuzte die Arme vor der Brust und schloss die Augen. So lehnte sie eine Weile gegen die Kacheln. Dann sagte sie: „Leut, und ihr glaubt, dass der Schani das aus sich selber hätt’? Gott bewahr’ mich!“

      Und dann begann sie zu erzählen, wie sie einst als blutjunges Dirnlein mit anderen auf der Waldwiese im Reigen gesprungen sei, und wie da auf einmal drei kniehohe Menschlein zwischen ihnen gewesen seien. Das hätten ihr die Leute hundertmal ausreden wollen. Aber die alte Steinhöferin war deswegen hundertmal zornig geworden und dabei geblieben. Auch einmal, so erzählte sie, wie der Schani Bratel noch ein kleiner Bub gewesen ist, ist er daheim fortgelaufen. Wie die Nacht kam, haben ihn die Kreuzleut gesucht. Er blieb aber fort. Darüber hat sich die Steinhöferin besonnen: ‚Es ist ja heut Mittsommernacht, und in der Nacht steigen die Zwerge herauf wie damals auf der Waldwiese.‘ Da ist sie auf jene Au im Forst gelaufen, und richtig, auf einem Baumstumpf hat der Junge mit erstaunten, weltfremden Augen gesessen und hat ihr erzählt, er sei in einer schönen, glänzenden Zwergenstube gewesen. Darin war ein Licht wie untergehende Sonne, und ein fremder Mann, der hat ihm seinen Prophetenspruch damals schon gesagt. „Und nun,“ meinte die Steinhöferin, „nun ist ihm jene Weisheit wieder eingefallen. Aber aus sich selber hat er sie nicht. Wie kann denn ein Mensch so gescheit sein?“

      So ist der Prophet schon ein Sonderlicher gewesen, wie ihm noch das Hemdlein zu den Hosen herausgeschaut hat. Zu den anderen, die die muntere Keckheit und den fröhlichen Übermut vor ihren Lebenswagen gespannt hatten, damit diese beiden auf der steinichten Strasse sie leidlich durchs Leben führen, war dem Propheten der Weg seintag fremd geblieben. Dagegen hatte er gern einsam auf der sonnenheissen Waldlichtung gelegen und hatte zugeschaut, wie sich dort die bunten Nattern wandten und wie die schillernden Eidechsen spielten.

      Die Waldleute erklärten sich daher den tiefen, feuchten Glanz in seinen Augen und sein verträumtes Wesen. Aber die Steinhöferin kniff die Lippen zusammen, wenn sie das hörte; denn sie wusste es besser: Das ist der Widerschein des Lichtes, das wie Sonnenuntergang in jener fernen Mittsommernacht die Felsenstube der Zwerge hell gemacht hatte.

      Vordem, da hatte die alte Steinhöferin ein fixes Mundwerk und hatte — insonderheit, wenn draussen der Schneewind mit den Flügeln schlug — ihren wunderlichen Glauben in hundert Geschichten durch das Walddorf getragen. Aber seit sie sich über die Schwelle getastet hatte, die vor dem zehnten Jahrzehnt ihres Lebens lag, da schritt sie in einem noch seltsameren Lichte; das war so dämmerig, dass sie Traum und Leben, Gesicht und Wahrheit nicht mehr unterscheiden konnte. Sie sagte: „Ich habe alles erlebt und mit diesen Augen gesehen.“ Aber die Leute meinten: „Sie hat alles erdichtet und weiss nicht mehr was Gesicht und was Wahrheit ist.“

      In das Herz der Bärbeli, die die alte Steinhöferin in dem Haus am Hang grossgezogen, hatte die greise Frau den ganzen Reichtum ihrer wunderlichen Gedanken gesenkt. Wenn des Abends die Scheiter im Ofen krachten und der Sturmwind recht wild über den Wald fuhr, da hatte die Alte in jenen vergangenen Jahren mit dem Kind in der ‚Hölle‘ hinter dem Kachelofen gesessen. Und wenn sie zu erzählen begann, zog die Bärbel die Füsse unter das Röcklein, hockte sich mit weiten Augen auf die Ofenbank und fühlte heimliche Schauer über ihren Rücken rinnen.

      In der Frühlingsonne hatten sich dann der Bub vom schwarzen Kreuz und das Mägdlein vom Steinhofhause gefunden. Sie waren miteinander in die Beeren und in die Schwämme, ins Holz und später vor den Altar gegangen. Und nun waren sie drei wunderliche, fromme, verträumte Leute, die dreie im Haus ‚beim Propheten‘; denn der kleine Prophet СКАЧАТЬ