Название: Lebensborn e.V. - Tatsachenroman
Автор: Will Berthold
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9788726444735
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Erst im Gemeinschaftsraum merkten die Mädchen, daß diesmal die Besichtigung von einem SS-Führer geleitet wurde. Die Stühle und Mädchen standen still, als ihm die Lehrgangsleiterin meldete.
Der SS-Offizier dankte mehr als herzlich. Dann wandte er sich dem hakenkreuzverhängten Podium zu, neben dem ganzjährig die gleichen Grünpflanzen standen, wie sie gern in Metzgerauslagen ausgestellt werden.
»Schnieker Bursche«, sagte Erika und spitzte die fülligen Lippen.
»Kameradinnen«, rief der SS-Führer in den Saal.
Lotte hielt den Kopf fast andächtig schief. Auf ihrem Mausgesicht erschienen hellrote Kreisflecken, als hätte man ihr das Parteiabzeichen als Abziehbild hinaufgedrückt.
»Ich freue mich, daß ich heute zu euch sprechen darf«, schmetterte der Schwarzuniformierte. Seine Haare, borstig kurzgeschnitten, sahen aus, als ob sie sich beim Anblick der 20 Stuhlreihen voll braun uniformierten Charmes sträuben würden.
»Wir alle kämpfen für eine Idee, einen Gedanken, ein Werk: für den Endsieg! Ihr Mädchen, ihr jungen Frauen, ihr Führerinnen, die ihr daran teilhabt, die ihr eure ganz persönlichen Opfer dafür bringt, seid gewiß, daß es euch der Führer mit seiner Sorge in seinen einsamen Stunden täglich hundertmal vergilt . . .«
Die geleckten, abgegriffenen Worte der Parteisprache quollen wie Nebel in den Raum. Die Mädchen überlegten nicht, wie ihnen Hitler die Tonnen abgeraspelter Kartoffelschalen je vergelten könnte, sondern sie bekamen bei dem Gedanken an des Führers blaue Augen sehnsüchtige Lippen. Nicht alle, aber der SS-Führer rechnete ohnedies nur mit einer Minderheit . . .
»Ihr alle werdet sagen, wenn ich euch jetzt frage: Seid ihr Nationalsozialisten? Da werdet ihr sagen: ja . . . Aber seid ehrlich! Seid ihr es wirklich? Mit heißem Herzen, ganzer Hingabe, mit jeder Faser eures Lebens, eures Daseins . . .?«
Es rauschte durch die Stuhlreihen. Ein paar helle Mädchenstimmen riefen:
»Ja!«
Über ihnen lag Lottes Zustimmung wie ein Supersopran.
Der SS-Führer lächelte nicht. Er senkte den Kopf. Es sah aus, als ob er seine Ergriffenheit verbergen wollte.
»Wenn ich euch aber nun frage«, er schlug die Augen wieder auf, und sein Blick war wie verschleiert, »wer von euch will dem Führer ein wirkliches Opfer bringen? Ein echtes, großes, einmaliges Geburtstagsgeschenk . . .? Wer würde es tun . . .?. Wer?« brüllte er mit gesteigerter Stimme in den Saal.
Hundert Arme fuhren fast gleichzeitig in die Höhe. Der Funktionär des Systems war ebenso geschickt wie verlogen, ebenso plump wie gerissen. Er winkte lächelnd ab. Mit modulierter Stimme erklärte er den Mädchen, um was es sich handelte, ohne ihnen etwas zu erläutern.
»Ihr sollt euch nicht leichtsinnig in etwas stürzen, zu dem ihr dann nicht stehen könnt«, sagte er. »Eure Bereitschaft ehrt euch . . . aber ihr sollt wissen, daß es ein hohes Opfer ist, das ihr bringen dürft . . . das höchste Opfer einer deutschen Frau . . . Überlegt es euch!« hetzte er weiter, »ihr habt alle Freiheit, euch zu entscheiden . . .«
Und wieder brannte der Wille zur Bewährung in den jungen Gesichtern. Dabei hatte keine der Maiden eine Ahnung, wovon der Sprecher redete. Er benutzte die vermeintliche Offenheit als Mantel der Lüge.
Es waren keine hundert Mädchenarme mehr, die sich in die Luft reckten. Ein paar fielen in sich zusammen wie zaghafte Flämmchen. Dann noch ein paar. Aber es waren nicht allzuviele, die im Angesicht der Kameradinnen den Mut aufbrachten, feige zu sein. Auf diesem Trick basierte die Rechnung. Der SS-Führer konnte, lächelnd mit den Fingern gegen das Pult trommelnd, das Endergebnis abwarten.
Doris streckte die Rechte noch immer aus. Jetzt zögerte sie eine Sekunde. Sie spürte ein Kribbeln in den Fingerspitzen. Aber die neben ihr sitzende Lotte verfolgte mit hämischen Augen alle, die ihre Meldung zurückzogen.
»Eine Schande«, zischte sie, »so eine Schande!« Lotte fand es unglaublich, daß ein deutsches Mädchen sich weigern konnte, dem Führer etwas zu schenken, was er forderte.
So fing sich Doris wieder. Es blieb bei ihrer Meldung. Was soll schon kommen, dachte sie ernst und schlüssig. Der Führer will nichts Unrechtes! Man wird uns auf Frontlazarette verteilen. Ich werde Klaus näher sein. Ich bin ihm diese Meldung schuldig, dachte sie . . .
Der Werber zählte noch einmal die Hände. Dann stellte er die Geburtstagsliste zusammen. Die Mädchen mußten einzeln vortreten und sich eintragen. Die Falle schnappte zu . . .
Lautlos zunächst. Es ging wie am Fließband. Während der Offizier seine Rede gehalten hatte, bauten seine bis dahin unsichtbaren Helfer in den drei angrenzenden Barackenräumen Schreibtische und Geräte auf.
Wenn die Arbeitsmaiden am Podium ihre Namen nannten, wurden sie in den Nebenraum geschleust. Doris sah auf dem Aktendeckel die Aufschrift ›Lebensborn‹. Es sagte ihr nichts.
Dann standen zwei Ärzte im weißen Kittel vor ihr. Unter den Mänteln starrten die Militärstiefel hervor, aus den Kragen die SS-Runen. Es kamen jeweils fünf Mädchen in den ersten Raum.
»Schöner Gabentisch«, sagte Erika leise zu Doris und deutete auf die ärztlichen Instrumente.
Die Ärzte hantierten wortlos. Vor den Augen der Mädchen tanzten Meßgeräte. Zirkel wurden an die Hinterköpfe gesetzt. Seltsame Holzleisten gegen die Stirn gepreßt. Die Männer in den weißen Kitteln murmelten Zahlen, die sie von ihren Geräten ablasen, warfen sie ihren Schreibern zu wie ein Kammerbulle den Rekruten zu kurz geratene Uniformstücke.
Doris versuchte, den Ärzten in die Augen zu sehen. Aber sie begegnete nur ausdruckslosen Blicken, die wohl ihren Kopf, aber nicht das Gesicht zur Kenntnis nahmen. Nur den Schädel. Er wurde betastet wie eine Ware. Minutenlang.
»Nordisch«, konstatierte einer der Ärzte befriedigt.
»Guter Kopf«, erwiderte der andere, »ideale Form.« Er sagte es nicht zu Doris, sondern zu seinem Kollegen, als spräche er nicht über ein Mädchen, sondern über einen Gaul beim Roßmarkt.
»Da hinaus«, sagte der Schreiber.
Doris und Erika betraten den nächsten Raum.
Die kesse Berlinerin flüsterte:
»Wußte gar nicht, daß bei der SS lauter Spezialisten für Hals-, Nasen- und Ohrenkrankheiten sind.«
»Schädelmessung haben wir in der Schule auch schon gehabt«, entgegnete Doris tapfer.
Jetzt waren Ärztinnen da. Die Mädchen mußten sich ausziehen. Die Untersuchung war gründlich und dauerte lange.
Schließlich standen sie alle wieder angekleidet auf dem Flur, Dann wurden mehr als die Hälfte abberufen. Sie waren geprüft und für tauglich erklärt worden. Lotte keuchte:
»Gott sei Dank, sie haben mich doch genommen!«
Es blieben noch 14 Mädchen übrig, die die Kommission für würdig befunden hatte, im Namen der deutschen Frau dem Führer ein Opfer zu bringen. Sie sahen einander ratlos an. Sie konnten nicht ahnen, was ihnen bevorstehen sollte.
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