Название: Lebensborn e.V. - Tatsachenroman
Автор: Will Berthold
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9788726444735
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Auch SS-Sturmbannführer Westroff-Meyer sah nicht gerade aus wie das Endprodukt seines unheimlichen Werkes. Er leitete die Aktion römisch zwo, arabisch eins, Heim Z. Er war prall in den Hüften und massig im Genick. In seinem Gesicht kontrastierte das schlaffe Maul eines Karpfens mit den kleinen Augen eines Hechtes. Daneben trug er an den Wangen das Emblem des Korpsstudenten, Säbelschmisse, die aus der Zeit stammten, als der Führer noch nicht den Boxhandschuh entdeckt hatte.
Der Sturmbannführer diktierte erregt und konfus, wie immer mit erhobener, salbadernder Stimme, wenn er Ungeheuerlichkeiten schwarz auf weiß festlegte. Er hatte Jura studiert und Schiffbruch erlitten. Er war auf Medizin ausgewichen und im Physikum hängengeblieben. Seinem Vater wurde es zu dumm. Er entzog ihm den Monatswechsel. Und so verstärkte Heinz Westroff-Meyer das namenlose Heer der Abenteurer, die hinter dem Hakenkreuz herliefen.
Er aber wollte nicht namenlos bleiben.
» . . . Deshalb . . .«, diktierte er seiner Sekretärin, »sind alle Maßnahmen besonders geheimzuhalten . . . Es ist dafür zu sorgen, daß die künftigen Mütter schon vor der Geburt auf ihre Kinder verzichten. Die Säuglinge sind rechtzeitig von den Müttern zu trennen . . . Nur in Ausnahmefällen darf gestattet werden, daß die für die Aktion ausgewählten Mädchen unter einskommasiebzig groß sind. Auch verheiratete Frauen sind grundsätzlich zugelassen; So ihre Männer an der Front stehen, ist Sondergenehmigung einzuholen . . . Es besteht Veranlassung, noch einmal auf die absolute Geheimhaltung hinzuweisen. Zu gegebener Zeit wird sich der Reichsführer SS zu diesem großen Werk für Großdeutschland bekennen . . . Bis zu dieser Zeit aber ist alles zu unterlassen, was die kämpfende Bevölkerung beunruhigen könnte . . . Die Volksaufklärung wird zur rechten Zeit einen Wandel der öffentlichen Meinung herbeiführen . . .«
Der Sturmbannführer unterbrach seinen Fußmarsch.
»Haben Sie es?« fragte er seine Sekretärin.
» . . . einen Wandel der öffentlichen Meinung herbeiführen«, leierte das blasse Mädchen.
»Gut«, antwortete Westroff-Meyer, »Heil Hitler . . . das Übliche . . .«
Er ließ sich auf einen Stuhl fallen, zündete sich eine Zigarette an.
»Ich fahre selbst zur Aktion II-1, Heim Z . . . Große Sache, einmalige Sache!« setzte er hinzu. »Der Reichsführer ist ein Genie!«
Das Mädchen nickte mit willigem Nacken. Sie hieß Schmidt, und da sie kleiner als einskommasiebzig war, nannte man sie Schmidtchen. Sie hatte sich abgewöhnt, den Kopf zu schütteln. Sie glaubte an die Bewegung. Aber seitdem sie beim Lebensborn war, bewegte sich in ihrem armen Kopf zuviel . . .
1939 entstand diese seltsame Organisation mit dem unauffälligen Status eines eingetragenen Vereins, dessen Führung Himmler persönlich übernommen hatte. Er rechnete sich aus, daß im Zweiten Weltkrieg Hunderttausende, wenn nicht Millionen junger Männer fallen würden. Er zog sie von der Summe der gleichaltrigen Frauen ab, die zwangsläufig nicht mehr heiraten konnten. Die Bilanz war der Kinderverlust.
Das brachte ihn auf den Gedanken: die Toten des Zweiten Weltkriegs sollten zuerst noch ihre ›biologische Pflicht‹ erfüllen. Es sollte, nach Himmler, zumindest kein Blondschopf mehr unter dem Birkenkreuz eingegraben werden, bevor der Gefallene nicht Vater geworden war. Die Zeugung der reinen nordischen Rasse freilich blieb das Endziel des Lebensborns, der jetzt eben aus dem Stadium der Planung heraustrat.
Das SS-Rasse- und Siedlungshauptamt wollte deshalb das Notwendige mit dem Nützlichen verbinden und schickte sich an, eine Art Rassensteuerung zu betreiben. Die Versuche, die der ahnungslose Pfarrer Gregor Mendel mit Pflanzen angestellt hatte, verpflanzten die Machthaber des Dritten Reiches einfach auf Menschen. Mit allen Mitteln. Vielleicht beleuchtet nichts deutlicher die Bewegung als der Lebensborn: der Sieg der Ignoranz über die Intelligenz. Die Auflösung des Anstandes in Wahnsinn.
Für die unsauberen Ziele erfand man als Afterwissenschaft die Rassenhygiene. Ein Herr Günther wurde zum Propheten der Dummheit und lieferte die Würze zu dem braunen Plan.
Selbst in der Hilfsschule konnte man lernen, daß sich das deutsche Volk aus einem Schmelztiegel von Völkern im Laufe der Jahrhunderte gebildet hatte. Mit diesem geschichtlichen Prozeß wollten nunmehr Männer à la Westroff-Meyer kurzen Prozeß machen. Sie schickten sich an, eine ›neue Rasse‹ mit den gleichen Mitteln zu schaffen, wie man einem morschen Apfelbaum einen frischen Ast aufpfropft . . .
»So«, sagte der SS-Sturmbannführer, »fertig für heute.«
»Wo ist denn eigentlich das Heim Z?« fragte Schmidtchen.
»In Polen«, antwortete er, »vorläufig . . . wir werden es bald nach Oberbayern verlegen . . .«
»Und die Mädchen sind . . . einfach so . . . so bereit?«
»Wie meinen Sie das?« fragte Westroff-Meyer scharf.
»Na, ich denke . . . ich meine . . . die Kinder . . .«
»Die Kinder?« fragte er mit gehobenen Augenbrauen.
»Was sind das . . . für Mütter . . . die ihre Kinder . . .«
Der Sturmbannführer schwoll an. Seine fleischigen Ohrläppchen wurden rot.
»Schänden Sie nicht das Opfer dieser deutschesten aller Frauen!« brüllte er.
Er knallte die Tür zu, wuchtete über den Gang.
Wir haben noch eine harte Erziehungsarbeit vor uns, dachte er . . .
2. KAPITEL
Er spürte den Ruck nicht mehr, mit dem sich der Fallschirm geöffnet hatte. Aber nach ein paar Sekunden kam Oberleutnant Klaus Steinbach zu sich, pendelte nach links, nach rechts. Eine Fangleine hatte sich über die weiße Seide gezogen. Und der Fallschirm glitt mit erhöhter Geschwindigkeit als ›Brötchen‹ zur Erde; statt mit fünf Metern Fallgeschwindigkeit sauste er mit acht bis zehn nach unten.
Dem jungen Offizier war es gelungen, in 3000 Meter Höhe, Sekunden vor der Explosion, aus der brennenden Me auszusteigen. Er sah nach unten, und die Welt schaukelte vor seinen Augen.
Ein Wäldchen. Der Wind trieb ihn nach rechts, auf die Bäume zu. Ein Hochspannungsmast. 200 Meter unter ihm. Ein paar Sekunden glitt er auf gleicher Höhe nach unten. So lange stellte er sich vor, wie er an den Drähten zu einem Klumpen zusammen-, schmoren würde. Er zappelte hilflos an den Leinen. Er bäumte sich dagegen.
Dann klatschte er in einen Strauch. Die Äste zerschnitten ihm das Gesicht. Sein Fuß schmerzte höllisch. Er versuchte sich zu bewegen. Nichts zu machen. Er konnte nicht mehr aufstehen. Das Gelenk war verstaucht oder gebrochen. Er konnte nur kriechen.
Nach ein paar hundert Metern gab er es auf, legte sich auf den Rücken, spürte die noch warme Septembersonne, umfaßte mit einem Blick den wolkenlos blauen Himmel der Normandie, döste ein, erwachte wieder am späten Nachmittag, hatte fürchterlichen Hunger, konnte sich noch immer nicht rühren.
Seitdem liegt er Stunde um Stunde. Der Knochensack klebt nicht mehr am Leib. Er friert. Kein Mensch zu sehen. Keine Spur von Orientierung. Der Bauer, der ihn hier findet, kann sein Mörder sein. Oder СКАЧАТЬ