Название: Der Fall Özil
Автор: Dietrich Schulze-Marmeling
Издательство: Bookwire
Жанр: Сделай Сам
isbn: 9783730704332
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Ein Fotograf des Bundespresseamtes hielt die Begegnung zwischen Özil und Merkel fest, und das Foto ging um die Welt. So wie acht Jahre später das Foto vom Treffen Özils und Ilkay Gündogans mit dem türkischen Staatschef Recep Erdogan. Nicht nur der „Tagesspiegel“ sah darin „ein Bild mit Symbolwert angesichts der Dauerdebatte um Migranten“. Theo Zwanziger war vom Fotoshooting allerdings wenig begeistert. Laut „Sport-Bild“-Angaben beklagte er intern, dass sich der DFB nicht von der Politik instrumentalisieren lassen dürfe. Dem „Kicker“ erzählte er: „Ich wünsche mir, dass sich die Politik um den Fußball kümmert, wenn es der Fußball braucht.“ Bierhoff sah das Ganze entspannter: Das Foto sei „so symbolträchtig, was Integration und Stellenwert der Nationalmannschaft betrifft, dass wir es positiv betrachten“.
Zweifelsohne wurde Özil von der Kanzlerin und vom DFB-Manager politisch instrumentalisiert, wenngleich für eine gute Sache. Aber vorher gefragt wurde er nicht. Da das Foto im Kontext einer Begegnung mit der Türkei zustande gekommen war, konnte man es auch als „Unser Mesut“ lesen. Merkel hätte ja auch ein anderes Spiel für eine Begegnung mit dem Kicker wählen können. In Deutschland war die politische Rechte über das Foto empört, da Mesut Özil nicht zu Deutschland gehöre. In der Türkei gingen die Nationalisten auf die Barrikaden, die Özil als Verräter brandmarkten. Özil war das Foto mit der deutschen Kanzlerin keineswegs peinlich. Im Gegenteil: Er war stolz darauf, ließ sich Abzüge davon machen und hängte eine Vergrößerung des Bildes in seinem Büro in der Düsseldorfer Königsallee auf.
In den folgenden Monaten und Jahren gab es kaum eine Diskussion über die Themen Zuwanderung und Integration, in der nicht der Name Mesut Özil fiel. Die „Zeit“ kürte ihn zum „Meister-Immigranten“. Ganz anderer Meinung war die US-amerikanische TV-Moderatorin Heather De Lisle, die sich als Sympathisantin der Republikaner bezeichnet. Als in Frank Plasbergs „Hart aber fair“-Sendung diskutiert wurde, wie deutsch dieser Mesut Özil eigentlich sei, meinte De Lisle, Özil sei mitnichten ein Beispiel für gelungene Integration, weil er ja Deutscher sei. Für Bayerns CSU-Innenminister Joachim Herrmann („Roberto Blanco war immer ein wunderbarer Neger“) war Özil „jemand, der tolle Fähigkeiten einbringt in unsere Gesellschaft“, und folglich „in diesem Land alle Chancen“ bekomme.
Özil äußerte sich in diesen Debatten nicht.
Der Denker des Spiels
Als die deutsche Nationalelf am 10. August 2011 ein Testspiel gegen Brasilien bestritt, stand erstmals auch der 20-jährige Ilkay Gündogan im Kader. Der Mittelfeldspieler von Borussia Dortmund hatte zuvor 17 Spiele für die U18, U19, U20 und U21 des DFB bestritten.
Gündogan stammt wie Özil aus Gelsenkirchen. Sein Großvater war als Bergmann ins Ruhrgebiet eingewandert, sein Vater zog 1979 nach Deutschland. Wie bei Özil wurde auch Gündogans Talent erst relativ spät gewürdigt. Zwar wechselte er als Achtjähriger vom SV Gelsenkirchen-Hessler zu Schalke 04, blieb dort aber nur eine Spielzeit, da er aufgrund von Verletzungsproblemen kaum zum Einsatz kam und seine Trainer ihr für zu schmächtig hielten. Gündogan kehrte zu seinem Stammverein zurück, für den er die nächsten fünf Jahre spielte. 2004 wechselte er zum SSV Buer, einem weiteren Gelsenkirchener Amateurklub. Im Sommer 2005 verpflichtete der VfL Bochum den nun fast 15-Jährigen.
In der Winterpause der Saison 2008/09 holte ihn sein ehemaliger Jugendtrainer und Entdecker Michael Oenning aus der 2. Mannschaft des VfL zum Zweitligisten 1. FC Nürnberg. Oenning hatte schnell gesehen, dass Gündogan „nicht einen goldenen Fuß hatte, sondern zwei. Er hat so außergewöhnliche Sachen mit dem Ball gemacht, dass ich zu ihm hin bin und gesagt habe: Du wirst mal Profi.“ Der Trainer war aber nicht nur von Gündogans Technik beeindruckt, sondern auch von dessen Charakter: „Er war schon damals sehr fokussiert und hat sich nur aufs Sportliche konzentriert. Dass ihn Schalke in der E-Jugend quasi heimgeschickt hat, weil er angeblich zu klein war, hat ihn gewurmt, und das war ein Ansporn.“ Zur Saison 2011/12 wechselte Gündogan zu Borussia Dortmund und wurde dort rasch ein Thema für die Nationalelf.
Erstmals für die A-Elf des DFB durfte Gündogan am 11. Oktober 2011 auflaufen. Deutschland empfing im letzten Qualifikationsspiel für die EM 2012 Belgien und gewann in der Düsseldorfer Esprit Arena mit 3:1. Tor Nummer eins erzielte Mesut Özil. Gündogan durfte nur wenige Minuten mitwirken. In der 84. Minute kam er für Philipp Lahm aufs Feld und war durch diesen Pflichtspieleinsatz fortan nur noch für die DFB-Elf spielberechtigt.
Rassistische Hetze
Zur EM 2012 in Polen und der Ukraine nahm Bundestrainer Jogi Löw sowohl Özil wie Gündogan mit. Letzterer blieb ohne Einsatz, während Özil als Stammspieler zur Zielscheibe rassistischer Hetze wurde. Vor dem letzten EM-Gruppenspiel in Lemberg gegen Dänemark wurde per Twitter die Behauptung verbreitet: „Özil ist garantiert kein Deutscher! Ein Stück Papier ändert nicht die Abstammung.“ Außerdem wurde getwittert, dass in der Nationalmannschaft nur noch Spieler mit deutsch klingenden Namen spielen sollten. Özils Vater Mustafa, Manager seines Sohnes, erstattete Anzeige und bezeichnete diesen Schritt als eine Präventivmaßnahme: „Es geht ja hier nicht allein um Mesut. Morgen ist es vielleicht Boateng, übermorgen Khedira, dann auch noch Gündogan und am Ende Podolski. Das geht doch nicht. (…) Mesut ist in Deutschland geboren, hat mehr für Deutschland getan und auch für die Integration anderer Menschen als viele andere. Er ist ein wunderbarer Junge, der seinen Teil dazu beigetragen hat, dass dieses Bild des modernen Deutschland nach außen getragen wurde.“ Laut Mustafa Özil war die rassistische Beleidigung „nicht der erste Fall oder ein Einzelfall“.
Beim Spiel gegen die Dänen entrollten deutsche Fans ein Banner mit der Aufschrift „Gott sei mit uns“. Dieser Spruch zierte im Zweiten Weltkrieg die Gürtelschnallen der Wehrmachtssoldaten. Volker Goll von der Koordinationsstelle Fanprojekte bestätigte später der Presse, dass es während des Turniers noch weitere Vorfälle mit rechtsradikalen Fans gegeben habe. Der Fotograf und Autor Florian Schubert, Mitglied des Bündnisses Aktiver Fußballfans (BAFF), berichtete in seinem Blog von rassistischen Parolen und Neonazi-Symbolen. Fotos zeigten deutsche Fans in Thor-Steinar-Pullovern oder mit Pickelhaube sowie im deutschen Trikot mit der Nummer „88“ (die „8“ steht für den achten Buchstaben im Alphabet, die „88“ für „Heil Hitler“).
Ebenfalls von der EM-Partie gegen Dänemark berichtete ein Werder-Bremen-Fan, dass in einem Bus das bei Rechtsradikalen beliebte „U-Bahn-Lied“ gesungen wurde, in der Variante: „Eine U-Bahn bauen wir, von Lemberg bis nach Auschwitz“. Fotograf Schubert selbst hörte, wie zur Melodie von „Jingle Bells“ „Besiktas, Trabzonspor, Galatasaray, Fenerbahce Istanbul – wir hassen die Türkei!“ geschmettert wurde. Der „taz“ erzählte er: „Diejenigen, die rassistische Gesänge anstimmen und den Hitlergruß zeigen, sind natürlich eine Minderheit, aber eine akzeptierte. Wirklich erschreckend ist, dass sich andere Fans einen Scheißdreck darum kümmern.“
Als mittlerweile „normal“ galten die stumpfen „Sieg“-Stakkatos, bei denen viele der Rufenden das „Heil“ mitdachten. Sogar Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) verurteilte diese Schreie.
Weltmeister Özil
Im September 2013 wechselte Mesut Özil für ca. 50 Mio. Euro zu Arsenal London und war damit der bis dahin teuerste Verkauf in der Geschichte von Real und der teuerste Einkauf der „Gunners“. Außerdem war dies zu diesem Zeitpunkt der teuerste Wechsel eines deutschen Spielers. Özils neuer Coach hieß Arsène Wenger. Dessen argentinischer Kollege Ángel Cappa hatte mal Trainer in zwei Kategorien eingeteilt: „Es gibt Menschen, die essen, um zu genießen. Und es gibt Menschen, die essen nur, um zu scheißen.“ Wenger, der eindeutig zur ersten СКАЧАТЬ