Название: Der Fall Özil
Автор: Dietrich Schulze-Marmeling
Издательство: Bookwire
Жанр: Сделай Сам
isbn: 9783730704332
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Für die Schweiz oder Italien hätte sich Oliver Neuville (Hansa Rostock, anschließend Bayer Leverkusen, Borussia Mönchengladbach) entscheiden können. Vater Jupp, der ebenfalls Fußballer war, stammt aus Aachen und hat seinen Familiennamen seinem belgischen Groß-vater zu verdanken. Neuvilles Mutter ist Italienerin aus Kalabrien. Oliver Neuville wuchs im italienischsprachigen Tessin auf und besaß zeitweise auch einen italienischen Pass. In der DFB-Elf benötigte er anfangs einen Dolmetscher. Malik Fathi wurde in Berlin geboren, „deutsch“ war aber nur seine Mutter. Der Vater kam aus der Türkei. In Deutschland, genauer: Esslingen, geboren war ebenfalls Serdar Tasci (VfB Stuttgart), der auch von der türkischen Nationalelf umworben wurde. Dem Schwaben bereitete die Entscheidung „ein paar schlaflose Nächte“, denn „meine Eltern tendierten zur türkischen Nationalmannschaft, aber dann war die deutsche schneller“. Ähnlich verhielt es sich bei seinem Vereinskameraden Sami Khedira, bei dem Verantwortliche des tunesischen Verbands anklopften: „Meinem Vater hätte es schon viel bedeutet. Aber für mich kam nur die DFB-Auswahl infrage.“
Afrikanische Hintergründe konnten die Nationalspieler Gerald Asamoah (Schalke 04), David Odonkor (Borussia Dortmund, anschließend Betis Sevilla) und Patrick Owomoyela (Arminia Bielefeld, Werder Bremen, Borussia Dortmund) aufweisen. Asamoah wurde in Mampong in Ghana geboren. Bei der WM 2002 in Korea/Japan war der Schalker der erste Farbige, der im DFB-Trikot an einer WM teilnahm. Asamoah anschließend: „Für mich ist das mit das Größte, was man als Fußballer erleben kann. Ich bin immer noch sehr stolz, dass ich im Endspiel einer WM auf dem Rasen stand. Mit 24 Jahren – ein Traum. (…) Es war für viele Menschen in Ghana großartig, mich bei dieser WM zu sehen. Ein Ghanaer im WM-Finale! Das war gut für das Selbstwertgefühl der Leute.“ Asamoahs Mitwirken war auch ein Signal gegen den Rassismus: „Ich wurde danach mit mehr Respekt behandelt, viele andere Farbige in Deutschland auch. Aber ich habe mich nicht deshalb für das DFB-Team entschieden. Dieser Effekt ist eine äußerst positive Nebenwirkung.“
David Odonkor erblickte im westfälischen Bünde das Licht der Welt. Der Vater ist Ghanaer, die Mutter Deutsche. Der in Hamburg geborene Patrick Owomoyela, gegen den die NPD eine hässliche Kampagne lostrat, ist der Sohn eines Nigerianers und einer Deutschen. Nigerias Verband interessierte sich ebenfalls für seine Dienste. Auch Spanien ist in der Nationalelf vertreten: Mario Gomez (VfB Stuttgart), im schwäbischen Riedlingen geboren, ist der Sohn eines aus Granada stammenden Spaniers und einer Deutschen aus dem Schwabenland. Gonzalo Castro (Bayer Leverkusen), in Wuppertal geboren, ist spanischer Herkunft und wurde zunächst auch zu Lehrgängen der Juniorenauswahl Spaniens eingeladen.
Besonders „bunt“ ging es bei Kevin Kuranyi (VfB Stuttgart, anschließend Schalke 04) zu, der in Rio de Janeiro zur Welt kam, in Panama aufwuchs und drei Staatsbürgerschaften besitzt. Väterlicherseits stammt die Familie ursprünglich aus Ungarn, der Großvater wurde in Budapest geboren, weshalb sich auch der ungarische Verband um den Stürmer bemühte, der für vier Länder hätte spielen können. Kuranyi entschied sich für das DFB-Team, „weil ich hier meinen Lebensmittelpunkt habe. Mein Vater wollte, dass ich Deutsch lerne.“ Tief im Herzen sei er aber „Brasilianer, dem Sonne und Copacabana über alles gehen“.
Mit den U21-Nationalspielern Eugen Polanski (Eltern aus Polen), Marvin Matip (Vater aus Kamerun), Kevin-Prince und Jérôme Boateng (geboren in Berlin, Mutter Deutsche, Vater Ghanaer, Kevins Großvater mütterlicherseits ein Cousin von Helmut Rahn), Ashkan Dejagah (geboren in Teheran, aufgewachsen in Berlin), Dennis Aogo (geboren in Karlsruhe, Eltern aus Kamerun) und den türkischstämmigen Spielern Baris Özbek (geboren in Castrop-Rauxel) und Mesut Özil (geboren in Gelsenkirchen) klopften in den folgenden Jahren weitere Akteure mit Migrationshintergrund ans Tor zur Nationalelf. Der Journalist Daniel Theweleit: „Diese multikulturelle Mischung ist ein wichtiges Merkmal für die lange Zeit herbeigesehnte Rückkehr des deutschen Fußballs an die Weltspitze. Denn international erfolgreiche Teams weisen fast ausnahmslos solch ein Sammelsurium internationaler Einflüsse auf. Beispiele dafür sind Brasilien (indianische, afrikanische und europäische Wurzeln) und Frankreichs Nationalelf mit vielen Spielern mit afrikanischen Vorfahren.“
Dass die Nationalmannschaft ihren ethnisch-exklusiven Charakter suspendierte, war gleich in zweifacher Hinsicht ein Segen. Nach der Pleite bei der EM 2004 hatten Jürgen Klinsmann und Jogi Löw die Regie übernommen. Beiden schwebte nicht weniger als eine grundlegende Reform der altbackenen deutschen Fußballkultur vor. Spieler mit einem anderen kulturellen Background konnten hierzu einen Beitrag leisten. Und außerdem: Nach dem Bosman-Urteil von 1995 und dem Fall vieler Ausländergrenzen hatten die Top-Klubs ihre spielerische Qualität durch ausländische Profis erhöht. Was zur Folge hatte, dass die Klubs den Nationalmannschaften in puncto Spielqualität davonrannten.
Noch 1998 hatte Arrigo Sacchi erklärt: „Fußball sollte immer auf dem höchstmöglichen Level gespielt werden, und kein Klub wird jemals das Niveau einer Nationalmannschaft erreichen.“ Heute muss man sagen: Keine Nationalmannschaft wird jemals das Niveau einer der Top-Adressen des Klubfußballs erreichen. Schon gar nicht eine ethnisch-exklusive. Würden Belgien, Deutschland, England, Frankreich etc. nicht ihre Einwandererkinder mitspielen lassen, hätte dies negative Folgen für die Attraktivität und Vermarktung der nationalen Ensembles. Die Integration von Einwandererkindern verhinderte auch, dass die Kluft zwischen den Top-Teams des europäischen Fuß-balls und den Nationalmannschaften ins Unermessliche stieg.
KAPITEL 2
Özil, Gündogan und die deutsche Nationalelf
Trotz der Öffnung der Nationalmannschaft für Kicker mit Migrationshintergrund: In der Regel entschieden sich Deutschtürken zunächst weiterhin für die Auswahl der Türkei.
Am 8. Oktober 2005 spielte Nuri Sahin, ein Dortmunder Borusse mit türkischen Wurzeln, erstmals für die A-Elf der Türkei – ausgerechnet gegen Deutschland, das in Freundschaft mit 2:1 bezwungen wurde. Sahin erzielte den Siegtreffer. Das erste Tor der Türken ging auf das Konto von Halil Altintop. Mit dessen Bruder Hamit und Yildiray Bastürk kickten auf türkischer Seite zwei weitere Spieler mit, die in Deutschland geboren waren und dort lebten. In diesen Jahren war es gang und gäbe, dass sich die Kinder der nach Deutschland eingewanderten Türken für die türkische Auswahl entschieden.
Bei der WM 2002 war die Türkei Dritter geworden. Vier Akteure, Bastürk, Ümit Davala, Tayfur Havutcu und Ilhan Mansiz, waren in Deutschland geboren. Der türkische Verband unterhielt in Dortmund ein „Europabüro“, von dem aus fünf hauptamtliche Talentsucher und 15 nebenberufliche Scouts Jugendteams in Deutschland, den Niederlanden und den skandinavischen Ländern nach Emigrantenkindern abgrasten, die für die türkischen Auswahlteams in Betracht kamen. Die fußballerische Sozialisation fern der Heimat wurde als großer Vorteil betrachtet, weil, so der damalige Europa-Büroleiter Hakan Eseroglu, die „deutsch-türkischen“ Akteure „disziplinierter und pflichtbewusster“ seien: „Sie machen das, was der Trainer sagt.“
„Man muss sich wohlfühlen“
Hamit Altintop begründete seine Entscheidung für die Türkei wie folgt: „Ich bin Deutschland sehr, sehr dankbar, ich habe hier sehr viel gelernt und sehr viele СКАЧАТЬ