Название: Der Palast des Poseidon
Автор: Thomas Thiemeyer
Издательство: Bookwire
Жанр: Книги для детей: прочее
Серия: Die Chroniken der Weltensucher
isbn: 9783948093327
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Der Professor lupfte eine Augenbraue. »Humboldt? Wie der berühmte Naturforscher?«
»Alexander von Humboldt war mein Vater«, entgegnete der Mann.
»Ganz erstaunlich«, sagte der Dekan. Er bezweifelte, dass dieser Mann tatsächlich ein Nachkomme des berühmten Weltreisenden war, aber er wollte sich gern anhören, was den Mann zu ihm führte. »Welch eine Ehre, Sie hier begrüßen zu dürfen. Sind Sie auch Forscher?«
»In der Tat. Allerdings habe ich dem Universitätsbetrieb in jüngster Zeit den Rücken gekehrt, um meine Fähigkeiten in den Dienst der Wirtschaft zu stellen. Ich bin, wenn Sie so wollen, ein Privatermittler für ungewöhnliche Phänomene. Und genau in dieser Mission bin ich zurzeit unterwegs. Sagt Ihnen der Name Nikomedes etwas? Stavros Nikomedes?«
»Natürlich«, entgegnete Papastratos. »Jeder in Athen kennt die Familie. Sie ist eine der ältesten und respektabelsten Reederfamilien in dieser Stadt. Stavros ist der Juniorchef, habe ich recht?«
»Genau in dieser Funktion war er bei mir. Es geht um die verschwundenen Schiffe.«
Jetzt wusste Papastratos, woher der Wind wehte. Natürlich hatte er die Geschichten gehört. Gerüchte von riesigen Seeungeheuern und mysteriösen Angriffen. Und jetzt kam dieser Humboldt damit ausgerechnet zu ihm.
»Haben Sie davon gehört?«
»Natürlich«, erwiderte Papastratos. »In den Kneipen wird viel darüber spekuliert. Wildes Seemannsgarn, das kann ich Ihnen erzählen. Ich wüsste aber nicht, wie ich Ihnen weiterhelfen könnte. Vielleicht versuchen Sie es mal bei der Schifffahrtsbehörde.«
Humboldt seufzte. »Da waren wir schon. Ebenso beim marinebiologischen Institut der Universität. Wir sind von Pontius zu Pilatus gelaufen, aber niemand glaubt an die Geschichte vom Seeungeheuer. Alle gehen davon aus, dass die Schiffsunglücke irgendwelche natürlichen Ursachen haben. Seebeben, Stürme, Alkoholismus, die Liste ist lang. Um ehrlich zu sein, ich habe mir so etwas gedacht, ich wollte nur erst alle Fakten beisammenhaben, ehe ich mir ein abschließendes Urteil bilde. Es gibt da allerdings eine Sache, die mich aufhorchen ließ. Vor etwa zehn Jahren schien schon einmal ein Unglück passiert zu sein. Eine Katastrophe, die erstaunliche Ähnlichkeit mit den jüngsten Fällen hat und die bis heute nicht aufgeklärt wurde. Wissen Sie etwas darüber?«
Papastratos faltete die Hände, schwieg aber.
»Herr Dekan, bitte. Was wissen Sie über einen Mann namens Livanos? Man sagte mir, Sie wären derjenige, der ihm am nächsten stand. Ein Spezialist, sozusagen. Man sagte mir, wenn ich etwas über ihn in Erfahrung bringen wolle, wären Sie der richtige Ansprechpartner.«
Der Professor blickte auf. »Livanos«, sagte er. »Das ist ein Name, den ich seit einer langen Zeit nicht mehr gehört habe. Einer sehr langen Zeit …«
Die Augen des Forschers weiteten sich hoffnungsvoll. »Dann können Sie uns also weiterhelfen?«
Papastratos versank in Schweigen. Einerseits war er mit Arbeit eingedeckt, andererseits ließ der Name Livanos alte Erinnerungen wach werden.
Er überlegte einen Augenblick, dann stand er auf. »Bitte entschuldigen Sie mich einen kurzen Moment.« Er öffnete die Tür und verließ das Zimmer. Als er seinen Assistenten sah, winkte er ihn zu sich. »Gregorios, ich will, dass du für heute alle Termine absagst. Ich möchte nicht gestört werden.«
»Aber Ihr Treffen mit dem Direktor um zwei …?«
»Ich sagte alle. Besorge uns ein paar Tassen Tee und etwas Gebäck, und zwar schnell, wenn ich bitten darf.« Er klatschte in die Hände und beobachtete, wie sein Assistent davoneilte, dann drehte er sich um und kehrte zu seinen Gästen zurück.
Der Forscher hatte in der Zwischenzeit einen kleinen grauen Kasten hervorgeholt und ihn auf den Tisch gestellt. Papastratos blieb in der halb geöffneten Tür stehen.
»Was ist denn das?«
»Eine Übersetzungsmaschine«, erklärte Humboldt. »Sie wird unsere Unterhaltung erleichtern und gleichzeitig dafür sorgen, dass wir nicht belauscht werden. Möchten Sie sie einmal ausprobieren?«
9
Oskar verfolgte die Unterhaltung mit gespannter Erwartung. Professor Papastratos war ein eleganter, gut gekleideter Mann Mitte fünfzig, mit einem kleinen Spitzbart, einem feinen Anzug und einem Zwicker auf der Nase. Sein graues Haar war ordentlich gescheitelt und hinter die Ohren gekämmt. Der Mann sah vertrauenswürdig aus. Sein Assistent, ein neugierig dreinblickender Wuschelkopf mit leuchtenden Augen, hatte in der Zwischenzeit ein Tablett mit Tee und Blätterteiggebäck gebracht und war neugierig in der Tür stehen geblieben. Oskar sah ihm an, wie gerne er das Gespräch verfolgt hätte. Doch der Professor winkte ihn energisch hinaus. Widerstrebend verließ der Junge den Raum. Als die Tür hinter ihm ins Schloss gefallen war, stand der Professor auf.
»Sie wollen etwas über Alexander Livanos wissen? Nun, ich glaube, ohne Übertreibung sagen zu dürfen, dass ich ihm nahestand wie kein zweiter – obwohl wir so unterschiedlich waren wie Tag und Nacht. Er war etwas jünger als ich, doch er wusste schon damals genau, was er wollte. Livanos war eines der größten Genies unserer Zeit. Ein Mann, der gleichermaßen umstritten wie verkannt war. Alles, was er sagte, was er tat und dachte, war von einer Klarheit und Reife, wie man sie gewöhnlich nur bei wesentlich älteren Männern antrifft.« Er ging zu einem der meterhohen Bücherregale und zog einen schweren, in Leder gebundenen Band heraus. Auf dem Buchdeckel waren vorne ein Anker und ein Zahnrad eingeprägt. Papastratos rückte seine Brille zurecht und begann zu blättern. Nach einer kurzen Weile hatte er gefunden, wonach er suchte. Er drehte das Buch zu ihnen hin.
»Das ist er.«
Oskar reckte den Hals. Der Kupferstich zeigte einen Mann von vielleicht dreißig Jahren. Ein ebenmäßiges hübsches Gesicht mit schmaler Nase und vollen Lippen. Seine Augen schienen vor Neugier und Begeisterung zu leuchten.
»Livanos wuchs als jüngerer von zwei Brüdern in ärmlichen Verhältnissen auf«, sagte der Professor. »Der Vater und sein Bruder arbeiteten auf der Werft in Piräus, dem Hafen von Athen. Sie schufteten von früh bis spät, um der Familie ein Auskommen zu sichern. Alexander, dessen enorme Intelligenz schon früh sichtbar wurde, ersparte man diese Tortur. Er sollte eine andere Richtung einschlagen. Er durfte eine Schule besuchen, später das Polytechnikum, wo wir beide uns kennenlernten. Ich war zwar nur ein einfacher Student, aber ich erkannte die Kühnheit seiner Entwürfe und ermunterte ihn dazu, sie seinen Professoren vorzustellen.«
»Um was für Entwürfe ging es dabei?«, fragte Humboldt.
»Nun, in erster Linie um Werftbauten. Vollautomatische, hoch technisierte Konstruktionen, die ein Schiff mit einem Minimum an menschlichen Arbeitskräften reparieren oder zusammenbauen können. Technische Wunderwerke, die den Arbeitern die unmenschlichen Bedingungen ersparen sollten, die Livanos in seiner Kindheit erlebt hatte.«
»Werften«, bemerkte Humboldt nachdenklich. »Was Sie nicht sagen …«
Er legte die Stirn in Falten und schrieb ein paar Bemerkungen in sein ledergebundenes Notizbuch.
»Um es kurz zu machen, die Vorschläge wurden von der Fakultät rundherum abgelehnt«, fuhr Papastratos fort. »Sie wurden als Hirngespinste abgetan, als Visionen eines unreifen Jugendlichen. Dabei waren sie das СКАЧАТЬ