Название: Der Palast des Poseidon
Автор: Thomas Thiemeyer
Издательство: Bookwire
Жанр: Книги для детей: прочее
Серия: Die Chroniken der Weltensucher
isbn: 9783948093327
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Charlotte schüttelte den Kopf. »Er ist viel gereist, aber in unserer Familie wurde nie darüber gesprochen. Mutter und er haben deswegen bis auf den heutigen Tag ein gespanntes Verhältnis.«
»Warum eigentlich?«
Charlotte zuckte die Schultern. »Angeblich, weil er fortgegangen ist, anstatt sich um die familiären Angelegenheiten zu kümmern. Meine Mutter wirft ihm vor, er hätte sie und Oma im Stich gelassen. Die beiden haben eine Weile zusammengelebt, ehe meine Großmutter starb – wahrscheinlich an der Lungenepidemie von 1882. Als Humboldt von seinen Reisen zurückkam, war sie jedenfalls tot und meine Mutter fortgezogen.«
»Hm.« Oskar war nicht wohl dabei, in Humboldts privaten Sachen herumzuwühlen. Er konnte sich auch nicht erklären, was das alles mit ihnen zu tun hatte. Er wollte so schnell wie möglich die Koffer holen und dann von hier verschwinden.
»Also ich kann nichts finden«, sagte er. »Bist du sicher, dass Eliza diese Kiste gemeint hat?«
»Siehst du irgendwo noch eine andere? Außerdem hat der Schlüssel gepasst. Komm, lass uns weitersuchen!« Sie fing an, die Requisiten auszuräumen und sorgfältig auf dem Boden zu stapeln.
Es dauerte eine Weile, bis sie die Truhe leer geräumt hatten. Als sie endlich so weit waren, machte sich Ernüchterung breit. Unten war nur ein einfacher Boden, sonst nichts. Keine Klappe, kein Scharnier.
Oskar klopfte gegen das Holz. »Seltsam«, murmelte er.
»Was meinst du?«
»Ich frage mich …« Er betrachtete die Kiste von der Seite.
»Was ist denn los?«
»Ich glaube, dass da irgendwo noch ein Zwischenfach eingearbeitet ist. Sieh mal: Für einen einfachen Boden ist der viel zu dick.«
Charlotte hielt die Finger neben die Truhe und spreizte sie auf einen Abstand von zehn Zentimetern. »Du hast recht«, sagte sie. »Da ist ein doppelter Boden drin. Vielleicht gibt es hier ja irgendwo einen versteckten Hebel oder Knopf.«
Sie hatten gerade angefangen, danach zu suchen, als es an der Luke, durch die sie gekommen waren, scharrte und klopfte. »Hallo? Ist da jemand?«
Es war Humboldt!
Die beiden Jugendlichen warfen sich einen entgeisterten Blick zu. »Schnell, alles wieder zurück in die Kiste!«, zischte Charlotte.
Hektisch warfen sie die Requisiten zurück in die Truhe und schlossen den Deckel. Keinen Augenblick zu früh, denn in diesem Moment bewegte sich der Riegel zur Seite. Humboldts Kopf erschien in der Öffnung.
»Na endlich!«, rief er. »Ich habe euch schon überall gesucht!«
Als er sah, dass die beiden neben der Kiste hockten, verengten sich seine Augen. »Was macht ihr denn da? Ich dachte, ihr wolltet nur schnell die Koffer holen und dann wieder runterkommen.«
»Oh, ich habe Oskar nur mal deine Sammlung gezeigt«, log Charlotte. Die Aufregung hatte rote Flecken auf ihre Wangen gezeichnet. »Ich wollte ihm unbedingt deine Masken und die Schlitztrommel vorführen. Du weißt doch, die aus Tansania.«
»Ja, ich weiß«, sagte der Forscher, immer noch misstrauisch dreinblickend. »Ich hoffe, ihr habt nichts durcheinandergebracht.«
»Natürlich nicht.« Charlotte stand auf und klopfte den Staub von ihrem Kleid. »Du weißt doch, wie vorsichtig ich mit deinen Sachen umgehe.«
»Hm. Na gut.« Er sah die beiden streng an, dann sagte er: »Jetzt aber zackig! Wir müssen mit unseren Vorbereitungen fortfahren. Die Koffer liegen dort hinten unter einer Decke. Nehmt alle mit und dann kommt wieder runter.«
8
Athen, drei Tage später …
Die Hitze in der Innenstadt war drückend. Die Flaggen vor dem Polytechnikum hingen schlaff herunter. Kein Lufthauch war zu spüren. Die Sonne ließ die Luft flimmern. Selbst die Tauben, die sonst den Platz zwischen der technischen Universität und dem Archäologischen Nationalmuseum bevölkerten, hatten sich in den Schatten zurückgezogen und warteten auf die kühleren Nachmittagsstunden.
In den Räumen der Fakultät für Nautik und Marinetechnik war es noch halbwegs erträglich. Das dicke Gemäuer hatte die angenehme Eigenschaft, Wärme zu speichern und sie nur langsam weiterzugeben. So fror man nicht, wenn man nachts noch arbeiten musste, und hatte es tagsüber, wenn die Sonne Athen in einen Glutofen verwandelte, angenehm kühl.
Prof. Dr. Christos Papastratos, Dekan der Fakultät, war gerade damit beschäftigt, die Vorlesungsunterlagen für den morgigen Tag zusammenzustellen, als es an die Tür klopfte.
»Ja, bitte?«
Im Türrahmen erschien der Kopf seines Assistenten, eines jungen Burschen mit strubbeligen Haaren. »Professor?«
»Ah, du bist’s, Gregorios. Was gibt es?«
»Draußen stehen ein paar Besucher, die unbedingt zu Ihnen wollen.«
»Die sollen sich vorne einen Termin geben lassen. In den Sprechstunden, montags und mittwochs ab sechzehn Uhr.«
»Sie sagen aber, sie hätten es eilig. Sie haben gesagt, sie hätten Referenzen, und dass Sie sie bestimmt vorlassen würden, wenn Sie wüssten, um was es geht.«
Der Professor seufzte. »Können die Leute denn keine Termine mehr machen, so wie früher?« Er fuhr sich durchs Haar. »Heutzutage hat jeder es immerzu eilig. Alles muss schnell, schnell, schnell gehen. Kein Wunder, dass dabei die Qualität auf der Strecke bleibt. Was sind das überhaupt für Leute?«
»Ich glaube, es sind Deutsche«, sagte Gregorios. »Sie haben einen sehr merkwürdigen Akzent. Sie sind überhaupt sehr merkwürdig.«
»Deutsche? Haben sie gesagt, was sie wollen?«
Der Junge schüttelte den Kopf.
Papastratos rückte seinen Stuhl zurück und stand auf. »Na gut. Maximal eine Viertelstunde. Mehr Zeit habe ich wirklich nicht. Führ sie herein!« Er klappte seinen Ordner zu und stellte ihn ins Regal zurück. Kaum hatte er sich wieder umgedreht, als ein hochgewachsener Mann mit langem Mantel, Zylinder und schwarzem Spazierstock den Raum betrat. Der Knauf des Stabes hatte die Form eines goldenen Löwenkopfes.
In seinem Gefolge befanden sich eine dunkelhäutige Frau und zwei Jugendliche – ein Mädchen, gekleidet in ein elegantes hellblaues Kleid, und ein Junge in Tweedhosen, weißem Hemd und Schiebermütze. Zwischen ihren Beinen lief – Professor Papastratos senkte die Brille – ein Kiwi. Das kleine Geschöpf nutzte den Schatten, um sich fortzubewegen, wobei seine hornigen Zehen auf dem Marmor klappernde Geräusche erzeugten. Der Dekan vergaß seinen Mund zu schließen. Merkwürdig, hatte Gregorios sie genannt, doch das war bei Weitem untertrieben.
»Professor Papastratos«, sagte der hochgewachsene Mann und kam mit ausgestreckter Hand auf ihn zu. »Sie ahnen gar nicht, wie sehr ich mich freue, Sie kennenzulernen. Man hat Sie uns wärmstens empfohlen. Genau genommen sind Sie unsere letzte Hoffnung.« Das Griechisch des Mannes war ein wenig unbeholfen, aber gut verständlich. Offenbar ein Mann von Bildung.
»Das klingt ja sehr СКАЧАТЬ