Название: Guy de Maupassant – Gesammelte Werke
Автор: Guy de Maupassant
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
Серия: Gesammelte Werke bei Null Papier
isbn: 9783962817695
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Die Herren liefen um irgendwelche Nahrungsmittel in die Gehöfte an der Strasse, aber es war nicht einmal Brot dort zu erlangen. Denn die misstrauischen Landleute hatten ihre Vorräte aus Furcht vor den plündernden Soldaten verborgen, die in ihrem Hunger alles, was sie entdecken konnten, gewaltsam an sich nahmen.
Gegen ein Uhr Mittags erklärte Loiseau, dass er entschieden einen ganz abscheulichen Magenschmerz verspüre. Allen übrigen ging es nicht besser, und der heftige Essensdrang hatte schliesslich jede Unterhaltung zum Schweigen gebracht.
Von Zeit zu Zeit fing einer an zu gähnen, und ein anderer folgte ihm darin sofort. Und der Reihe nach öffnete jeder, je nach Charakter, Lebensart und sozialer Stellung entweder geräuschvoll oder leise den Mund, um dann schnell mit der Hand die Öffnung zu bedecken, aus der ein warmer Hauch entströmte.
Fett-Kloss hatte sich mehrmals vorgebeugt, als sehe sie nach irgendetwas unter ihren Röcken. Sie zauderte einen Augenblick, blickte ihre Nachbarin an, und richtete sich dann ruhig wieder auf. Die Gesichter der Reisenden waren bleich und verzerrt Loiseau schwor, dass er tausend Francs für ein Schinkenbrötchen geben würde. Seine Frau machte eine Gebärde, als wollte sie etwas einwenden; aber sie beruhigte sich wieder. Sie litt immer darunter, wenn sie von Geldverschleuderung reden hörte; selbst ein Scherz über diesen Gegenstand war ihr verhasst. »Ich fühle mich tatsächlich unwohl; wie konnte ich nur vergessen mir was zum Frühstücken mitzunehmen?« diesen Vorwurf machte sich jeder einzelne im Wagen.
Cornudet hatte allerdings eine Feldflasche voll Rum bei sich. Er bot dieselbe herum, aber man dankte ihm kühler Zurückhaltung. Nur Loiseau nahm einen Schluck. »Das tut auf alle Fälle gut«; sagte er die Flasche mit Dank zurückgebend »es wärmt und vertreibt den Hunger.« Der Alkohol machte ihn guter Laune und er schlug vor, es zu machen wie die Schiffbrüchigen und den wohlgenährtesten Passagier aufzuessen. Diese deutliche Anspielung auf Fett-Kloss missfiel den wohlerzogenen Leuten, und es antwortete ihm niemand; nur Cornudet lächelte. Die beiden Ordensschwestern hatten mit dem Rosenkranz-Gebet aufgehört. Sie sassen regungslos, die Hände in ihren weiten Ärmeln vergraben und der Blick hartnäckig zur Erde gesenkt. Ohne Zweifel opferten sie dem Himmel ihr Leid auf.
Endlich gegen drei Uhr, als der Wagen durch eine endlose Ebene fuhr, auf der weit und breit kein Haus zu entdecken war, bückte sich Fett-Kloss hastig und zog unter der Bank einen umfangreichen Korb hervor, der mit einer Serviette bedeckt war.
Sie entnahm demselben zunächst einen Porzellanteller, einen zierlichen silbernen Becher, dann eine große Terrine, in welcher zwei ganze in Gelee eingemachte Hühner waren. Ausserdem bemerkte man in der Tiefe des Korbes noch allerlei leckere Sachen verpackt, Pasteten, Früchte und Eingemachtes; kurz es war ein Reisevorrat für reichlich drei Tage, ohne eine Wirtshausküche in Anspruch nehmen zu müssen. Sie holte sich ein Hühnerflügelchen heraus und begann dasselbe zu einem jener Brödchen, die man in der Normandie »Regence’s« nennt, zierlich zu verspeisen.
Aller Blicke waren auf sie gerichtet. Der leckere Duft verbreitete sich mehr und mehr und kitzelte den Geruchssinn der Mitreisenden, deren Mund unwillkürlich wässerig wurde, während die Kinnladen sich schmerzhaft zusammenzogen. Der Abscheu der Damen gegen diese Dirne steigerte sich zur völligen Wut; man hätte sie am liebsten umgebracht oder sie samt ihrem Becher, ihrem Korb und ihren Esswaren zum Wagen hinaus in den Schnee geworfen.
Loiseau verzehrte indessen die Hühner-Terrine mit seinen Blicken. »Madame sind vorsichtiger gewesen, als wir übrigen,« sagte er. »Es gibt eben Damen, die an alles denken.« Sie sah zu ihm auf. »Wenn Sie Lust haben, mein Herr«; sagte sie »es ist fatal, wenn man von früh morgens an nichts zu essen hat.« Er verbeugte sich. »Meiner Treu, wenn ich offen sein soll, so nehme ich dankend an; ich kann mir nicht mehr helfen. Im Kriege muss man wie im Kriege leben, nicht wahr, Madame?« Dann blickte er um sich. »In solchen Augenblicken ist man froh, so zum Danke verpflichtet zu sein.« Er breitete eine Zeitung auf dem Schosse aus, um seine Beinkleider nicht zu beflecken und entnahm mit der Spitze seines Taschenmessers ein ganz in Gelee gehülltes Stück, zerriss es mit den Zähnen und kaute es mit solchem Wohlgefallen, dass seine Reisegefährten ihn mit Abscheu betrachteten.
Jetzt bot Fett-Kloss mit freundlicher Miene den beiden Schwestern an, von ihrem Frühstück zu nehmen. Sie sträubten sich keinen Augenblick und begannen ohne den Blick zu erheben hastig zu essen, nachdem sie einige Dankesworte gestammelt hatten. Cornudet weigerte sich selbstredend nicht, das Anerbieten seiner Nachbarin auszuschlagen und man bildete mit den Ordensfrauen zusammen eine Art Tisch, indem man Zeitungen auf dem Schoss ausbreitete.
Man öffnete und schloss den Mund abwechselnd, schob ein Stück hinein, kaute und schluckte hastig. Loiseau war in seiner Ecke emsig bei der Arbeit; und redete leise seiner Frau zu, seinem Beispiele zu folgen. Sie wollte anfangs nicht recht daran, aber als ein Krampf ihr Inneres zusammenzog, gab sie nach. Ihr Ehemann bat die »liebenswürdige Reisegefährtin,« ob er nicht auch für seine Gattin ein Stückchen haben könnte. »Aber natürlich, gewiss mein Herr,« sagte sie, ihm mit liebenswürdigem Lächeln die Terrine reichend.
Eine kleine Verlegenheit entstand, als man die erste Flasche Bordeaux entkorkt hatte: Es gab nur einen Becher. Man wischte ihn eben vor dem Trinken aus. Nur Cornudet setzte ihn dort an den Mund, wo er noch feucht von den Lippen seiner Nachbarin war; zweifelsohne ein Akt der Höflichkeit gegen dieselbe.
Der Graf und die Gräfin Bréville, umgeben von essenden Menschen und den Geruch von Speisen fortwährend in der Nase, litten unterdessen ebenso wie Herr und Frau Carré-Lamadon wahre Tantalusqualen. Plötzlich stiess die junge Frau des Fabrikbesitzers einen Seufzer aus, sodass sich alles nach ihr umsah. Sie war bleich wie der Schnee draussen, ihre Augen waren geschlossen, der Kopf hing vornüber; sie hatte das Bewusstsein verloren. Ganz ausser sich bat ihr Gatte alle Welt um Hilfe. Man hatte völlig den Kopf verloren, als endlich die ältere von den beiden Ordensschwestern, die das Haupt der Ohnmächtigen stützte, den Becher von Fett-Kloss jener an die Lippen setzte und ihr einige Tropfen Wein einflösste. Die hübsche junge Frau erwachte, schlug die Augen auf, lächelte und erklärte mit leiser Stimme, dass sie sich jetzt wohler fühle. Aber СКАЧАТЬ