Название: Guy de Maupassant – Gesammelte Werke
Автор: Guy de Maupassant
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
Серия: Gesammelte Werke bei Null Papier
isbn: 9783962817695
isbn:
Jetzt war der erste Schritt getan. Nachdem man nun einmal den Rubikon hinter sich hatte, verkehrte man ungezwungener. Der Reisekorb wurde geleert. Er enthielt noch eine Gänseleber- und eine Lerchen-Pastete, ein Stück geräucherte Zunge, Birnen von Crassanc, eine Torte von Pont-Levêque, allerlei kleines Gebäck und ein Glas mit Mixed-Pikles; Fett-Kloss liebte, wie alle ihresgleichen, das Pikante.
Man konnte doch unmöglich etwas von dieser Person annehmen, ohne auch mit ihr zu sprechen. So begann denn eine Unterhaltung; anfangs mit Reserve. Als sie sich aber ganz anständig benahm, ließ man sich schon mehr gehen. Die Damen Bréville und Carré-Lamadon benahmen sich mit zurückhaltender Liebenswürdigkeit, wie das bei ihrer guten Lebensart nicht anders zu erwarten war. Besonders die Gräfin zeigte jene liebenswürdige Herablassung aller vornehmen Damen, denen niemals eine Perle aus der Krone fallen kann. Nur die dicke Frau Loiseau, welche sich selbst etwas zu vergeben fürchtete, hielt sich zurück, sprach wenig und ass desto mehr.
Die Rede kam natürlich auf den Krieg. Man erzählte sich schreckliche Geschichten von den Preussen und wunderbare Heldentaten von den Franzosen. Bald berührte man auch persönliche Verhältnisse und Fett-Kloss erzählte mit aufrichtiger Erregung, mit jenen warmen Worten, die ihresgleichen zuweilen eigen sind, um ihre Gefühle auszudrücken, wie sie dazu kam, Rouen zu verlassen. »Ich glaubte anfangs, dass ich dort bleiben könnte. Ich hatte das Haus voll Lebensmittel und hätte lieber einige Soldaten verpflegt, als mich Gott weiß wohin begeben. Als ich aber sie gesehen habe, diese Preussen, da waren meine Gefühle stärker wie ich. Das Blut kochte mir vor Zorn in den Adern, und ich habe den ganzen Tag vor Scham geweint. Ach, wenn ich ein Mann wäre, wahrhaftig! Ich sah sie von meinem Fenster aus, diese großen Bestien mit ihren Pickelhauben. Mein Mädchen hat mich zurückhalten müssen, dass ich ihnen nicht mein Mobiliar auf den Kopf warf. Dann kam die Einquartierung, und ich bin gleich dem ersten an die Kehle gesprungen. Sie sind nicht schwerer zu erdrosseln, wie andere. Ich hätte es wahrhaftig fertig gebracht, wenn man mich nicht an den Haaren zurückgerissen hätte. Daraufhin musste ich mich verstecken, bis ich schliesslich die Gelegenheit hier fand, mich davon zu machen.«
Man beglückwünschte sie lebhaft. Sie wuchs entschieden im Ansehen bei ihren Reisegefährten, die sich nicht so mutig gezeigt hatten. Cornudet hörte ihr mit dem zustimmenden beifälligen Lächeln eines Apostels zu; denn die langbärtigen Demokraten bilden sich ein, ein Monopol auf den Patriotismus zu besitzen. Er sprach nun seinerseits in belehrendem Tone und kramte alle Weisheit aus, die er aus den täglichen Maueranschlägen geschöpft hatte und schloss mit einer großartigen Redewendung, indem er den Sturz dieser »Kanaille von Bonaparte« pries.
Aber Fett-Kloss wurde sofort ärgerlich, denn sie war Bonapartistin. »Ich hätte Sie wahrhaftig an seiner Stelle sehen mögen«; stammelte sie rot wie eine Kirsche, »Sie und die andren alle. Das müsste hübsch gewesen sein, wahrhaftig. Sie sind es, die diesen Mann verraten haben. Es bliebe einem weiter nichts übrig, als Frankreich zu verlassen, wenn es von solchen Leuten, wie Sie regiert würde.«
Cornudet verharrte in überlegenem verächtlichen Lächeln; aber man hatte das Gefühl, dass es noch zu gröberen Worten kommen würde. Deshalb legte sich der Graf ins Mittel. Nicht ohne Mühe beruhigte er das zornige Mädchen indem er hoheitsvoll erklärte, dass man die ehrliche Überzeugung eines jeden achten müsse. Die Gräfin und die Fabrikantensgattin, welche den blinden Hass aller vornehmen Leute gegen die Republik und die instinktive Vorliebe aller Frauen für eine pomphafte und despotische Regierungsform teilten, fühlten sich indessen unwillkürlich zu dieser Prostituierten hingezogen, deren Anschauungen den ihrigen so nahe standen.
Der Korb war nun leer; zu Zehnen war das allerdings kein großes Kunststück und man bedauerte, dass es nicht mehr gewesen war. Das Geplauder setzte sich noch eine Weile fort, wenn auch nicht mehr so lebhaft, als während des Essens.
Der Abend brach herein, die Dunkelheit nahm immer mehr zu und Fett-Kloss fühlte sich infolge der Kälte, die während der Verdauung immer fühlbarer ist, trotz ihrer Wohlbeleibtheit erschauern. Da bot ihr Madame de Bréville ihren Wärmapparat an, dessen Kohle im Laufe des Tages mehrfach erneuert waren; sie nahm ihn gern an, denn ihre Füsse waren eiskalt. Die Damen Carré-Lamadon und Loiseau gaben die ihrigen den beiden Ordensschwestern.
Der Kutscher hatte seine Laternen angezündet. Ihr helles Licht brach sich an einer Dampfwolke die über den Kruppen der schweißtriefenden Pferde schwebte und beleuchtete zu beiden Seiten des Wagens den Schnee, der bei den lebhaften Reflexen sich aufzurollen schien. Im Wagen konnte man schon nichts mehr unterscheiden; aber plötzlich entstand eine Bewegung zwischen Fett-Kloss und Cornudet. Loiseau glaubte in der Dämmerung zu bemerken, dass der Mann mit dem großen Barte sich etwas plötzlich zur Seite beugte, als habe er ohne viel Geräusch einen gutsitzenden Schlag erhalten.
Vorn auf der Strasse zeigten sich einzelne Lichter; es war Tôtes. Wenn man zu den elf Stunden Fahrt noch die drei Stunden Rast rechnete, die man den Pferden zu ihrem Futter gegönnt hatte, so waren die Reisenden vierzehn Stunden unterwegs gewesen. Endlich fuhr man durch das Stadttor und hielt vor dem Hôtel de Commerce an.
Die Türe wurde aufgerissen und ein wohlbekanntes Geräusch ließ alle Reisenden erzittern; eine Säbelscheide klirrte auf dem Boden. Man hörte einige deutsche Worte rufen.
Obschon am Haltepunkt angekommen, stieg keiner von den Reisenden aus; als ob sie erwartet hätten, da draussen sofort niedergesäbelt zu werden. Da erschien der Kutscher und leuchtete mit einer Laterne bis in den hintersten Eck des Wagens. Ihr Schein fiel auf zwei Reihen furchtstarrender Gesichter mit offenem Munde und ängstlich dreinschauender Augen.
Beim vollen Licht der Laterne sah man neben dem Kutscher einen deutschen Offizier, einen hochgewachsenen auffallend schlanken blonden jungen Mann, der in seiner Uniform wie in ein Korset eingezwängt war. Auf dem Kopfe trug er eine flache runde Mütze wie ein Laufbursche in den englischen Hôtels. Sein langer kerzengrader Schnurrbart СКАЧАТЬ